DIE SUCHE NACH DER MACHT. Stefan Sethe

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DIE SUCHE NACH DER MACHT - Stefan Sethe


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diese Bemühungen der Unternehmen schlicht als neues Instrument der Firmenimagewerbung abzutun, wie dies zunächst oft recht polemisch von den Gewerkschaften versucht wurde. Freilich mussten diese sich auch häufig genug provoziert fühlen durch allzu schönfärberische Sozialbilanzen, die sich nicht scheuten, soziale Erfolgsquoten von 99,95 Prozent bekanntzugeben und nicht selten unterließen, die Negativposition überhaupt nur zu erwähnen.

       Inzwischen haben die Gewerkschaften jedoch erkannt, dass der Großteil der sozialbilanzierenden Unternehmen nicht nur an vordergründigen und kurzfristigen Imageerfolgen interessiert sind. Sie bemühen sich vielmehr ernsthaft, ihre gesellschaftliche Verantwortung neu zu definieren und die veränderten gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten bei der Planung von Fortschritt und Wachstum zu berücksichtigen.

       Die Sozialbilanzierung zwingt die Unternehmen, sich Gedanken über konkrete ökonomische und gesellschaftsbezogene Ziele zu machen, diese zu formulieren und sich später daran messen zu lassen. Mögliche negative gesellschaftliche Folgen bestimmter wirtschaftlicher Maßnahmen werden eher erkannt. Andererseits ist aber die Sozialbilanz auch geeignet, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Verzahnung von Wirtschaft und Gesellschaft zu rationalisieren, indem die Sozialbilanzen sehr anschaulich zeigen, was höhere Lebensqualität kostet und wo gesellschaftliche Ansprüche utopisch werden, also mit dem realen Leistungsvermögen der Wirtschaft nicht mehr ins Gleichgewicht gebracht werden können.

       Obwohl inzwischen deutlich geworden ist, dass Sozialbilanzen, sollen sie von der Öffentlichkeit ernstgenommen und nicht nur als Schönwetterbroschüre abgetan werden, auch Fakten enthalten müssen, die zuzugeben einem Unternehmen im ersten Moment nicht immer ganz leicht fällt, nimmt dennoch die Zahl der Firmen zu, die eine Sozialbilanz vorlegen. Ermuntert werden sie durch mehrere klare Empfehlungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sich an diese neue und zum Teil recht aufwendige Form der Berichterstattung heranzuwagen, wobei die Arbeitgeber allerdings betonen, dass es sich um freiwillige Unternehmensaktivitäten handelt, die den Einflussbereich des Betriebsrates oder gar der Gewerkschaften nicht tangieren.

       Rein juristisch gesehen mag diese Auffassung sicherlich zutreffend sein. In der Praxis führt die Nichtbeteiligung des Betriebsrates jedoch dazu, dass eine Sozialbilanz, für die lediglich die Unternehmensleitung verantwortlich zeichnet, gegen den Vorwurf der Einseitigkeit zu kämpfen hat. Es kann dann passieren, dass – wie bei der BASF sehr spektakulär geschehen – der rosa gefärbten Schönwetterbilanz der Unternehmensleitung eine ebenso einseitige, tiefschwarze Negativbilanz von der Gewerkschaft entgegengesetzt wird.

      Nachdem bereits, in einigen Unternehmen die Zusammenarbeit von Unternehmensleitung und Betriebsrat im Hinblick auf die Sozialbilanzierung zur Routine geworden ist, werden sich wohl auch andere Unternehmen und deren Betriebsräte über einen Grundkonsens einigen müssen, wenn man dem ohnehin viel zu schnell zur Reglementierung bereiten Staat keinen Anlass geben will, die gesellschaftsbezogene Berichterstattung dem Aktienrecht einzugliedern. Damit würde eine Materie, die sich noch im lebendigen Experimentierstadium befindet, frühzeitig und unausgereift der Versteinerung preisgegeben.

       Die Entwicklung einer neuen Unternehmens-Ethik und eines veränderten Verantwortungsgefühls in der Unternehmerschaft vollzieht sich langsam aber stetig. Behördliche Reglementierungen oder übermäßiger gewerkschaftlicher Druck würden diese freiwillig und engagiert begonnene Entwicklung in die Defensive drängen und damit bestenfalls eine Festschreibung des status quo bewirken.

      Bundesministerium der Justiz

      Frohgemut klemmte ich die Zeitung unter den Arm und erschien pünktlich um 10 Uhr zum Vorstellungsgespräch im Kreuzbau des Bundesjustizministeriums. Mein erster Gesprächspartner dort war der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Sepp Binder, der, wie ich später merkte, der einflussreichste Mitarbeiter des Hauses war. In der internen Hierarchie kam er gleich nach dem Minister, noch vor dem Staatssekretär. Das Gespräch begann etwas zäh, aber spätestens als ich mit den Worten: „Ach, haben Sie übrigens heute schon meinen letzten Artikel in der Zeit gesehen?“ die entsprechende Seite aus meiner Jackentasche gezaubert hatte, war der Bann gebrochen. Binder war selbst früher Zeit-Redakteur gewesen und gehörte zu den Bewunderern ausgerechnet des für den Wirtschaftsteil verantwortlichen Redakteurs, Michael Jungblut.

      Alles andere war dann nur noch Formsache. Da ich im Leitungsbereich tätig werden sollte, sprach ich ein paar Worte mit Hans-Jochen Vogel, der für ein gutes Jahr mein oberster Chef werden sollte - bevor er als Regierender Bürgermeister nach Berlin ging und von Jürgen Schmude als Bundesjustizminister ersetzt wurde -, mit Vogels Staatssekretär Günther Erkel und dem für das Personal zuständigen Abteilungsleiter. Erst beim Personalreferenten wurden Einzelheiten meiner Einstellung erörtert. Personalchef Stückrath rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und druckste verlegen: „Also verstehen Sie mich bitte richtig, mir sind ein wenig die Hände gebunden. Soviel, wie Sie als Rechtsanwalt verdient haben, können wir Ihnen leider nicht bieten.“ Ich schaute ihn amüsiert an. Keinen Pfennig hatte ich bisher als Anwalt verdient. Aber da sah man wieder einmal, was das Image ausmacht. „Wie wäre es denn mit BAT Ia?“ fragte mein Gegenüber. Nun war es an mir, unruhig zu werden. Mir wurde heiß und kalt zugleich. BAT Ia entsprach einem Regierungsdirektor. Für eine Erst-Einstellung unglaublich hoch. Üblicherweise musste man sich erst einmal langsam an den Regierungsrat heran dienen. Wenn man Glück hatte, war nach etlichen Jahren ein Oberregierungsrat zu erreichen und mit viel Sitzfleisch kam dann nach frühestens zehn Jahren eventuell schon mal eine Position als Regierungsdirektor in Sicht. Mein Vater, ein fleißiger, kluger und sehr fähiger Kopf, hatte es nach einem erfolgreichen Verwaltungsleben gerade mal bis dorthin gebracht. Ich ließ mir aber nichts anmerken: „Tja, das ist natürlich hart.“ Kunstpause. „Aber die Aufgabe ist so interessant, dass man schon mal gewisse Einschränkungen in Kauf nimmt.“

      Mit 29 schon Regierungsdirektor! Es gelang mir – typisch vielleicht für einen Dünnbrettbohrer – schon dreißig Monate später als Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zwei weitere Gehaltsstufen übersprungen zu haben, d.h. ich wurde entsprechend einem Leitenden Ministerialrat bezahlt, hatte ein eigenes Spesenkonto, durfte mich von der Fahrbereitschaft des Bundestages fahren lassen, hatte Sitz in etlichen Gremien, wie Parteivorstand, Fraktionsvorstand etc. und war Mitherausgeber einer Zeitschrift. Gerade einmal 32 Jahre alt, war ich bereits ausgestattet mit den Insignien der Macht.

      Doch auf der Suche nach der Macht hatte ich mich immer nur um die Macht selbst gekümmert und niemals einen Gedanken darauf verschwendet, was ich denn damit anfangen sollte. Wie Jürgen Möllemann und ähnlichen Politikern fehlte mir das moralische und theoretische Rüstzeug, um Macht gestalten und ausüben zu können oder auch nur zu dürfen.

      Wenn ich damals bereits im Justizministerium die Augen besser geöffnet hätte, hätte ich schon beim Minister-Wechsel von Vogel zu Schmude – übrigens genau an meinem 30. Geburtstag – entscheidende Erkenntnis für mein politisches Leben gewinnen können und damit manche Sackgasse vermieden: Vogel stand ständig unter Strom, war immer und überall präsent. Er übernachtete sogar häufig im Ministerium neben seinem Arbeitszimmer. Wir im Leitungsbereich hatten einen Bereitschaftsdienst einzurichten und wurden mit weit reichenden Pieps-Geräten, wie man sie aus den TV-Krankenhausserien kennt (damals gab es noch keine Handys) zur ständigen Erreichbarkeit ausgestattet. Bei Lichte betrachtet gingen aber von Vogel selbst niemals wirklich kreative, eigene Impulse aus. Letztlich verwaltet er nur das Erbe, das schon Gustav Heinemann seinen SPD-Nachfolgern im Ministerium (Ehmke, Jahn und Vogel) hinterlassen hatte, bevor er Bundespräsident geworden war. Heinemann hatte alle justizpolitischen Meilensteine bereits vorbereitet und konzipiert, die Jahn mehr oder minder auf den Weg brachte und die dann schließlich Vogel formal und bürokratisch umsetzte. Kreativität war nicht so Vogels Ding. Letztlich blieb er gefangen im selbsterzeugten Stresskäfig, der kaum Muße ließ, um über den bürokratischen Tellerrand hinaus zu blicken. Ein – wenn auch logisch brillant agierender – Workaholic mag ein guter Staatssekretär sein, ist aber niemals ein guter Minister. Obgleich gerade in jener Zeit Stan Nadolnys „Entdeckung der Langsamkeit“ ein Bestseller wurde, und zuvor


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