Erziehungskunst III. Rudolf Steiner

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Erziehungskunst III - Rudolf Steiner


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Steiner wird gebeten, die Szene zwischen Napoleon und seinem Sekretär zu erzählen.

      Rudolf Steiner: Da müsste man erst die Baukommission um Erlaubnis fragen! – Diese in der Rede vorgemalte Szene müsste die redende Person so behandeln, dass Cholerisches dabei herauskommt. Das wird immer Kraft sammeln beim cholerischen Kinde, so dass man es dann weiter behandeln kann. Ein Ideal wäre: der cholerischen Gruppe eine Situation vormalen, um auf diese Weise wiederum Kraft gesammelt zu haben. Dann hält es immer ein paar Tage an. Die Kinder werden dann ein paar Tage hindurch gar nicht gehindert sein, die Dinge aufzunehmen. Sonst toben sie innerlich an gegen Dinge, die sie begreifen sollten. Nun möchte ich, dass Sie folgendes versuchen: Von diesem Behandeln der Temperamente sollte etwas bleiben, und da würde ich Fräulein B. bitten, auf höchstens sechs Seiten eine zusammenfassende Darstellung zu geben von der Eigentümlichkeit der Temperamente und ihrer Behandlung, auf Grund alles dessen, was ich hier besprochen habe. Es braucht nicht schon morgen zu sein. Dagegen möchte ich Frau E. bitten, sich vorzustellen, sie hätte zwei Gruppen vor sich: sanguinische Kinder und melancholische Kinder, und sie sollte so abwechseln mit einer Art Zeichenunterricht, mit einfachen Zeichenmotiven, dass das eine Mal gedient wäre den sanguinischen, das andere Mal den melancholischen Kindern. Jetzt möchte ich außerdem noch bitten: Herr T. kann dieselbe Sache machen mit dem Zeichnen für phlegmatische und cholerische Kinder, so dass Sie uns dann dies morgen vorführen können, so wie Sie es sich zurechtgelegt haben. Dann würde ich vielleicht Fräulein A., Fräulein D. und Herrn R. bitten, folgende Aufgaben zu behandeln: Sie denken sich, Sie sollen ein und dasselbe Märchen erzählen, zweimal hintereinander, so, dass Sie es nicht ganz gleich erzählen, sondern in verschiedene Sätze einkleiden und so weiter. Das erste Mal nehmen Sie mehr Rücksicht auf sanguinische, das zweite Mal auf melancholische Kinder, so dass beide etwas davon haben. Dann würde ich bitten, dass Herr M. und Herr L. sich mit der schwierigen Aufgabe befassen, die individuelle Beschreibung eines Tieres oder einer Tiergattung zu geben und sie das eine Mal für cholerische, das andere Mal für phlegmatische Kinder zuzurichten. Herr O., Herr N., und vielleicht hilft auch Herr U. mit, die würde ich bitten, einmal die Aufgabe zu lösen, wie man im Rechnen Rücksicht nehmen konnte auf die vier Temperamente, gerade nur im Rechnen. Nicht wahr, wenn Sie nun auf solche Dinge wie auf die Temperamente so Ihre Aufmerksamkeit lenken, um danach die Klasse für den Unterricht einzuteilen, müssen Sie vor allen Dingen darauf Rücksicht nehmen, dass der Mensch als solcher ein fortwährend Werdender ist. Und das ist etwas, was wir uns in unserem Erzieherbewusstsein immer-während aneignen müssen, dass der Mensch ein fortwährend Werdender ist, dass er Metamorphosen unterliegt im Verlaufe seines Lebens. Und ebenso gut wie wir stark reflektieren auf die einzelnen Temperamentsanlagen der einzelnen Kinder, können wir reflektieren auf das Werdende, und können sagen: In der Hauptsache sind alle Kinder Sanguiniker, ob sie auch im einzelnen phlegmatisch oder cholerisch sind. Alle Jünglinge und Jungfrauen sind eigentlich Choleriker, und wenn es nicht so ist, wenn es in dieser Zeit nicht da ist, ist es eine ungesunde Entwicklung. Im Mannes- und Frauenalter ist der Mensch Melancholiker. Und im Greisenalter ist er phlegmatisch. Das beleuchtet wiederum doch ein wenig die Situation in Bezug auf die Temperamente, denn Sie sehen da etwas, was ganz besonders notwendig ist, in unserer jetzigen Zeit zu berücksichtigen. Wir lieben in unserer jetzigen Zeit, uns starre, fest definierte Begriffe zu machen. In Wirklichkeit geht alles ineinander, so dass man in dem Augenblick, wo man gesagt hat, der Mensch bestehe aus Kopf-, Brust- und Gliedmaßenmensch, sich auch klarmachen muss, dass eben alles ineinandergeht. So ist ein cholerisches Kind nur der Hauptsache nach cholerisch, ein sanguinisches nur der Hauptsache nach sanguinisch und so weiter. Gelegenheit, vollcholerisch zu sein, hat man eigentlich erst im Jünglings- und Jungfrauenalter. Manche bleiben ihr ganzes Leben hindurch Jünglinge, weil sie sich das Jünglingsalter ihr ganzes Leben hindurch bewahren. Nero und Napoleon kamen überhaupt nicht über das Jünglingsalter hinaus. Wir ersehen daraus, wie sich Dinge, die eigentlich im Werden miteinander wechseln, doch wieder im Wechsel ineinanderschieben. Worauf beruht des Dichters, wie überhaupt geistige Produktivität? Worauf beruht es, dass man Dichter werden kann? Darauf, dass man gewisse Eigenschaften des Jünglings- und Kindesalters das ganze Leben hindurch bewahrt. Man hat um so mehr Anlage zur Dichtkunst, je mehr man jung geblieben ist. Es ist in gewissem Sinne ein Unglück für den Menschen, wenn man sich nicht die Möglichkeit bewahrt, gewisse Jugendeigenschaften, ein gewisses Sanguinisches, so für das ganze Leben zu bewahren. Es ist sehr wichtig für den Erzieher, sanguinisch durch Entschluss werden zu können. Das ist außerordentlich wichtig, dass man das als Erzieher berücksichtigt, so dass man diese glückliche Veranlagung des Kindes als etwas ganz Besonderes pflegt. Alle produktiven Eigenschaften, alles, worauf das Gedeihen des geistig-kulturellen Gliedes des sozialen Organismus beruhen wird, das werden die jugendlichen Eigenschaften des Menschen sein, das wird gemacht werden von Menschen, die Jugendtemperament bewahrt haben. Schäften hereinragen, auch wenn wir jung sind. Denn alles wirtschaftliche Urteil beruht auf der Erfahrung. Erfahrung wird nicht besser bewirkt als dadurch, dass in den Menschen gewisse Alterseigenschaften hereinragen, und der Greis ist ja Phlegmatiker. Der Geschäftsmann gedeiht am besten, wenn er in die übrigen Merkmale und Eigenschaften des Menschen ein gewisses Phlegma beigemischt hat, das eigentlich schon ein Greisenhaftes ist. Das ist das Geheimnis sehr vieler Geschäftsleute, dass sie sonst sehr gute Geschäftsleute sind, aber etwas Greisenhaftes beigemischt haben, namentlich in Dispositionen und so weiter. Derjenige, der in der Wirtschaft nur das sanguinische Temperament entwickeln würde, der würde nur zu Jugendprojekten kommen, die nie fertig werden. Der Choleriker, der jünglinghaft geblieben ist, würde sich durch gewisse spätere Maßregeln frühere verderben. Der Melancholiker kann ja sowieso nicht Geschäftsmann werden. Dagegen ist eine harmonische Geschäftsentwicklung mit einer greisenhaften Fähigkeit verbunden, die einen in die Lage versetzt, Erfahrungen aus dem Wirtschaftsleben zu sammeln. Wer Neigung zur Erfahrung hat, der ist stets ein phlegmatischer Greis. Harmonische Temperamente mit Phlegma, das gibt die beste Wirtschaftskonstellation. Sie sehen, dass man, wenn man die Zukunft der Menschheit bedenkt, solche Dinge beachten, Rücksicht darauf nehmen muss. Man ist als dreißigjähriger Dichter oder Maler nicht nur dreißigjähriger Mensch, sondern es haben sich zugleich kindliche, jugendliche Eigenschaften in den Menschen hereingeschoben. Wenn einer produktiv ist, kann man sehen, wie ein Zweiter in ihm lebt, in dem er mehr oder weniger kindlich geblieben ist, in dem das Kindliche in ihn hereingeschoben ist. Alle diese angeführten Dinge müssen Gegenstand einer neuartigen Psychologie werden.

      Dritte Seminarbesprechung

      23. AUGUST 1919, STUTTGART

      A. erzählt das Märchen vom »Marienkind« zunächst für melancholische und dann für sanguinische Kinder.

      Rudolf Steiner: Ich meine, Sie werden in Zukunft berücksichtigen müssen, die Sachen artikuliert zu geben. Sie haben die beiden Fassungen in zu gleicher Art vorgebracht. Der Unterschied muss auch in der Artikulation liegen. Wenn Sie diese Details in etwas eindringlicherer Art vorbringen, werden Sie bei melancholischen Kindern den Eindruck nicht verfehlen. Bei Sanguinikern würde ich den Vortrag, besonders am Anfang, etwas mehr mit Zwischenpausen gestalten, so dass das Kind gezwungen ist, die Aufmerksamkeit, die es hat fallen lassen, immer von neuem wieder aufzunehmen. Nun möchte ich aber noch fragen: Wie würden Sie diese Erzählung weiter verwenden, wenn Sie wirklich konkret zu unterrichten hätten? Stellen Sie sich vor, Sie stünden vor Ihrer Klasse, was würden Sie dann tun? – Ich würde Ihnen raten, nachdem Sie die melancholische Fassung vorgebracht haben, sie sich nacherzählen zu lassen von einem sanguinischen Kinde und umgekehrt.

      D.: Ich will vorausschicken, dass ich für ratsam halte, das sanguinische Kind straff vor sich zu setzen und dauernd in der Blickrichtung zu halten, während für die melancholischen Kinder möglichst eine behagliche, gemütliche Stimmung zu erzeugen ist.

      Rudolf Steiner: Sehr gut bemerkt.

      D. erzählt das Märchen vom »Meerkätzchen« zunächst in der Fassung für das sanguinische und dann für das melancholische Kind und bemerkt dazu, dass die melancholischen Kinder nicht viel Trauriges erzählt haben wollen.

      Rudolf Steiner: So etwas kann man berücksichtigen. Aber die Kontrastierung war gut. Nun würde ich meinen, dass noch übergegangen werden muss auf die Art, wie man das nun nach einiger Zeit weiter behandelt. Ich würde am nächsten Tage oder am darauffolgenden Tage nicht das Kind bestimmen,


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