Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518. Heinrich Boehmer

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Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518 - Heinrich Boehmer


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kann man aus ihr auch nicht durch die Willkür eines anderen Menschen, sondern nur durch die eigene Sünde und Missetat ausgestoßen werden. Die Erregung über die Tyrannei der Offiziale, die schon öfters zur Ermordung dieser Beamten geführt hat, wird sofort nachlassen, wenn das Volk hört, dass dieselben auch durch den Missbrauch ihrer Gewalt nicht Schaden, sondern nur Nutzen stiften können. Denn Unrecht leiden schadet der Seele nicht, sondern ist ihr stets zum Heil. „Wirst du ungerechterweise um der Wahrheit oder Gerechtigkeit willen gebannt, dann darfst du ja nicht aufhören, das zu tun, weswegen du solche Gewalttat erleiden musst. Stirbst du darüber ohne Sakrament und wird dein Leichnam in ungeweihter Erde verscharrt oder gar wieder ausgegraben und ins Wasser geworfen, wohl dir! Selig ist, wer in solch ungerechtem Bann dahingeht. Denn, weil er der Gerechtigkeit treu geblieben ist, wird er die Krone des Lebens erlangen.“ Die Predigt machte insbesondere auf die Juristen und Theologen einen gewaltigen Eindruck. Es schien Luther daher gut, über das gleiche Thema in nächster Zeit eine öffentliche Disputation zu halten. Aber der Bischof von Brandenburg kam ihm wieder dazwischen. Auf die Kunde von seinem Vorhaben sandte er sofort einen expressen Boten nach Wittenberg, um ihn zu ersuchen, die Disputation zu vertagen, und da auch die Freunde für Aufschub waren, so fügte er sich.

      Allein unter seiner Kanzel hatten am 16. Mai auch etliche „gräuliche Späher“ gesessen, Sendlinge oder Kreaturen der Dominikaner. Die machten jetzt aus seinen Worten einige in gehässiger Weise zugespitzte Thesen, und diese Thesen verbreiteten sie dann, wo und wie sie konnten. Er erfuhr das ganz zufällig erst mehr als zwei Monate später, als er mit Johann Lang in Ordensangelegenheiten in Dresden weilte. Man betrachtete ihn dort am herzoglichen Hofe bereits mit Misstrauen. Aber da er schon ein so berühmter Mann war, so forderte man ihn doch auf, in der Schlosskapelle am 25. Juli vor dem Hofe – Herzog Georg selbst weilte jedoch schon in Augsburg – eine Predigt über den heiligen Jakobus zu halten. Am Abend sah er sich dann gezwungen, einer Einladung des Hofkaplans Hieronymus Emser Folge zu leisten. Er fand bei demselben eine ganze Anzahl ihm unbekannter Leute vor, darunter einen eifrigen Leipziger Thomisten, den Magister Weißestadt, mit dem er alsbald in ein sehr lebhaftes Gespräch über Aristoteles und Thomas von Aquino geriet. Dass dieses Gespräch hinter der Tür von einem Dominikaner aus Tetzels Vaterstadt Pirna belauscht wurde, ahnte er nicht, auch nicht, dass Emser und Genossen die ganze Zusammenkunft nur arrangiert hatten, um ihn auszuhorchen. Nur eins fiel ihm sehr auf: dass ihm Weißestadt mit jenen angeblich von ihm verfassten Thesen zu Leibe gehen zu können glaubte. Bald nach seiner Rückkehr ins Schwarze Kloster erfuhr er, dass seine Feinde auch in Augsburg mit dieser Fälschung gegen ihn arbeiteten. Daraufhin entschloss er sich sofort, die wichtigsten Sätze jener Predigt, soweit er sie noch im Gedächtnis hatte, aufzuschreiben und als Flugschrift herauszugeben. Aber seine Feinde waren diesmal noch schneller gewesen als er. Sie hatten schon in den letzten Julitagen die gefälschten Thesen mitsamt einem angeblich von ihm herrührenden bitterbösen Epigramm über die Geldgier der Kurie in Augsburg dem päpstlichen Legaten Cajetan in die Hände gespielt, und dieser hatte darauf schon am 5. August das neue Corpus delicti samt einem kaiserlichen Briefe nach Rom gesandt, in dem der Kaiser die Kurie ersuchte, den Bruder Martin Luther, der so verdammungswürdig und ketzerisch nicht nur über die Ablässe, sondern auch über die Kraft des päpstlichen Bannes lehre, unverzüglich zu bannen, zumal zu befürchten sei, dass er mit seinen Ketzereien nicht bloß das unwissende Volk, sondern auch mächtige Fürsten anstecke. Er, der Kaiser, werde nicht verfehlen, das päpstliche Urteil prompt zu vollstrecken. Diese Depesche Cajetans machte begreiflicherweise in Rom einen sehr starken Eindruck. Wenn der Kaiser selbst sich so besorgt äußerte, dann musste der Bruder Martin doch viel gefährlicher sein, als man bisher angenommen hatte. Der Auditor Ghinucci, dem man die gefälschten Thesen und das gefälschte Epigramm vorlegte, konnte diese Ansicht denn auch nur bestätigen. Er erklärte Luther auf Grund dieses neuen Materials für einen notorischen Ketzer und empfahl dem Papst, gegen ihn nunmehr sogleich all die im kanonischen Rechte für solche Fälle vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Leo X. ging auch hierauf ein. Am 23. August ermächtigte er Cajetan, in einem sehr umfänglichen Breve (Postquam ad aures), den neuen Ketzer unverzüglich zu verhaften und bis auf weitere Weisung aus Rom sorgfältig zu verwahren. Unter demselben Datum ersuchte er in einem zweiten Breve den Kurfürsten von Sachsen, den „Sohn der Bosheit“ an Cajetan auszuliefern, und in einem dritten den derzeitigen Vorsteher des Augustinerordens, Gabriele della Volta, einen mit allen hierzu nötigen Vollmachten ausgestatteten Ordensbruder nach Deutschland zu entsenden, um den Häretiker und Schismatiker Martinus zu ergreifen, an Händen und Füßen zu fesseln und gefangen zu setzen. Schon zwei Tage später teilte Volta dies Breve dem sächsischen Augustinerprovinzial Gerhard Hecker mit und fügte hinzu, dass auch er Martinus als Rebell wider den Orden nach Rom zitiert habe.

      Damit schien Luthers Schicksal besiegelt.

      Da ereignete sich ein Vorfall, der den Legaten wie die Kurie veranlasste, sofort andere Seiten aufzuziehen. Am 27. August lehnte Kurfürst Friedrich es endgültig ab, den von Kaiser Maximilian dem Kurfürsten vorgelegten Vertrag über die Wahl seines Enkels Karl von Spanien zum römischen König zu unterzeichnen. Die Wahl Karls war, wie Cajetan wusste, der Kurie absolut unerwünscht. Sie konnte aber, so wie die Dinge jetzt lagen, nur dann verhindert werden, wenn der Kurfürst fest blieb. Wollte der Legat einigermaßen den Intentionen seines hohen Auftraggebers gerecht werden, dann musste er also jetzt alles daransetzen, den Kurfürsten bei der Stange zu halten. Er kam, kaum zu seiner Freude, sehr bald in die Lage, von dieser Einsicht Gebrauch zu machen. Bereits an einem der nächsten Tage ließ sich Friedrich bei ihm im Fuggerhause melden, um ihn zu bitten: Luther selber in Augsburg väterlich, aber nicht richterlich zu verhören und ihn danach ungehindert wieder nach Wittenberg zu entlassen. Was hatte den Kurfürsten zu diesem Schritt veranlasst? Allem Anschein nach nicht das damals wohl noch auf dem Wege nach Augsburg befindliche Breve, das ihm die Auslieferung des Sohnes der Bosheit anbefahl, denn so schnell auf solche unerwartete Zumutungen zu reagieren war durchaus nicht seine Art, sondern das inzwischen von ihm gründlich überlegte und mit seinen Räten nach allen Richtungen hin durchgesprochene Gesuch Luthers vom 8. August: bei dem Papst die Commissio causae suae ad partes Alemanniae zu erwirken. Das ominöse Breve ist wahrscheinlich erst später auf denselben Schleichwegen wie die anderen Breven von Spalatin dem Sekretär des Kardinals abgeluchst, also von Cajetan selbst wohl nie offiziell überreicht worden. Wie dem aber auch sein möge, jedenfalls sah sich Cajetan genötigt, auf den Wunsch des Fürsten einzugehen und in diesem Sinne nach Rom zu berichten. Dort war man inzwischen schon durch seine früheren Berichte über Friedrichs Haltung in der Wahlfrage zu der Erkenntnis gelangt, dass man dies einflussreichste Mitglied des Kurfürstenkollegs sich möglichst warmhalten müsse, und hatte aus diesem Grunde schon am 3. September beschlossen, Friedrich die höchste Auszeichnung, die der Papst zu vergeben hatte, die Goldene Tugendrose, zu verleihen. Als die neue Depesche Cajetans etwa am 9. oder 10. September eintraf, war man daher gleich bereit, den Wünschen Friedrichs so weit als möglich Rechnung zu tragen. Die seit Jahrhunderten der Kurie geläufige Überordnung ihrer weltlich-politischen Interessen über ihre kirchlichen Pflichten und Aufgaben hinderte sie also jetzt schon, in der lutherischen Angelegenheit das zu tun, was sie selbst als richtig und unbedingt nötig erkannt hatte.

      Am 11. September ließ Leo X. an Cajetan die Weisung ergehen: Luther in Augsburg sorgfältig, aber unter Vermeidung jeglicher Disputation, zu verhören, und ermächtigte ihn zugleich, „je nach Befund zur Freisprechung oder zur Verurteilung zu schreiten“. Etwa am 20. September konnte Cajetan dem Kurfürsten dieses neue Breve zeigen. Dass er Luther auch im Falle eines unbefriedigenden Ausgangs des von ihm anzustellenden Verhörs in Gnaden wieder entlassen solle, war darin freilich nicht gesagt. Aber dies Zugeständnis konnte er dem Kurfürsten unbedenklich auf eigene Verantwortung und Gefahr machen, nachdem ihm Friedrich in aller Form zugesichert hatte, „dass er der erste sein werde, Martinus in Strafe zu nehmen, wenn er durch Urteil päpstlicher Heiligkeit in Rom verdammt werden sollte“.

      Luther hatte von der schweren Gefahr, in der er schwebte, nichts verlauten hören. Der sehr bedenklich klingende Brief, den Staupitz am 14. September von Salzburg aus an ihn richtete: „Du hast, soweit ich sehe, nur noch das Kreuz, d. h. das Martyrium, zu erwarten. Verlasse daher Wittenberg zur rechten Zeit und komme zu mir, damit wir zusammen leben und sterben. Der Fürst (Erzbischof Matthäus Lang) ist damit einverstanden“, erreichte ihn erst, als er bereits von Spalatin über die Absichten Cajetans beruhigt worden war. Kurz danach, am 24. oder 25. September,


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