Winnetou Band 1. Karl May

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Winnetou Band 1 - Karl May


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auffällig, und ich stand von meinem Sitz auf, um Henry anzudeuten, daß

       ich zu gehen wünsche. Er weigerte sich nicht, und wir wurden jetzt auch ich noch freundlicher entlassen,

       als der Empfang gewesen war.

       Als wir dann so weit gegangen waren, daß man uns von dem Bureau aus nicht mehr sehen konnte, blieb

       Henry stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte, indem sein Gesicht in heller Genugtuung

       leuchtete:

       »Sir, Mann, Mensch, Jüngling, Greenhorn, aber habt Ihr mir eine Freude gemacht! Ich bin ja förmlich

       stolz auf Euch!«

       »Warum?«

       »Weil Ihr meine Empfehlung und die Erwartung dieser Leute noch übertroffen habt!«

       »Empfehlung? Erwartung? Ich verstehe Euch nicht.«

       »Ist auch nicht nötig. Die Sache ist aber sehr einfach. Ihr behauptetet kürzlich, etwas von der

       Feldmesserei zu verstehen, und um zu erfahren, ob dies etwa nur Flunkerei gewesen sei, habe ich Euch zu

       diesen Gentlemen, die gute Bekannte von mir sind, geführt und Euch von ihnen auf den Zahn fühlen

       lassen. Es ist ein sehr gesunder Zahn, denn Ihr habt Euch höchst ehrenvoll herausgebissen.«

       »Flunkerei? Mr. Henry, wenn Ihr mich solcher Dinge für fähig haltet, werde ich Euch nicht mehr

       besuchen!«

       »Laßt Euch nicht auslachen! Ihr werdet mich alten Kerl doch nicht der Freude berauben, die mir Euer

       Anblick macht. Wißt schon, wegen der Ähnlichkeit mit meinem Sohne! Seid Ihr vielleicht einmal beim

       Pferdehändler gewesen?«

       »Täglich des Morgens.«

       »Und habt den Rotschimmel geritten?«

       »Ja.«

       »Wird etwas aus dem Pferde?«

       »Will es meinen. Nur bezweifle ich, daß der, welcher es kauft, so gut mit ihm auskommen wird wie ich.

       Es hat sich nur an mich gewöhnt und wirft jeden Andern ab.«

       »Freut mich, freut mich ungeheuer; es will also, wie es scheint, nur Greenhorns tragen. Kommt einmal

       mit durch diese Seitenstraße! Weiß da drüben ein famoses dining-house, in welchem man sehr gut speist

       und noch besser trinkt. Das Examen, welches Ihr heut so vortrefflich bestanden habt, muß gefeiert

       werden.«

       Ich konnte Henry nicht begreifen; er war wie umgetauscht. Er, der einsame, zurückhaltende Mann, wollte

       in einem dining-house essen! Auch sein Gesicht war ein anderes als gewöhnlich, und seine Stimme klang

       heller und froher als sonst. Examen hatte er gesagt. Das Wort fiel mir auf, konnte hier aber ein ganz

       bedeutungsloser Ausdruck sein.

       Von diesem Tage an besuchte er mich täglich und behandelte mich wie einen lieben Freund, den man

       bald zu verlieren befürchtet. Aber einen Stolz über diese Bevorzugung ließ er in mir nicht aufkommen; er

       hatte stets einen Dämpfer bereit, welcher in dem fatalen Wort Greenhorn bestand.

       Sonderbarerweise hatte sich zu derselben Zeit auch das Verhalten der Familie, in der ich wirkte,

       verändert. Die Eltern hatten sichtlich mehr Aufmerksamkeit für mich, und die Kinder waren zärtlicher

       geworden. Ich überraschte sie bei heimlichen Blicken auf mich, die ich nicht verstehen konnte; ich hätte

       sie liebevoll und auch bedauernd nennen mögen.

       Ungefähr drei Wochen nach unserm sonderbaren Besuche im Bureau bat mich die Lady, am Abend, der

       heut für mich ein freier war, nicht auszugehen, sondern das supper mit der Familie zu nehmen. Als Grund

       dieser Einladung gab sie an, daß Mr. Henry kommen werde, und außerdem habe sie zwei Gentlemen

       geladen, von denen der eine Sam Hawkens heiße und ein berühmter Westmann sei. Ich als Greenhorn

       hatte diesen Namen noch nicht gehört, freute mich aber doch darauf, den ersten wirklichen und sogar

       berühmten Westmann kennen zu lernen.

       Da ich Hausgenosse war, brauchte ich nicht bis Punkt zum Glockenschlage zu warten, sondern stellte

       mich einige Minuten vorher in dem dining-room ein. Dort sah ich zu meiner Verwunderung nicht das

       gewöhnliche Arrangement, sondern es war wie zu einem Feste gedeckt worden. Die kleine, fünfjährige

       Emmy hatte sich allein in dem Raume befunden und den Finger, um zu naschen, in das Beerenkompott

       gesteckt. Sie zog ihn, als ich eintrat, schnell zurück und wischte ihn spornstreichs an ihrem hochblonden

       Frisurchen ab. Als ich nun mit strafendem Winke den meinigen erhob, kam sie auf mich zugesprungen

       und flüsterte mir einige Worte zu. Um ihr Vergehen gut zu machen, teilte sie mir das Geheimnis der

       letzten Tage, welches ihr das kleine Herzchen fast abgedrückt hatte, mit. Ich glaubte, falsch verstanden zu

       haben; sie aber wiederholte auf meine Aufforderung dieselben Worte: »Your farewell-feast.«

       Mein Abschiedsschmaus! Das konnte doch unmöglich sein! Wer weiß, durch welches Mißverständnis das

       Kind auf diese jedenfalls irrige Meinung gekommen war. Ich lächelte darüber. Dann hörte ich Stimmen

       im Parlour; die Gäste kamen, und ich ging hinüber, sie zu begrüßen. Sie waren alle drei zu gleicher Zeit

       gekommen, auf Verabredung hin, wie ich später erfuhr. Henry stellte mir einen jungen, etwas stumpf und

       ungelenk aussehenden Mann als einen Mr. Black und dann Sam Hawkens, den Westmann, vor.

       Den Westmann! Ich gestehe offen zu, daß ich, als mein Auge verwundert auf ihm ruhte, wohl nicht sehr

       geistreich ausgesehen haben mag. Eine solche Gestalt hatte ich denn doch noch nicht gesehen; später

       freilich habe ich noch ganz andere kennen gelernt. War der Mann schon an sich auffällig genug, so wurde

       dieser Eindruck dadurch erhöht, daß er hier in dem feinen Parlour ganz genau so stand, wie er draußen in

       der Wildnis gestanden haben würde, nämlich ohne die Kopfbedeckung abzunehmen und mit dem

       Gewehre in der Hand. Man denke sich folgendes Äußere:

       Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem

       schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würden, blickte zwischen einem Walde von

       verworrenen, schwarzen Barthaaren eine Nase hervor, die von fast erschreckenden Dimensionen war und

       jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge dieses gewaltigen

       Bartwuchses waren außer dem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen

       Gesichtsteilen nur die zwei kleinen, klugen Äuglein zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen

       Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List auf mir ruhten.

       Der Mann betrachtete mich ebenso aufmerksam wie ich ihn; später erfuhr ich den Grund, warum er sich

       so für mich interessierte.

       Diese Oberpartie ruhte auf einem Körper, welcher bis auf die Knie herab unsichtbar blieb und in einem

       alten, bockledernen Jagdrocke stak, der augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt

      


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