Winnetou Band 1. Karl May

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Winnetou Band 1 - Karl May


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einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung

       guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins steckten, die so

       hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor zwei Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und

       die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in denen zur Not der Besitzer

       in voller Person hätte Platz finden können.

       In der Hand trug dieser berühmte "Westmann" eine Flinte, welche ich wohl nur mit der äußersten

       Vorsicht angefaßt hätte; sie war einem Knüppel viel ähnlicher als einem Gewehre. Ich konnte mir in

       diesem Augenblicke keine größere Karikatur eines Präriejägers denken, doch sollte keine lange Zeit

       vergehen, bis ich den Wert dieses originellen Männchens vollauf erkennen lernte.

       Nachdem er mich genau betrachtet hatte, fragte er den Büchsenmacher mit einer dünnen Stimme, die wie

       eine Kinderstimme klang:

       »Ist dies das junge Greenhorn, von dem Ihr mir erzählt habt, Mr. Henry?«

       »Yes,« nickte dieser.

       »Well! Gefällt mir gar nicht übel. Hoffe, daß Sam Hawkens ihm auch gefallen wird, hihihihi!«

       Mit diesem feinen, ganz eigenartigen Lachen, welches ich später noch tausendmal von ihm gehört habe,

       wendete er sich nach der Tür, die sich in diesem Augenblicke öffnete. Der Herr und die Dame des Hauses

       traten ein und begrüßten den Jäger in einer Weise, welche vermuten ließ, daß sie ihn schon einmal

       gesehen hatten. Das war hinter meinem Rücken geschehen. Dann luden sie uns ein, in das Speisezimmer

       zu treten.

       Wir folgten dieser Aufforderung, wobei Sam Hawkens zu meinem Erstaunen gar nicht vorher ablegte.

       Erst als wir unsere Plätze an der Tafel angewiesen erhielten, sagte er, indem er auf seinen alten

       Schießprügel deutete:

       »Ein richtiger Westmann läßt sein Gewehr niemals aus den Augen und ich meine brave Liddy erst recht

       nicht. Werde sie dort an die Gardinenrosette hängen.«

       Also Liddy nannte er sein Gewehr! Später erfuhr ich freilich, daß es die Gewohnheit vieler Westläufer ist,

       ihr Gewehr wie ein lebendes Wesen zu behandeln und ihm einen Namen zu geben. Er hing es an die

       genannte Stelle und wollte den famosen Hut hinzufügen; als er ihn abnahm, blieb zu meinem Entsetzen

       sein ganzes Kopfhaar an demselben hängen.

       Es war wirklich zum Erschrecken, welchen Anblick nun sein hautloser, blutigroter Schädel bot. Die Lady

       schrie laut auf, und die Kinder kreischten, was sie konnten. Er aber wandte sich zu uns um und sagte

       ruhig:

       »Erschreckt nicht, Myladies und Mesch'schurs; es ist ja weiter nichts! Hatte meine eigenen Haare mit

       vollem Rechte und ehrlich von Kindesbeinen an getragen, und kein Advokat wagte es, sie mir streitig zu

       machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees über mich kamen und mir die Haare samt der Haut vom

       Kopfe rissen. War ein verteufelt störendes Gefühl für mich, habe es aber glücklich überstanden, hihihihi!

       Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir einen neuen Skalp gekauft, wenn ich mich nicht irre;

       wurde Perücke genannt und kostete mich drei dicke Bündel Biberfelle. Schadet aber nichts, denn die neue

       Haut ist viel praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt,

       hihihihi.«

       Er hing den Hut zur Flinte und stülpte sich die Perücke wieder auf den Kopf. Dann zog er den Rock aus

       und legte ihn über einen Stuhl. Dieser Rock war viele, viele Male geflickt und ausgebessert worden,

       immer ein Lederfetzen wieder auf den andern genäht, und dadurch hatte dieses Kleidungsstück eine

       Steifheit und Dicke erlangt, daß wohl kaum ein Indianerpfeil hindurchkommen konnte.

       Nun sahen wir seine dünnen, krummen Beine ganz. Der Oberkörper stak in einer ledernen Jagdweste. Im

       Gürtel hatte er ein Messer und zwei Pistolen stecken. Als er seinen Stuhl an der Tafel wieder erreichte,

       warf er erst auf mich und dann auf die Dame des Hauses einen listigen Blick und fragte:

       »Mag Mylady nicht, bevor wir an das Essen gehen, diesem Greenhorn sagen, um was es sich handelt,

       wenn ich mich nicht irre?«

       Der Ausdruck "wenn ich mich nicht irre" war bei ihm zur stehenden Redensart geworden. Die Lady

       nickte, drehte sich mir zu, deutete auf den jüngeren Gast und sagte:

       »Ihr werdet vielleicht noch nicht wissen, daß Mr. Black hier Euer Nachfolger ist, Sir.«

       »Mein Nachfolger?« stieß ich ganz betroffen hervor.

       »Jawohl. Da wir heut Euern Abschied von uns feiern, waren wir gezwungen, uns nach einem neuen

       Lehrer umzusehen.«

       »Meinen Abschied ?«

       Heute preise ich das Schicksal, daß ich in jenem Augenblick nicht photographiert worden bin, denn ich

       habe jedenfalls wie die personifizierte Verblüfftheit ausgesehen.

       »Ja, Euern Abschied, Sir,« nickte sie mit einem wohlwollenden Lächeln, welches ich aber nicht für am

       Platze fand, denn mir selbst war keineswegs zum Lächeln. Sie fügte hinzu: »Es hätte eigentlich gekündigt

       werden sollen, doch wollen wir Euch, den wir so lieb gewonnen haben, nicht hinderlich sein, Euer Glück

       so bald wie möglich zu ergreifen. Es tut uns innig leid, Euch von uns gehen zu sehen, doch geben wir

       Euch unsere besten Wünsche mit. Reist in Gottes Namen morgen ab!«

       »Abreisen? Morgen? Wohin denn?« brachte ich mühsam hervor.

       Da schlug mir Sam Hawkens, der neben mir stand, mit der Hand auf die Achsel und antwortete lachend:

       »Wohin? Nach dem wilden Westen mit mir. Ihr habt ja Euer Examen glänzend bestanden, hihihihi! Die

       andern Surveyors reiten morgen fort und können nicht auf Euch warten; Ihr müßt unweigerlich mit. Ich

       und Dick Stone und Will Parker, wir sind als Führer engagiert, immer den Kanadian hinauf und ins New

       Mexiko hinein. Denke doch nicht, daß Ihr hier und ein Greenhorn bleiben wollt!«

       Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das alles war abgekartete Sache gewesen! Surveyor,

       Feldmesser, vielleicht gar für eine der großen Bahnen, welche geplant wurden. Welch ein froher

       Gedanke! Ich brauchte gar nicht zu fragen; ich erhielt die Auskunft unaufgefordert, denn mein alter, guter

       Henry trat zu mir, faßte mich bei der Hand und sagte:

       »Hab's Euch ja schon gesagt, weshalb ich Euch gern habe. Ihr seid hier bei braven Menschen, aber ein

       Hauslehrerposten ist nichts für Euch, Sir, gar nichts. Ihr müßt nach dem Westen. Habe mich darum an die

       Atlantik und Pazifik Company gewendet und Euch examinieren lassen, ohne daß Ihr es wußtet. Habt gut

       bestanden. Hier ist die Installation.«

       Er gab mir das Dokument. Als ich einen Blick in dasselbe warf und da mein wahrscheinliches

       Einkommen verzeichnet fand, gingen mir


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