Mein Lieber Sohn und Kamerad. Eberhard Schiel
Читать онлайн книгу.WILHELM PUCHERT (5)
Stralsund, 3.9.1914
Lieber Willi!
Zunächst besten Dank für Deine Briefsendungen. Sei beruhigt. Das, welches keine Freude erwecken kann, ist selbstverständlich nicht auf Dich gemünzt. Daß Ihr Bessergesinnten Euch oft Eurer Kameraden schämen müßt, das das Essen nicht gut ist, daß Schwark krank wurde und kein Soldat bleiben wird, daß sind Tatsachen, die mich nicht erfreuen konnten. Eben habe ich Deine Karte erhalten, zeitig genug, um nicht beiliegende Karte abzusenden. Famose Karte, nicht wahr? So wird es dem Lumpengesindel ergehen. Willi, Du weißt, die Stralsunder sind schwerfällig. Als wir von dem großen Vogesensieg hörten, läuteten die Glocken in Stettin, Rostock, Greifswald, Stolp und vielen anderen Orten. In Stralsund schwiegen sie. Warum? Künzel hat darauf auch ein "Eingesandt" in die Zeitung gesetzt. Er fragt auch: Woran mag es liegen? Der Sieg über die Engländer bei St. Quentin wurde nun auch eingeläutet. Von 2 bis 3 Uhr ertönten die Glocken aller Kirchen. Wenn sonst ein Sieg errungen ist, steht es beim "Anzeiger" gedrängt voll. Jeder will ein Extrablatt haben. Der Sieg wird besprochen. Anerkennung für das tapfere Verhalten unserer Truppen wird ausgesprochen und geschimpft auf die Feinde. Man unterhält sich vor einer Landkarte mit ganz fremden Menschen. Alles ist freudig erregt. So feiern wir in Stralsund, so viel ich weiß, einen Sieg. Wallende Menschenmassen, die bei den Siegen in Hochs und Hurras ausbrechen, das gibts bei uns nicht. Wie ist es in Stettin? Verzeihung, wenn meine Leitung etwas lang, aber wo seid Ihr eigentlich in Quartier? Beim Bauern vielleicht? Wer hat denn die Ansprache gehalten? Walter Steinfatt ist auch in Eurem Regiment, nicht wahr? Im Verein geht alles seinen gewohnten Gang. Am Montag waren 19 Mann anwesend. Herr Diete las etwas vor, die Kriegslage wurde besprochen und sich nett unterhalten. Kein Mißton störte den schönen Abend. Liederbuch u.s.w. werde ich bestens besorgen. Ich bin noch immer gesund, auch Eltern und Geschwister sind wohlauf. Wie ich mir Sedan dachte, schrieb ich ja; wie es geworden ist, weißt Du. Die Sedanfeier im Verein werde ich Dir baldigst schreiben. Ich war ja im Kursus und muß nun auch erst in Erfahrung bringen, ob und wie Sedan gefeiert wurde. Als besondere Freude empfinde ich es, daß ich gerade zum Sedantage zum ersten Male als Sanitäter in Tätigkeit trat. Um 1.45 Uhr fuhr der Rote-Kreuz-Zug in den Bahnhof. Lauter verwundete Russen. Aber wie sahen sie aus. Kaum noch Uniformen auf dem Leibe. Der Zug fährt bis zur Heilanstalt. Wir steigen mit unseren Tragen in einen bereitstehenden Kremser und im schnellsten Tempo gehts hinaus zum Verwundetentransport. Die Schwerverletzten werden gefahren, oder ins Reservelazarett getragen. Ich half auch beim Anziehen der Kleidung. Die Uniform ist so mürbe, daß man sie im Nu in Fetzen gerissen hat. Die Unterhosen sind aus dünnen grünem Leinen. Auch Erkennungsmarken tragen sie. Interessant sind für mich auch die Ausführungen eines Soldaten, der tadellos Deutsch spricht. Er erzählt, daß er Pole sei. Aus Warschau gebürtig, hat er dort in der Schule Deutsch gelernt. Jetzt ist er als Reservist eingezogen. In Warschau sollen feine Spitäler eingerichtet worden sein. Er meinte auch, Gott soll ihn strafen, wenn er auf deutsche Soldaten geschossen hätte. Aber die Offiziere stehen hinter ihnen und erschießen denjenigen, der nicht kämpft. Die Russen schmeißen Waffen weg und laufen über. Die Großfürsten haben die Schuld am Krieg. Er wurde schon Mittwoch voriger Woche verwundet. Auf die Frage, wie es den Deutschen in Rußland geht, antwortete er, das wüßte er nicht, da er nichts gesehen habe, aber seine Frau würde deutsche Soldaten gut aufnehmen, weil sie weiß, er ist auch verwundet in Deutschland. Werde alle Grüße ausrichten. Nun sei gegrüßt mit deutschem Brudergruß
Otto und wir alle. Waffenheil!
VON WILHELM PUCHERT (6)
Stettin, 4.9. 1914
Lieber Otto!
Deinen Brief vom 3. d. Mts. habe ich richtig erhalten. Das Nummerieren meine ich so, daß Du jedes Stück, das Du an mich richtest, mit laufender Nummer versiehst. So kann kein Brief verlorengehen. Deinen Brief vom 31. August habe ich richtig erhalten, und bin deshab darauf nicht näher eingegangen, weil mir die betreffende Reihe unklar war. Mit unserem Quartier hat sich ja nun vieles gebessert. Es gibt jetzt gutes Essen und es ist ganz gemütlich hier. Einige Radaubrüder ausgenommen. Diese haben sich zum Teil auch ausquartiert, so daß nun einigermaßen Ruhe herrscht. Alfred Meißner ist seit einigen Tagen nicht mehr bei uns im Quartier. Wo er liegt, weiß ich nicht. Für die mit deinem lieben Brief gesandten Zeitungsausschnitte danke ich Dir bestens. Die Karte ist gut. Sie ist ja fast schon ganz in Erfüllung gegangen. Bei jeder neuen Siegesnachricht läuten hier die Glocken. Vor den Extrablättern sammeln sich die Massen, und brechen in brausende Hurras aus. Als der große Sieg über die Russen bekannt wurde, nachts um 1/2 12 Uhr, war der ganze Paradeplatz mit einer wogenden Menge angefüllt. Die Stettiner sind überhaupt äußerst soldatenfreundlich. Walter Steinfatt ist nicht in meiner Kompagnie. Wo er ist, weiß ich nicht. Was machen unsere Freiwilligen in Stralsund? Wir kommen bis zum 10ten nach Döberitz. Jetzt werden wir bald Feldgrau kriegen, von Montag an. Dann lasse ich mich photografieren. Nachdem wir ca. 14 Tage bis 3 Wochen in Döberitz weiter ausgebildet worden sind, werden wir wohl nach Aussage eines mir bekannten Unteroffiziers, des Schweizers Krabbe aus Barnkevitz (Du kennst ihn ja auch) nach Belgien oder Nordfrankreich kommen. Wenns bloß erst soweit wäre! Es muß bei Euch äußerst interessant gewesen sein, bei den Gefangenen. Habt ihr denn schon Uniformen? - Unsere Ausbildung macht nun riesige Fortschritte. Die mir übersandten Abschnitte folgen anbei zurück. Hefte sie bitte in meine Mappe. - Heute abend stellte sich Schwark wieder bei uns ein. Er hat im Lazarett einen feinen Tag gelebt, ist nunmehr felddienstunfähig und fährt morgen wieder nach Hause. Er wird Zeitungen und meine Wäsche zu meiner Tante bringen. Verwahre mir bitte die Zeitungen und lege sie ins Bücherbrett. Am Sedantage war Stettin die reinste Flaggenstadt. Es war nicht ein Haus, das nicht wenigstens 3 Flaggen trug. Wir hatten strammen Dienst. Wie wir abends ins Quartier gingen, spielten überall Kapellen. Nun weiß ich nichts mehr weiter zu berichten. Grüße bitte Deine Eltern und Geschwister recht herzlich von mir.
Mit deutschem Gruß
Dein Willy
N.B. Die Kriegsjugendwehr, was ist das?
AN WILHELM PUCHERT (7)
Stralsund, den 6.9.1914
Lieber Willi!
Deinen Brief und Karte habe ich erhalten. Es ist eine famose Einrichtung, Briefe ohne Porto zu senden. Ich erhalte Deine Sendungen immer gleich am Tage nach der Absendung. Du hoffentlich meine auch. Es freut mich sehr, daß es jetzt gutes Essen gibt und ein gemütlicher Ton im Quartier herrscht. Wie ich schon in Karte No. 3 schrieb, war ich bereits bei Deiner Tante. Ich wollte endlich ein Paket abschicken, denn Du wirst es schon erwarten, aber Deine Tante wollte erst von Dir Nachricht haben, was sie eigentlich schicken soll. Ich denke Pantoffel, Pomade und Lebensmittel. Wirst Du Wäsche vom Regiment erhalten? Nachmittags war ich wieder da, um zu sehen, ob Schwark schon da sei und vielleicht mündlich Bescheid gebracht hätte. Er war noch nicht dort gewesen. Deine Tante wünscht auch mal wieder einen Gruß. Vorläufig läßt sie schön grüßen. Sie meinte, Du hättest Dich auch stellen können, als sie keine mehr brauchten, denn jetzt mußt Du doch mit vor. Deine Tante hat 2 Mann einquartiert. Deine Mutter war zwei Tage, Dein Onkel 3 Stunden hier. In Stralsund sind 116 Verwundete untergebracht, 60 bei Rühe, 30 Lazarett und die anderen Schloßgarten. Die Verpflegung soll, sehr zur Scham der Stralsunder, die wünschen, daß die Verwundeten wieder bald am Feind sind, schlecht und mangelhaft sein. Raddas und Gustav Wulf erzählten mir, daß Mehlert Torten für die Verwundeten geschickt hat. Diese sind aber schon im Schauspielhaus verzehrt worden, von...? Man entschuldigte sich, daß es zu wenig war. Die Tante erzählte, Wühle habe einen ganzen Korb mit Butterbroten zu den Verwundeten getragen. Ein Verwundeter sagte zu einem Grenadier: "Mensch, hier kriegste nichts zu essen, hier verhungerst du." Das habe ich selber gehört. Die Steuern sollen der Quartierkammer bezahlt werden. Wer es unterläßt, von dem werden sie zwangsweise eingezogen. Aber an Quartiergeldern hat die Stadt noch keinen Pfennig bezahlt, und wie viele Leute brauchen das Geld jetzt nötig. In anderen Städten wird die Not gelindert auf alle mögliche Art und Weise, in Stralsund wird sie vergrößert. Ratsherr Dr. Heydemann ist verwundet. Unsere Kriegsfreiwilligen haben Scharfschießen und Felddienst. Heute angeblich in Grünhufe. Ja, bei euch in Stettin ist ganz anderes Treiben. Bis 10 Uhr werden hier nur Telegramme herausgegeben. Noch habe ich keine Uniform. Diese erhalte ich nach erfolgter Ausbildung, welche wohl