Mein Lieber Sohn und Kamerad. Eberhard Schiel
Читать онлайн книгу.er am zweiten Tage schlapp und brach zusammen. Die Verlustliste ist noch immer nicht heraus. Rechtsanwalt Rink ist gefallen, auch ein Stralsunder Schriftsetzer Zunk. Am Montag früh mußten unsere Kriegsfreiwilligen antreten. Um 1/2 6 Uhr war Besichtigung durch den Kommandierenden General im Försterhof. Folgendes erzählte Herr Diete. Bekanntlich ist der Sohn des französischen Kriegsministers Delklasse gefangen genommen. Er hat einen Schuß durch beide Beine erhalten. Auf der Fahrt von der Grenze nach Merseburg kam der Lazarettzug auch durch Thüringen. Der junge Delklasse bewunderte dieses schöne Land und sagte zu seinem begleitenden Sanitäter: "O, wie sönd Thüring, o, wie sönd Thüring, o, wie schön ist Thüringen." So weit Herrn Dietes Erzählung. Über die Gefangennahme las ich in der Zeitung folgendes: Ein Gefreiter mit 3 Mann kommt in ein Dorf um zu sehen, ob es vom Feinde gesäubert ist. Sie sitzen gar nicht lange in dem Schulhaus des Ortes, als 9 Franzosen die Straße daher kommen. Flugs verteilt der Gefreite sein Heer auf die Fenster und bald krachen die ersten Schüsse auf die Rothosen. Alle sind getroffen. 8 Mann tot, und der führende Jäger, Unterleutnant, hat einen Schuß durch beide Beine erhalten. Es war kein anderer als Delklasse. Nun zurück zu Herrn Dietes Mitteilung. Die Franzosen denken, wir werden zu den Fahnen getrieben wie sie und wissen nicht, wofür wir kämpfen. Wir kämpfen für eine heilige Sache, für unseres heiligen Vaterlandes Freiheit, für deutsche Kultur, Gesittung, Industrie, Handel usw. Kein Wunder, wenn sich über 200.000 Kriegsfreiwillige stellten und diejenigen ganz verzweifelt waren, die nicht genommen wurden. Auch unsere Kriegsanleihe wird gezeichnet, daß die Feinde staunen sollen, was für ein Vertrauen wir an den Tag legen, in dem wir unser Geld sicher wissen als Kriegsanleihe. Herr Diete will 600 Mark zeichnen. Die Milliarde muß gezeichnet werden. Neulich las ich von dem wunderbaren Opfermut eines Dienstmädchens. Sie spendete dem Vaterlande ihre ganzen Ersparnisse von mehr als 1000 Mark. Wahrlich, wir leben in einer großen Zeit. Gott sei Dank brachte sie auch große Männer. Unser Dr. Kornstädt sagte uns, da die jungen Sanitäter jetzt alle streiken, weil sie nicht mit in die Etappe können, was heute nicht ist, kann morgen schon sein. Vielleicht, wenn Mangel an Sanitätern eintritt, werden auch wir noch Verwendung finden. Wenigstens haben wir Aussicht. Meine Stellung hier im Büro gefällt mir. Herr Direktor ist ein netter Mensch, mit dem es sich reden läßt. Nun muß ich aber schließen und an die Arbeit gehen. Schicke diesen Brief bitte mit Deinem nächsten Brief zurück. Ich möchte nämlich eine Abschrift, wie von allen Briefen, haben. Jetzt ist keine Zeit dazu. Hast Du meine Karte nicht erhalten, oder ist in der Garnison so viel zu tun? Mit deutschem Gruß, sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen wartend, verbleibe ich
Mit köstlichem Heil! Otto
VON WILLI PUCHERT (11)
Stettin, 23. 9. 1914
Lieber Otto!
Also, in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend fahren wir nach Jüterbog. Heute war Regimentsbefehl. Nach Aussage unseres Feldwebels bleiben wir nur ca. 8 Tage dort, um dann nach Belgien weiter zu kommen. Meine Adresse hat sich nun geändert. Jetzt darf man keinen Ortsnamen mehr aufschreiben, muß nur Umschläge der Feldpost oder Feldpostkarten verwenden. Meine Adresse findest Du umstehend. Mit dem Urlaub ist es also nichts mehr. Sage den Vereinsbrüdern namentlich meine neue Adresse, für die, die es angeht, natürlich. Bald werde ich nun mit eigenen Augen sehen, wie es in Belgien steht. Grüße alle Vereinsbrüder recht herzlich, besonders Herrn Diete.
Gottbefohlen
Dein Willy
Kriegsfreiw. W. Puchert, Res.Inf.Reg. 209, 2. Bat., 6. Komp., 23. Armeekorps, 45. Division
AN WILLI PUCHERT (12)
Stralsund, 25.9.1914
Lieber Willi!
Habe Deinen Brief und die Karte erhalten. Wie ist es nur möglich, daß meine Karte erst zur 8. und 7. und dann zur richtigen Kompagnie gelangte? Liegt die Schuld bei mir, aber soweit ich mich erinnere, habe ich doch 6. geschrieben. Nun aber habe ich wieder manches zu schreiben, was Dich erfreuen oder Deine Teilnahme erwecken wird. Ich hatte eben die Karte oder den Brief, die Du erhieltst, in den Briefkasten befördert, da kommt die Heilgeiststraße herunter eine Droschke mit einem Offizier, dem ein Fuß verbunden ist. Ich erkenne in ihm den Oberleutnant Zülke von der Maschinengewehrkomp. der 42-er, der noch am Sonnabend vormittag vor der Abreise lebhaft grüßte. Ich erzählte auch schon, daß Herr Dr. Hornburg während der Predigt vor drei Wochen weinen mußte. Jetzt erfahre ich durch die Zeitung und die Todesanzeige, sein Sohn, Hauptmann Hornburg, ist gefallen. Schriftsetzer Zunk ist gefallen, ebenso der Beamte Bürger, ein Bruder des Oberlehrers. Herr Dietes Bruder war am 3. September noch heil und gesund. Er hat ein schreckliches Nachtgefecht gegen die Engländer mitgemacht. Verschiedene Stralsunder erhielten das Eiserne Kreuz, so Oberst v. Hackevitz, Hauptmann Langemak, beide von den 42-ern, sowie Oberleutnant Kranz, der Feldwebel Köhler und Vizefeldwebel Schröder. Der Syndikus Dr. Heydemann ist nach Moskau transportiert und auf dem Wege der Besserung. Unsere Kriegsfreiwilligen haben auch schon Feldgrau, benutzen aber die Uniform noch nicht. Unser Kursus ist Ende September beendet. Wir wiederholen nur noch. 10 Mann sind für die Etappe gemeldet. Freitag ist Schutzpocken-Impfung. Am Dienstag voriger Woche besuchte ich zum ersten Mal ein Kirchenkonzert, welches zum Besten des Roten Kreuzes in der Jakobikirche veranstaltet wurde. Herr Diete erhielt aus der Nähe von Reims einen Brief. Der Schreiber hat die letzten Zeilen im Schützengraben liegend, beschossen mit Granaten, wartend auf den Befehl zum Sturmangriff, geschrieben. Absender ist ein junger Ingenieur, der Mitglied des Jünglings- vereins in Halle war. Ist es nicht was Schönes, daß er jetzt zurückdenkt an die Zeit vor 8 Jahren, als sie in Halle die "Quitzows" aufführten, sich noch bei Herrn Diete bedankt, daß er ihn in die rechte Bahn des Lebens gebracht hat, und er sein Leben nicht mit Wein, Weib und Bier zugebracht. Der junge Soldat ist auch der Anfertiger eines Spruches, der bei Herrn Diete im Zimmer hängt. (was der auch wissen wird) Er lautet: "Evangelisch bis zum Sterben, Deutsch bis in den Tod hinein, das soll unsere Losung sein." Vollen Mutes erinnert er auch an diesen Vers. Wahrlich ein großes Volk, würdig großer Taten. Das beweist uns auch wieder der Schneid, mit dem unsere "Emden", U 9 und U 21 vorgingen. Die Feinde lügen weiter wie sie es anno 70 getan. Ein Vetter meines Vaters war 3 Wochen in Rußland. Er hat den Feldzug mitgemacht. Doch davon nächstes Mal. Bald werde ich mehr schreiben und verbleibe indessen
Mit Grüßen von Eltern und Geschwistern
Dein Otto
VON WILLI PUCHERT (13)
Jüterbog, 29. 9. 1914
Neues Lager
Lieber Otto!
Deinen Brief habe ich mit bestem Dank erhalten. Bezüglich Deiner vorigen Karte lag es lediglich an der Bummligkeit der betr. Beamten. Wir haben uns jetzt schon eingelebt. In der Nacht vom Freitag zum Sonnabend verließen wir Stettin. Nach 12-stündiger, fröhlicher Bahnfahrt langten wir in Jüterbog an. Unterwegs wurden wir überall gut aufgenommen. An den verschiedensten Stellen gabs Kaffee und Semmeln. In Berlin-Pankow gab es Erbsen. Hier sind große Buden und Küchen extra für die Militärtransporte eingerichtet. Viele Liebesgaben wurden auch verteilt, wie Hemden, Unterhosen, Wollsachen, Strümpfe u. dgl. In Jüterbog bezogen wir eine Kaserne. Ich kam auf Stube 4. Jetzt, wo wir in Kasernen wohnen, lernen wir das Soldatenleben erst richtig kennen. Am Sonntag war Ruhetag. Nachmittags war ich in Jüterbog. Es liegt etwa 40 Minuten vom Übungsplatz entfernt. Ein dreckiges Loch, nichts mit los. Wir waren auf dem Kirchturm. Eine einigermaßen gute Aussicht auf ca. 50 m Höhe. Die Kirche stammt aus dem 14. Jahrhundert. Einige alte Tore gibt es auch. An einem Tor hängt eine Keule mit einer Tafel. Diese Tafel trägt die Aufschrift, an die Herr Diete erinnerte: "Wer seinen Kindern gibt das Brot, und leidet selber Not, den schlag man mit der Keule tot." Diese Tore und die Kirche sind die einzigen Sehenswürdigkeiten Jüterbogs. Wir gingen auch bald in die Kaserne zurück. Am Montag ging es auch gleich stramm an die Arbeit. Morgens 7 Uhr Abmarsch. Einen Marsch von 5 Stunden gemacht. 1/2 1 Uhr waren wir wieder in der Kaserne. Der Platz ist sehr groß. Aber fast durchweg Sand. Hier sind viel Soldaten: 209, 10, 11, 12, Artillerie, Kürassiere, und Ulanen. Heute hatten wir ein Gefecht. Beim letzten Angriff war Herr Nathusius unser Zugführer. Du kennst ihn ja. Er hat in Stralsund auch schon Vorträge gehalten. Wir schossen heute wieder beim Gefecht mit Platzpatronen. Das ist ein Geknalle. Heute war es tüchtig kalt, aber beim Sturmangriff schwitzten wir. - Sonntag