HIPPIE TRAIL - BAND 2. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.könnte, dort hinunter zu kommen, ohne mir den Rückweg abzuschneiden. Es hingen genug Hinweistafeln aus, die darauf hinwiesen, dass Zwischendeckspassagieren der Zutritt nach Mittschiffs verboten sei, und auf meiner Seite, dass Passagiere der ersten und zweiten Klasse nicht in die Zwischendecks dürfen. Also machte ich die Tür auf und er schlupfte auf die verbotene Seite. In der Menge der anderen Passagiere, und vor allem, weil alle neu waren, fiel er vorerst mal nicht auf. Wir tranken an der Bar ein Bier, er benutzte die Toiletten. Da unten ging es schlimm zu, berichtete er. Zu wenig Toiletten, die Menschen benutzten die Klüsen oder Speigatten, durch die bei hoher See das überkommende Wasser abfließen soll. Auch seien die ersten seekrank, hätten sich übergeben, es stank erbärmlich im Zwischendeck. Manchmal wehte der Wind einen Schwaden Abluft zu uns auf das Promenadendeck. Aber Inder sind geruchsunempfindlich…
Auf dem Bootsdeck sprach ich mit einem alten Matrosen. Dieser muss wohl dem Kapitän erzählt haben, dass da ein deutscher Seemann als Passagier sei, der gerne das ganze Schiff sehen wollte. Bald schon brachte er mich auf die Kommandobrücke. Dort hieß man mich herzlich willkommen. Es wurde gleich Tee serviert. Alle bestaunten mich wie eine Attraktion, wobei doch das Schiff die Attraktion war! Die Brücke folgte leicht der Wölbung des Schiffes. Etwas seitlich nach steuerbord stand der doppelte Maschinentelegraf, mit dem die Fahrtrichtung (vorwärts-rückwärts) und Geschwindigkeit zum Maschinenraum durchgegeben wird. Die Rajula musste also ein Zwei-Schraubenschiff sein. Wo irgendwie möglich waren Beschläge oder Einfassungen aus Messing, auch die verschiedenen Glocken. Dieses glänzte dermaßen, dass ich annahm, es wird täglich geputzt. Das Steuerrad, aus Holz, glänzte auch, ebenso wie das Kompasshaus davor. Ich durfte sogar das Ruder übernehmen und steuerte das große Schiff mit seiner dampfunterstützten Rudermaschine. Die Übertragung war etwas weniger direkt als mit Hydraulikanlagen. Aber das lag auch daran, dass nur ein Magnetkompass vorhanden war, der länger zum Reagieren braucht, als ein elektrischer Kreiselkompass. Bis man sah, dass das Schiff leicht vom Kurs abgewichen war, verging ein Moment, und man brauchte eine Weile, um es wieder darauf zu bringen. Es war viel Gefühl und Beobachtung des Meeres notwendig, bei diesem Schiff.
Ansonsten war das Schiff elektrifiziert, auch die Positionslampen. Es war also eine Dampfmaschine an Bord, die einen Generator antrieb. Der Matrose, den ich getroffen hatte, wurde abgeordert, mir das Vorschiff zu zeigen. Ich wollte genaueres über die Winden erfahren. Dieser Matrose war 60 Jahre alt. Er hatte damals auf der Rajula als Decksjunge angefangen und seither, bis auf kleinere Urlaubsabwesenheiten, an Bord. 45 Jahre… Er war erstaunt über mein Erstaunen für diese altmodische Technik. Für ihn war das damals ein modernes Schiff gewesen, und so sah er es noch heute. Auf anderen Schiffen war er nie gefahren. Das Ankerspill, auf dem erhöhten Vorschiff, wurde durch zwei Dampfmaschinen zugleich angetrieben. Das Backdeck war etwas uneben durch die dicken, mehrfach übermalten Rostschichten. Windhutzen, Lüftungsrohre mit trichterförmiger Öffnung, waren in den Wind gedreht, um den Zwischendeckspassagieren etwas frische Luft zukommen zu lassen. Die Masten waren genietet, ebenso die Ladebäume. Oben im Großmast erkannte ich ein ‚Krähennest‘, eine Ausguckskanzel. Die Masten neigten sich leicht nach hinten. Es war eine Rah vorhanden, die aber nicht mehr für die Segel diente, sondern zum Hissen der Flaggen. Ich war erstaunt über den guten Allgemeinzustand des Schiffes. Es war die jahrelange Heimat dieser Seeleute und deshalb wurde es so gehegt. Ich bestand darauf, auch in das Zwischendeck zu gehen. „No good for european people!“ wollte er mich abhalten. Doch ich wollte Alles sehen, sagte ich, die Rumpfkonstruktion, die Lukendeckel… Also stiegen wir über die dicht zusammengedrängten Menschen die steilen Treppen, von denen auch die Stufen besetzt waren, hinunter. Wer irgendwie konnte, befand sich an einer der Öffnungen, um Zugluft abzubekommen. Andere schliefen dicht an dicht. Ich hatte den Verdacht, dass hier abwechselnd gestanden und gelegen wurde. Es fehlte einfach an Platz! All das erinnerte mich an das Krankenhaus in Bangalore. Das Zwischendeck war ebenso voll wie das Hauptdeck. Was wäre bei schlecht Wetter? Müssten die Passagiere dann alle nach unten? Ich war heilfroh, als Kabinenpassagier zu reisen!
Für ein paar Tage noch konnte Sayonara aus seinem Sardinendasein heraus. Bis ein Steward bemerkte, dass er nicht Kabinenpassagier war. Seitdem war die Gittertür beidseitig verschlossen. Trotzdem gelang es mir, ihn weiterhin unbemerkt mit Essen zu versorgen. Denn unser Essen war wirklich üppig. Eine Art Oberkellner stand wie ein Zeremonienmeister meist etwas abseits seiner Tischgruppe. Bemerkte er, dass etwas zur Neige ging oder fehlte, eilte auf einem Wink von ihm sofort ein Steward herbei und brachte eine neue Platte. Der Speisesaal war etwas altmodisch, wohl seit der Indienststellung nicht verändert. Viel Holz und Messing gaben ihm aber einen besonderen Charme, den man auf neueren Schiffen vermisst. Es war ein Ballsaal vorhanden, wo Orchester spielten oder Unterhalter versuchten, den Passagieren ihre Langeweile zu vertreiben. Aber das war es ja gerade, was viele suchten: Stundenlang im Liegestuhl liegen oder an der Reling stehen und auf das Meer schauen… Es gab ein paar Tischtennisplatten. Diese waren meist von den Kindern umringt. Man konnte ‚Shufflebord‘ spielen, eine Art Brettspiel. Auf das Teakholzdeck waren Kästchen mit Zahlen gemalt. Mit einem Stock, der vorne mit einem schaufelförmigen Brettchen versehen war, musste man eine puckartige Holzscheibe von einer bestimmten Entfernung auf die Zahlenfächer schieben. Der Verlierer durfte einen ausgeben. Denn Alkohol gab es auf dem Schiff. Nicht nur für Europäer. Es artete jedoch nie so aus, wie im ‚Goa Express‘. Es gab ein kleines Schwimmbad irgendwo unter Deck. Ein Kino, in dem alte, abgenutzte Filme liefen. In Schwarz-Weiß. Hier konnte ich erneut ein paar von den Filmen anschauen, die ich als Kind gesehen hatte, wie Laurel und Hardy oder Charlie Chaplin. Eine Bibliothek befand sich nicht weit von dort, wo ich und John die Hauptgäste waren. Hier befanden sich die Perlen der englischen Seefahrts-literatur, wie Joshua Slocum‘s ‚Alone around the world‘, oder Laury Lee’s ‚As I walked out one midsummer morning‘.
Der alte Matrose der Rajula machte mich mit einem ebensoalten Maschinisten bekannt. Dieser war stolz darauf, mir das Herz seines Schiffes zu zeigen. Er führte mich über die leicht öligen Treppen in den heißen Maschinenraum. Es muss hier unten über 45 Grad heiß sein. Es herrschte ein gewisser Lärm, bedingt durch die sich rhythmisch bewegenden Ventile, die den Dampfstrom in die verschiedenen Leitungen lenkten. Es war eher wie das übergroße Geräusch einer übergroßen Nähmaschine, das im Maschinenraum vorherrschte. Als erstes fielen mir die zwei aufrechten, mit ein paar Metern Zwischenraum stehenden, Dreizylinder-Dampf-maschinen in die Augen. Wo sie nicht schwarz gestrichen waren, glänzten sie von zu vieler Pflege. Die Feuerung war schon seit ein paar Jahren von Kohle auf Ölverbrennung umgestellt. Von diesen Brennern und den damit geheizten Kesseln ging die meiste Hitze aus. Der darin erzeugte Dampf wurde unter hohem Druck in dick isolierten Rohren bis in die entferntesten Teile des Schiffes geleitet, vorne bis zum Ankerspill, achtern zur Rudermaschine, in den Mast für das Nebelhorn. Die zwei Dampfmaschinen trieben die zwei Schrauben unterm Heck des Schiffes an. Sie leisteten zusammen 8000 PS, für die damalige Zeit (Baujahr 1926) eine enorme Leistung! Jede Maschine bestand aus drei Zylindern, die alle mit einem Gewirr von Rohrleitungen und Ventilen verbunden waren. Der erste Zylinder war der Hochdruckzylinder, er war der kleinste. Hier kam der Dampf mit dem höchsten Druck an. Dieser bewegte den ersten Kolben, dessen Pleuel durch die Kurbelwelle, worauf auch die anderen Kolben wirkten, die Kraft direkt auf die Antriebswelle übertrugen. Und so auf die Schraube. Der Kolben arbeitete in beide Richtungen. Er konnte durch den Dampf sowohl von unten nach oben drücken und umgekehrt. Der Dampf, wenn er diesen Zylinder durchströmt hatte, und an Druck verloren, aber an Volumen zugelegt, wurde darauf in den zweiten Zylinder gelenkt. Nachdem er hier wiederum Kraft abgegeben hatte, kam er in den dritten, den größten Zylinder. Wenn er auch dessen Kolben bewegt hatte, wurde er durch Abkühlen wieder zu Wasser gemacht und durch Pumpen dem Dampfkessel zurückgeführt.
Klar, dass immer Dampf an undichten Stellen verloren geht. Das dadurch verloren gegangene Wasser wird durch neues, vorher kondensiertes ersetzt. Kondensiert deshalb, damit es im Kessel keine Kalk- oder Salzablagerungen hinterlässt, die die Heizkraft des Brenners vermindern. Ein ganzes Arsenal von Pumpen, Tanks und undefinierbaren Geräten füllte den Maschinenraum aus. Das wichtigste davon war der doppelte Maschinentelegraf, ein trommelförmiges Teil mit zwei Handhebeln daran und zwei Zeigern, einen für jede Maschine. Auf jeder Seite von diesem befand sich eine runde Skala, die von ‚voll voraus‘ stufenweise über ‚stop‘ bis ‚voll zurück‘ ging. Dieser war mit dem auf der Brücke verbunden. Von dort wurden durch Umlegen der Hebel die Maschinenkommandos dem Ingenieur