Die Philosophie des Denkens. Johannes Schell

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Die Philosophie des Denkens - Johannes Schell


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dafür, dass sie nicht hinterfragbar und unableitbar sind. Und sie existieren zugleich als psychische Faktoren, als konkrete Erlebnisse, mit denen sich zwar die empirische Psychologie auf ihre Weise befassen kann, die aber genauso, im exakten Sinne des Wortes, Urelemente der reinen Logik darstellen, ohne welche die Logiker kein philosophisches Fundament finden können. Wir wollen schon jetzt einen Begriff vorausnehmen, der das Phänomen des Junktims auch für alle späteren Fälle benennt, in denen wir es mit ähnlichen Sachverhalten zu tun haben: wir werden von der psychomentalen Erfahrung sprechen, wenn wir das „mentale“ wie das psychische Element in konkreten und besonderen Erlebnissen und Kogitaten vorfinden. Für jetzt halten wir fest: die erste große psychomentale Erfahrung vermittelt sich uns im primären Erkenntnisakt als Phänomen des Denkens und des Erlebens, d.h. als erfahrene Seinswirklichkeit und Objektivität. Dass es dasselbe Phänomen auch im sekundären Erkenntnisakt gibt, wird uns später beschäftigen.

      Lassen wir einmal Rudolf Steiner das Wort. Ihnen ist ja der folgende Satz bekannt:

      „Erst die durch die Erkenntnis gewonnene Gestalt des Weltinhaltes, in der beide aufgezeigte Seiten desselben vereinigt sind, kann WIRKLICHKEIT genannt werden.“ (Rudolf Steiner: Wahrheit und Wissenschaft. Dornach 5. Auflage 1980, S. 70)

      Daran knüpft Rudolf Steiner später die nachfolgenden Ausführungen:

      „Das Resultat dieser Untersuchungen ist, dass die Wahrheit nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die ideelle Abspiegelung von irgend einem Realen ist, sondern ein freies Erzeugnis des Menschengeistes, das überhaupt nirgends existierte, wenn wir es nicht selbst hervorbrächten. Die Aufgabe der Erkenntnis ist nicht: etwas schon anderwärts Vorhandenes in begrifflicher Form zu wiederholen, sondern die: ein ganz neues Gebiet zu schaffen, das mit der sinnenfällig gegebenen Welt zusammen erst die volle Wirklichkeit ergibt. Damit ist die höchste Tätigkeit des Menschen, sein geistiges Schaffen, organisch dem allgemeinen Weltgeschehen eingegliedert. Ohne diese Tätigkeit wäre das Weltgeschehen gar nicht als in sich abgeschlossene Ganzheit zu denken. Der Mensch ist dem Weltlauf gegenüber nicht ein müßiger Zuschauer, der innerhalb seines Geistes das bildlich wiederholt, was sich ohne sein Zutun im Kosmos vollzieht, sondern der tätige Mitschöpfer des Weltprozesses; und das Erkennen ist das vollendetste Glied im Organismus des Universums.“ (Rudolf Steiner: ebd. S. 11f.)

      So weit der Text. Der Schlusssatz führt schon über unsere Betrachtungen hinaus. Er hat nur Sinn, wenn wir ihn auf das Gesamtphänomen der Evolution beziehen. Es wird noch mancher Untersuchungen bedürfen, um ihn ganz zu verstehen. Auch mit der Wahrheit als einem sog. „freien Erzeugnis des Menschengeistes“ werden wir Schwierigkeiten haben. Aber dieses Thema müssen wir beim jetzigen Stand unserer Überlegungen vorerst liegen lassen. Uns interessieren weiterhin Sein und Wirklichkeit, vor allem jedoch der Seinsbegriff.

       20. „Sein“, „Substanz“, „Copula“ und „Selbstbegründung“

      Von jeher hatten die Philosophen ihre Schwierigkeiten mit dem Chamäleon des Seinsbegriffs. Dasselbe gilt für die aufdringliche Copula „ist“, die wie ein Sauerteig unser Reden und Denken durchdringt. Bereits Aristoteles beschrieb die Einzigartigkeit dieser Phänomene, ohne eine befriedigende Lösung anbieten zu können. Der Seinsbegriff hat zwar den Charakter des Allgemeinen, ist aber trotzdem kein Gattungsbegriff. Und in der verbalen Form „sein“ treten zahlreiche Bedeutungen auf, die, wie es scheint, auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Die Situation ist hoffnungslos verfahren. Erst Martin Heidegger hat neuerdings wieder den Versuch unternommen, das „Sein“ und den Seinsbegriff zum Ausgangspunkt einer Philosophie zu machen, ohne dabei in eine überholte Form der Erkenntnistheorie zu verfallen, die ja selbst von Gnaden des Seins lebt. Das alles ist sehr einleuchtend und kann bis zu einem gewissen Grade vertreten werden. Heidegger fragt konsequent nach Sinn und Gehalt des Seins und des Seinsbegriffs, verfehlt aber die konkrete Erkenntnissituation, aus der wir denken müssen: er geht von einem Vorverständnis aus, das er nicht der intermittierenden Denkbeobachtung und damit der Erfahrung unterwirft. Dass schon die linguistische Ausdeutung der Seinsstruktur auf Irrtümern beruht, wie das Charles H. Kahn in seinem ausgezeichneten Werk „The Verb «Be» and its Synonyms“ nachgewiesen hat, ist allerdings für die Sache unerheblich. Anders liegt der Fall, wenn psychologisierende Begriffe zur Bestimmung eines konkreten Seinswesens herangezogen werden, und zwar als ontologische Qualitäten, als dem Sein inhärente Strukturformen, die gar keine erkenntnismäßig-logische Funktion aufweisen und somit unphilosophisch sind. Keine Erkenntnis darf das zentrale Phänomen der Logik ausschließen, wenn sie nicht in den Bereich des Unverbindlichen absinken will, wie es besonders den sog. „Lebensphilosophen“ passiert ist. Heideggers „Sein als Sorge“ könnte uns zwar vom Standpunkt unseres „Junktims“ interessieren, und es ist sogar etwas Wahres daran, aber Heidegger lässt genau das liegen, worum wir uns so redlich bemühen: er untersucht nicht die ersten Erfahrungsformen des Seins und Seinsbegriffs, d.h. er übergeht deren logische und psychologische Erscheinungsformen im menschlichen Bewusstseins und erkennt auch nicht das „bestimmungslose Denken“, das über allen seinen Begriffen steht, auch über dem Begriff des Seins, weil es ihn sonst nicht hervorbringen könnte. Wir wissen das bereits. Und gerade diese Komplikationen werden uns ja noch einiges zu schaffen machen. Kein Wunder, dass Heidegger keinen tragfähigen Wahrheitsbegriff entwickeln konnte. Es bleibt ein Rest von scholastischem Aristotelismus, den er bekämpfte, aber niemals ganz überwinden konnte.

      Aus unseren bisherigen Überlegungen wird auch die kategorische Anwendung der Copula „ist“ sinnvoll und damit verstehbar. Wie wir wissen, gehört es zum Urphänomen aller Wissenschaft, dass alles, worüber wir denken, die unvermeidbare Form der Gegenüberstellung (also des Objektiven) besitzt, und jede Gegenüberstellung erscheint uns immer als ein etwas, das „ist“, als ein Seiendes, das uns Gegenstände oder „Quasi-Gegenstände“ anbietet, seien es nun raumzeitliche Gestalten, seien es Gedanken, Begriffe, Irrtümer, Täuschungen, Illusionen oder Triebe, Gefühle und moralische Intentionen usw. Es ist nun nicht der Inhalt dieser Objekte, wie so häufig gemeint wird, sondern ausschließlich dieser Akt der Gegenüberstellung als solcher, ganz für sich allein, der uns dazu zwingt, die Copula „ist“ immer und in allen Fällen anzuwenden. Der Inhalt wird naturgemäß impliziert, weil sich unser naives Bewusstsein auf die Sache richtet, aber nicht auf den Akt selbst. Wie hier auch Sprachphilosophen irren können, zeigt eine Bemerkung Wittgensteins, der einmal sagt, dass schon der Ausdruck „ein Bewusstsein besitzen“ eine unberechtigte Verdinglichung vornimmt, die zu Hypostasen verführt, also im gegeben Fall einen Gegenstand „Bewusstsein“ als Sache vorspiegelt, die es gar nicht in der gemeinten Weise gibt. Das ist zwar im Prinzip richtig, aber wenn man Inhalt und Akt voneinander trennt, dann ist der Sachverhalt klar: wir stellen uns unser eigenes Bewusstsein gegenüber, sonst wüssten wir nicht, dass wir eins haben, und dieser notwendige Objektivierungsvorgang, der in unserer Ich-Organisation (wie auch immer) gründet, zeigt ganz eindeutig, dass wir etwas „besitzen“, d.h. besagt nicht mehr, als was die Copula „ist“ bezeichnet. Was das menschliche Bewusstsein faktisch-strukturell ist - im Sinne der Seinsqualitäten - bleibt völlig offen. Wittgenstein hat möglicherweise, dem zitierten Ausdruck entsprechend, an ein eng begrenztes menschliches Bewusstsein gedacht, also ohne die theoretische Plausibilität eines Weltbewusstseins zu denken, das in den Menschen hineinragt. Die Logiker denken sehr scharfsinnig, aber sie beobachten nicht genügend und werden manchmal erstaunlich leicht die Opfer des naiven Bewusstseins, das sie gerade überwinden wollen. In der Copula „ist“ werden unsere „Kategorien des Denkens“ gleichsam auf einen einzigen Punkt zusammengezogen, ohne dass wir es bemerken: neben dem Sein auch die Wirklichkeit, das Ansich und die Wahrheit. Und hier nicht allein: es sind die Verben „sein“, „haben“ und „werden“, die durch alle ihre Konjugationen dieselben Phänomene spiegeln oder, um es anders zu sagen, die „Tiefengrammatik“ der Sprache enthüllen, der alten wie der neuen. Die zahlreichen „Bedeutungen“ des Verbums „sein“, von denen gerne gesprochen wird, gehören überhaupt nicht in diesen Zusammenhang. Sie entstehen auf konkreten Anwendungsgebieten, sie explizieren die Seinsverhältnisse spezieller Kogitate, wie etwa die im Einzelfall präzisen mathematischen Symbole „=“ usw., die aber dennoch die ursprünglichen Seinsstrukturen implizieren. Es ist ein Irrtum, hier von verschiedenen Bedeutungen des Seins als solchem zu sprechen. Auch die historischen und die sozialökonomischen Strukturen der menschlichen Sprachen mit allen zuweilen erheblichen Differenzierungen


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