Die Philosophie des Denkens. Johannes Schell

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Die Philosophie des Denkens - Johannes Schell


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abspielen. Auf dem Boden des Bewusstseins? Oder womöglich im „objektiven“ Gefäß der Sprache? Aber woher wissen wir überhaupt, dass es eine Sprache gibt? Doch wohl nur daher, dass wir uns ihrer wie aller anderen Erfahrungen bewusst werden müssen, bevor wir von ihr reden können. Wir müssen sie als Objekt erfasst haben, wenn sie „gegenwärtig“ sein soll. Darüber werden wir später Untersuchungen anstellen müssen. Jetzt haben wir nicht die geringste Veranlassung, von der Beobachtung des naiven Bewusstseins abzugehen. Die Philosophie der Sprache setzt bereits Erkenntnisse voraus, über die wir gegenwärtig noch gar nicht verfügen können.

       6. Das naive Bewusstsein.

      Wie einfach wäre es für den Menschen, wenn sich die Dingwelt, die uns umgibt, ganz von selbst offenbaren würde, wenn auch nicht gerade mit Hilfe der berühmtem angehefteten „Schildchen“, die uns verraten, was wir vor uns haben - wie das in Museen üblich ist. Aber auch das würde uns nichts nützen. Wir erhielten ein sinnloses Wörterbuch, mit dem wir nichts anfangen könnten. Die tatsächliche „Selbstoffenbarung“ der Dinge geschieht nicht ohne aktive Mithilfe des Menschen. Anstatt Marionetten einer Offenbarung zu sein, werden wir Schöpfer von Begriffen und Begriffsrelationen, ohne zu wissen, wie das vor sich geht. Wir bekommen hier sehr schnell das Gefühl einer rätselhaften Selbstbefangenheit und geben uns leicht der Täuschung hin, dass diese Denk- und Erfahrungsprozesse rein innere, bloß „subjektive“ Vorgänge sind, die mit der „Außenwelt“ nur sehr schwer in Verbindung gebracht werden können. Aus dieser wenig gründlichen Betrachtungsweise entsteht der Schein von zwei einander entgegengesetzten Sphären, sozusagen eine Verdoppelung des Seins, ein undurchschautes „dualistisches“ Prinzip, das der konventionellen Philosophie das Leben schwer gemacht hat. Dabei gibt die Beobachtung des naiven Bewusstseins überhaupt keinen Hinweis auf diese Annahme, die lediglich eine vorschnelle Schlussfolgerung aus unfertigen Wahrnehmungen zieht. Ein einfacher Zeitgenosse, den man fragen würde, was er tut, wenn er auf diese unsere Welt blickt, würde wohl in gebotener Schlichtheit antworten: Ich sehe mir an, was auf mich zukommt- und mache mir meine Gedanken darüber. Er könnte aus seinem Welterleben überhaupt nicht auf die (für ihn absurde) Idee kommen, dass er in einem gespaltenen Weltkreis lebt, der ihn zum Narren hält. Natürlich weiß der Philosoph, dass eine solche Auffassung komplizierte Probleme verdeckt. Und dennoch könnte es sein, dass die unreflektierte Meinung unseres simplen Zeitgenossen mehr Wahrheit enthält, als die meisten Philosophen wahrhaben wollen, weil sie sich seit Jahrhunderten den Weg mit unzureichenden Beobachtungen und überstürzten Schlussfolgerungen verbaut haben. Diese Überlegung könnte sich aber auch gegen uns wenden, indem man uns vorwirft, dass wir selbst in Theorien befangen sind, die alles andere als „naiv“ sind, und zwar nach dem richtigen Wort Poppers: „Die Erfahrungswissenschaften sind Theoriensysteme“ (Karl Popper: Logik der Forschung. Tübingen 1976, S. 31) - und das gilt natürlich ebenso für den Begriff der „Beobachtung“ selbst. Aber dieser Tatbestand ist auch wieder eine Beobachtung, wie sich herausstellen wird, allerdings eine von denen, die das naive Bewusstsein noch nicht vornimmt. Wir wollen deshalb vorsichtig sein und erst einmal unsere Grundbeobachtungen weiter voranbringen, die möglicherweise zu Ansätzen führen, die das Bild von den Erfahrungswissenschaften als bloßen „Theoriensystemen“ in einigen Punkten zurechtrücken. Noch bewegen wir uns nicht im methodisch entwickelten Denken, sondern in jenem Zustand, von dem Rudolf Steiner mit Recht sagt, dass das Denken das völlig „unbeobachtete Element unseres gewöhnlichen Geisteslebens“ ist. (Rudolf Steiner: Philosophie der Freiheit. 15. Auflage Dornach 1987, S. 42) Jeder Rückbezug des Denkens auf sich selbst ist dem Alltagsbewusstsein fremd. Wir haben aber, werden Sie sagen, diesen Schritt schon vorweggenommen und können gar nicht den Anspruch erheben, im Namen des naiven Bewusstseins zu sprechen. Das ist nur scheinbar richtig, wie Ihnen der tägliche Umgang mit der „Metasprache“ beweist. Sie reden stets über irgendwelche Dinge und kommen gar nicht auf den Gedanken, dass sie diese Dinge verfälschen - oder Ihre Sprache wäre sinnlos.

      Der ersten Beobachtung, dass wir das Denken im Alltagsleben übersehen und uns mit der natürlichsten Selbstverständlichkeit der Betrachtung des Objektes widmen, das wir ins Zentrum unseres Bewusstseins rücken, um gleichsam mit ihm zu verschmelzen, können wir eine zweite wichtige Beobachtung folgen lassen, die später noch von Bedeutung sein wird: ich meine das rätselhafte und dem Anschein nach unvermittelte Phänomen, dass wir die gesamte Welt immer als „Einheit“ betrachten, obwohl wir uns des Subjekt-Objekt-Gegensatzes durchaus bewusst sind. Diese Welteinheit war zu allen Zeiten Gewissheit und Sehnsucht der Menschen, in den großen Religionen und Philosophien, auch in den ersten Entwicklungsstufen der Naturwissenschaft, und es gibt wohl kein denkendes Wesen, das sie nicht unbewusst voraussetzt - selbst dann, wenn in der modernen Wissenschaft davon gesprochen wird, dass es voneinander unabhängige Welten geben könnte. Dieser neue Gedanke kann sogar einleuchten, aber er trägt die unverkennbaren Merkmale der einheitsstiftenden Vernunft des Menschen, lebt also erkenntnistheoretisch aus dem Prinzip der Einheit und muss sich damit arrangieren. Wir wollen hier aber kein „Prinzip“ aufstellen, sondern lediglich eine beobachtbare Tendenz der menschlichen Vernunft festhalten, oder, um es aktologisch zu sagen: wir greifen eine natürliche Funktionsweise des Denkens auf, ohne uns um die epistemologische Qualität zu kümmern. Wir wollen auch keine Wissenschaftstheorie vorwegnehmen und schon gar nicht in den Fehler des empiristischen Philosophen Moritz Schlick verfallen, der zwar ebenfalls in seiner „Allgemeinen Erkenntnislehre“ von dem naiven Bewusstsein ausgeht, aber unvermittelt seine Beobachtungen abbricht und sich mit einem plötzlichen Sprung in der naturwissenschaftlichen Methodologie wiederfindet, weil er sie schon als die einzig mögliche Wissenschaft vorausgesetzt hatte, ohne es wahrhaben zu wollen. Der Empiriker Schlick verleugnet die Empirie, seine Beobachtungen waren schon wissenschaftstheoretisch präjudiziert, bevor er mit ihnen begonnen hatte. Außerdem konnte er das dualistische Prinzip nicht überwinden und fiel in die alte Bewusstseinsphilosophie zurück, die das Bewusstsein als so etwas wie einen abgeschlossenen Kasten betrachtet, der das unnötige Problem aufwirft, wie der Mensch jemals mit der Außenwelt in Verbindung treten soll. Diese Fragen haben mit unserem Problem nichts zu tun.

      Zu den zwei bisher beobachteten Phänomenen können wir noch ein drittes finden, das zunächst unerheblich zu sein scheint, aber sehr bald an Bedeutung gewinnen dürfte. Rudolf Steiner hat es folgendermaßen formuliert:

      „Es ist zweifellos: in dem Denken halten wir das Weltgeschehen an einem Zipfel, wo wir dabei sein müssen, wenn etwas zustande kommen soll.“ (Rudolf Steiner: Philosophie der Freiheit. 15. Auflage Dornach 1987, S. 49).

      Wenn wir uns Rechenschaft ablegen, wo wir innerhalb des Weltgeschehens unmittelbar „dabei“ sind, dann müssen wir den Offenbarungseid leisten: alle äußeren Naturprozesse verlaufen ohne unser Zutun, aber auch die inneren Vorgänge unseres Körpers (Blutkreislauf, Herzschlag, Verdauung, Gehirnprozesse usw.) vollziehen sich im Dunkel des Unbewussten, nach ihren eigenen Gesetzen, d.h. jederzeit fremdbestimmt und prinzipiell dem menschlichen Zugriff entzogen. Sie sind immer existent, ob wir wollen oder nicht. Nur einen einzigen Vorgang gibt es, bei dem wir ständig dabei sind, weil wir ihn selbst in Gang setzen müssen, wenn es ihn geben soll: das ist die Denktätigkeit des Menschen. Das ist auch dann richtig, wenn wir aus Gewohnheit schon automatisch denken. Nirgends in der Welt existieren Begriffe, es sei den, wir bringen sie hervor und stellen sie uns gegenüber. Das ist ja einer der wesentlichen Gründe dafür, dass wir das Denken so leicht unterschätzen und manchmal bereit sind, es als eine Fata Morgana zu betrachten und vollständig zu entobjektivieren. So geistert es durch manche Wissenschaften und Philosophien als ein bloß „Subjektives“ (was immer das sei) und als rein „Selbstproduziertes“, das durch eine solche Entstehungsweise notwendig suspekt ist. Es gibt sogar Positivisten, die bereit sind, die Existenz des Denkens zu leugnen und an seine Stelle die Sprache zu setzen, von deren objektiver Realität sich jeder Mensch überzeugen kann. Dagegen werden wir gute Gründe auffahren. Aber zunächst bleiben wir bei unseren simplen Beobachtungen. Es ist auf jeden Fall richtig, dass wir auf Eigenschöpfungen stoßen, wenn wir Begriffe bilden, und es stimmt auch, dass uns Welt- und Naturprozesse ohne unser Zutun gegenübertreten. Aber wir haben hier noch kein Recht, schon theoretische Bestimmungen vorzunehmen und voreilig von „subjektiven“ und „objektiven“ Prozessen zu sprechen. Wir teilen mit, was wir vorfinden, und stellen fest, dass Begriffe in uns entstehen, die auf irgendeine Weise mit jener Sphäre verbunden sind, die wir nicht hervorgebracht haben. Es besteht noch kein Grund,


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