Preis des aufrechten Gangs. Prodosh Aich

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Preis des aufrechten Gangs - Prodosh Aich


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schreiben. Danach könnte ich das gesamte Material für meine Dissertation theoretisch aufarbeiten. Was auch immer man darunter verstehen mag. König ist einverstanden. Am 29. Oktober 1960 stelle ich beim Dekan der philosophischen Fakultät einen Antrag um die Zulassung zur Promotion. Nach der geltenden Prüfungsordnung wäre die Prüfung erst im neunten Fachsemester möglich. Also wird der Antrag auch mit diesem Hinweis auf die Prüfungsordnung abgewiesen.

      Das Auswärtige Amt bewilligt tatsächlich den beantragten Betrag: 20000,- DM für die Auswertung der Untersuchung. Im Dezember 1960. Die Ausgaben sollten noch im Haushaltsjahr 1960 abgerechnet werden. Wie? Aufgeregt fahre ich sofort zu König. Er ist hocherfreut über die Bewilligung und versteht meine Aufregung nicht. „Jüngling“, sagt er, „alles, Sachkosten, was Sie bisher für die Untersuchung verausgabt haben und Honorare, die fällig geworden wären, wenn das Geld rechtzeitig gekommen wären, alles, belegen Sie mit entsprechendem Datum, und rechnen Sie die 20000,- DM noch im Dezember 1960 ab. Es ist Lauferei, aber tun Sie es.“ Dann klärt er mich auf, wie das Ganze funktioniert.

      Das Auswärtige Amt wird wissen, daß die Belege nicht echt sind. Wir wissen, daß das Auswärtige Amt wissen wird, daß wir wissen, daß das Auswärtige Amt weiß, daß die Belege nicht echt sind. Auch das Auswärtige Amt wird wissen, daß wir wissen, daß das Auswärtige Amt wissen wird, daß wir es wissen, daß das Auswärtige Amt es weiß, daß die Belege nicht echt sind. Nur darf keine Seite über dieses gegenseitige Wissen je reden. Es sind mühsame Tage, aber es funktioniert. Nein, ich dachte nicht an Korruption. Damals ganz gewiß nicht. Denn Korruption gab es und gibt es nur in den Bananenrepubliken!

      Ab Dezember 1960 werde ich offiziell als „Forschungsbeauftragter“ geführt. Aber ohne einen Arbeitsplatz im Institut. Schwerpunkt: „Unterentwickelte Gebiete“. Die politische wie wissenschaftliche Diskussion hierüber beginnt anzulaufen. Es wird bekannt, daß ich in der Endphase der Auswertung einer größeren empirischen Untersuchung über die afrikanischen und asiatischen Studenten in Deutschland bin. Viele sind interessiert, noch vor der Veröffentlichung das Material einzusehen, um es für ihre eigene Arbeit verwerten zu können, wie beispielsweise Dieter Danckwort und Diether Breitenbach, beide damals bei der „Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer“ in der Villa Borsig, Berlin–Tegel. Eifer dieser Art ist Vorbote für die nahende Hochkonjunktur des Themas. Das Ansinnen, Einblicke in das Forschungsmaterial anderer schon vor der Veröffentlichung zu gewinnen, hat nichts mit „grabschen“ zu tun. Es gibt eben smarte und weniger smarte Sozialwissenschaftler. Und nicht nur Sozialwissenschaftler.

      Die „Deutsche Stiftung für Entwicklungsländer“ wird 1960 gegründet. Sie ist eine hundertprozentige Tochter des Bundes. Sie soll eine Reihe von „wissenschaftlichen Arbeitstagungen“ veranstalten. Zu der ersten – vom 2. bis 6. Januar 1961 – bin auch ich eingeladen. Ich soll auch über diese Tagung – geleitet wird sie von Arnold Bergsträßer – für die Kölner Zeitschrift berichten, zum ersten Mal allein, also nicht zusammen mit Josef Gugler. Teilnehmer dieser Tagung sind Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet engagiert sind oder sich engagieren wollen.

      Ich berichte nicht über jene 36 von 45 vorgesehenen „Kurzreferate“ von jeweils ca. 15 Minuten. Warum? Weil es darüber nichts zu berichten gegebenn hat. Ich berichte fast ausschließlich (Kölner Zeitschrift, 13. Jahrgang, 1961, Heft 1) über ein nicht geplantes längeres Referat von Ernst Bösch, Sozialpsychologe an der Universität Saarbrücken, dem nach 3½ „Arbeitstagen“ der Kragen geplatzt war. Es ist ein Levitenlesen. Auch über eine von den Stiftungsfunktionären abgewiegelte Resolution zur künftigen Gestaltung der Arbeit in der Stiftung. König bringt den Bericht in voller Länge, ohne diplomatische Glättungen.

      Wenige Monate später kritisiere ich in einer Podiumsdiskussion die inhaltliche Arbeit und die materielle Ausstattung dieser Stiftung. Diese Veranstaltung findet in der Aula der Hamburger Universität statt. Es diskutieren: Fritz Baade (Prof. Dr. Dr. h.c., Mitglied des Bundestages (MdB) und Direktor des Forschungsinstituts für Wirtschaftsfragen der Entwicklungsländer), Viktor Kadalie, (ein promovierter Arzt aus Südafrika), Helmut Kalbitzer (MdB und Vizepräsident des Europaparlaments), Ludwig Rosenberg (stellvertretender Vorsitzender des DGB und Präsident des Wirtschafts– und Sozialausschusses der EWG) und ich. Der Kurator der Stiftung, F. G. Seib, fordert am 17. November 1961 König schriftlich auf, wegen meiner öffentlichen Kritik an der Stiftung in Hamburg mich nicht zu promovieren. Diese Deutsche Stiftung, heute die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung, handelt offener und ehrlicher als die Friedrich–Ebert–Stiftung. Ja, die deutschen Stiftungen!

      Die ersten Monate des Jahres 1961 bin ich intensiv beschäftigt, den Bericht über die Situation der afrikanischen und asiatischen Studierenden abzuschließen. Ihre Anpassungsschwierigkeiten und ihre Entfremdung nach erfolgter Anpassung bilden den Schwerpunkt. Ich denke weiter über diesen Forschungsschwerpunkt nach. Auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Was sollte ein Forschungsbeauftragter tun, wenn es keinen konkreten Forschungsgegenstand gäbe?

      So taucht auch die Frage auf, wie sich wohl der Studienaufenthalt mit allem Drum und Dran auf ihre „Politische Einstellung“ auswirken. Beispiele wie Chau–En–Lai, ausgebildet in Moskau, später aber nicht nur der Politik der UdssR durchaus nicht grün, oder Gandhi, Nehru, Sukarno, alle ausgebildet im „Westen“, und später dann Führer der Unabhängigkeitsbewegung und Initiatoren der blockfreien Bewegung, oder Ho Chi Minh, ausgebildet in Paris, der später den französischen Streitmächten die schmähliche Niederlage in Dien Bien Phu beibrachte, legen die Frage nach der politischen Einstellung nahe. W. F. Wertheim, Universität Amsterdam, einer der Päpste auf diesem Gebiet, veröffentlicht die Theorie, daß der antikoloniale Kampf erst nach der Verinnerlichung der westlichen Werte durch die städtischen Intellektuellen mit Erfolg geführt werden könne. Ein Erkenntnisziel – etwas überspitzt formuliert – könnte lauten: Soll der Westen das Auslandsstudium der afrikanischen und asiatischen Studierenden im Westen oder im Osten finanzieren, um den maximalen politischen Einfluß auf die entkolonisierten Länder zu gewinnen? Ich trage König meine Gedanken vor. Er beauftragt mich, den Projektantrag zu formulieren.

      Klaus von Bismarck wird neuer Intendant des „Westdeutschen Rundfunks“. Er ist auch der Vorsitzende der „Gesellschaft für Sozialen Fortschritt“. Diese Gesellschaft hat eine Monatsschrift. Ich hatte Gelegenheiten, für diese Zeitschrift zu schreiben. So weiß ich, daß Klaus von Bismarck an dem Problem ebenso interessiert ist wie auch an der wirksamen Vermittlung von Forschungsergebnissen durch die Medien. Und der WDR hat auch in beschränktem Umfang Forschungsmittel zu Programmzwecken zu vergeben. Nach einem ausführlichen Gespräch mit Klaus von Bismarck formuliere ich einen Antrag. Im Mai 1961 wird er gestellt. Vorausgegangen ist auch eine Zusage von „Free Europe Organizations and Publications“ in Paris, eine solche Untersuchung mit etwa 5.000,- US-$ zu unterstützen. Diese Zusage wird durch eine Vereinigung der ungarischen Exilstudenten in Krefeld vermittelt. Auch die Carl–Duisberg–Gesellschaft, die die ausländischen Praktikanten in Deutschland betreut, interessiert sich dafür, obwohl sie für Studierende nicht zuständig ist. Einer der beiden Geschäftsführer der Carl–Duisberg–Gesellschaft ist Doktorand bei König, Winfried Böll. Er befaßt sich zunehmend mit einer noch zu formulierenden Politik der Bundesrepublik gegenüber den „unterentwickelten Ländern“. Praktisch übt er drei Jobs aus: Studium, Carl–Duisberg–Gesellschaft (zuständig für Außenkontakte) und „Entwicklungspolitik“, verbunden mit Herumreisen und Vorträgehalten. Unsere Wege haben sich oft gekreuzt. Das Studium als Job bleibt bei Winfried Böll auf der Strecke. Er macht später eine unkonventionelle Karriere: Er brachte es zum Ministerialrat im ersten „Entwicklungshilfeministerium“ ohne einen akademischen Grad. Für mich sorgt er für eine Überraschung. Die Carl–Duisberg–Gesellschaft gewährt dem Institut für Soziologie an der Universität Köln ein Darlehen, weil das Genehmigungsverfahren beim WDR länger als erwartet andauert. Der WDR wird darüber informiert.

      Der Bericht für die Unesco und für das Auswärtige Amt über die Situation der afrikanischen und asiatischen Studierenden wird umfangreich. 403 Seiten ohne den Anhang. Mir gelingt es nicht, ihn noch während des Sommersemesters 1961 vorzulegen. König ist seinem liebsten Steckenpferd gefolgt: „Summer school“ in den USA. Er reist gern. Jedes Jahr macht er den befreundeten Kollegen bekannt, wie es mit seinem Arbeitsdruck ausschaut und wann er wieder einmal Lehrverpflichtungen übernehmen könnte.


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