Durch die Bank. Dieter Lüders

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Durch die Bank - Dieter Lüders


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in den Rückspiegel und konnte sich nicht genug freuen, dass Manuel ihr so gut gefiel. Doch plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf: sie hatte einen Auftrag. Die Landmaschinenfirma ihres Vaters sollte sie retten. Wie würde ihr Vater es aufnehmen, wenn er erführe, dass sie jetzt für die Bank arbeitete? Würde er es begrüßen? Würde er diesen Schuss vor den Bug wahrnehmen? Ein letzter Rettungsanker. Sie wollte ihm helfen, wollte ihm den Lebenssinn wiedergeben. Er hatte für siebenundvierzig Angestellte und Arbeiter zu sorgen, die ihm egal geworden waren. Sie hatten auch Familien und Angehörige. Denen mussten sie täglich erklären, warum ihr Job auf der Kippe stand. Manch einer musste auch seiner Bank sagen, warum er den Kredit für sein Haus nicht mehr tilgen konnte. Urlaube fielen aus, und Anschaffungen konnten nicht gemacht werden, weil Horst Wohlert einfach ausgestiegen war. Hätte er seinen Posten nicht geordnet zurücklassen können? Er hätte nur einen Geschäftsführer einstellen müssen, um Zeit und Ruhe ohne Ende zu haben. Auch die Landwirte in der Region hatten unter diesen Umständen ihre Sorgen bekommen; ihre Maschinen wurden nicht mehr repariert. Es gab aber auch Nutznießer. Es waren jene Pappenheimer, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlten. Sie freuten sich, dass keine Mahnungen mehr kamen. Auf die hatte es Claudia besonders abgesehen. Als sie daran dachte, dass es manchen Leuten gut tat, dass ihr Vater vor die Hunde ging, da fasste sie sich ein Herz. Sie hatte eine Mission zu erfüllen. Was ihr besonders am Herzen lag, das war ihr eigenes Herz. Ihre Seele litt unter dem unnötigen Niedergang ihres Vaters. Ihr eigen Fleisch und Blut. Ihre Mutter lebte schon nicht mehr. Um so mehr galt es, den Vater zu beschützen. Sie hatte die Macht und den Willen. Aber eines musste sie versuchen. Sie musste mit Horst ins Gespräch kommen. Einige wenige Unterschriften waren nur nötig. Wenn nur nicht das Insolvenzverfahren schon angelaufen wäre! Der vorletzte Strohhalm war, dass das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet war. Der Termin stand noch nicht fest. Bis dahin also erst mal „Plan A“ - und den ging sie jetzt an. Manuel überholte sie. Sie winkte ihm kurz zu und wählte die Nummer, die sie in Erfahrung gebracht hatte. Dort sollte ihr Vater erreichbar gewesen sein. In der Telefonanlage ihres Autos erklang das Freizeichen. Lange hatte sie nicht gebraucht, um in Erfahrung zu bringen, wo er sich aufhielt. Dazu überwand sie sich schon einmal. Sie telefonierte mit einer Kneipe. Dort, wo er schon in früheren Zeiten oft verkehrte. Da gab man ihr weitere Hinweise. Irgendeine Kneipenbekanntschaft hatte er gemacht, und da war er wohl untergekrochen. Bisher hatte unter dieser Telefonnummer aber noch niemand abgenommen. Jetzt aber meldete sich tatsächlich eine Frauenstimme.

      „Was wollen Sie?“ Es war ein eieriger Tonfall, ein raues Timbre, eine Mischung aus Aggression, Angriffslust und Gleichgültigkeit. Ein Mensch ohne Ziele, mit dem Rücken zur Wand. Abwehren, mauern und blocken. Dieser Mensch brauchte eine klare Ansprache, einen Befehl und Orientierung. Claudia hatte es intuitiv erkannt.

      „Geben Sie mir bitte meinen Vater!“

      „Der ist nicht zu sprechen.“

      Nun gab es zwei Sorten von Menschen: die einen reagierten, und die anderen agierten. Claudia gehörte in ihrer Verfassung zur zweiten Kategorie. Die der ersten hätten verunsichert gefragt, ´warum nicht´ ? Eine kurzgedachte Weiterführung. Man hätte nur weitere Ausflüchte geerntet.

      „Das stimmt nicht; geben Sie mir meinen Vater.“

      „Er ist nicht da.“

      „Geben Sie ihm jetzt bitte den Telefonhörer!“

      Es war einen Moment still. Die Frau musste es begriffen haben. Dann folgte das, was immer folgte, wenn man jemanden zu etwas überredete. Nur hier war es so, dass Claudia postwendend mitbekam, wie sehr sich ihre Manipulation niederschlug. Sie musste mit anhören, wie die Frau am Telefon Ärger bekam. „Ich bin nicht zu sprechen, wie oft soll ich dir das noch sagen?“ Es war die Stimme ihres Vaters, aufgebracht und wütend.

      Claudia war der Meinung, dass das ein gutes Zeichen war. Er sollte sich in seinem Domizil nicht auch noch wohlfühlen. Rauswerfen hätte sie ihn sollen, oder er sie. Mit so einer Frau durfte ihr Vater nicht länger zusammensein.

      „Was willst du von mir?“

      Claudia war rechts rangefahren.

      „Papa! Hör mir bitte einen Augenblick zu, nur kurz!“

      „Du hast mir nachspioniert!“

      Jemand musste geredet haben, und es kam noch schlimmer.

      „Wenn du jetzt auch noch für die Bank arbeitest, dann bist du nicht mehr meine Tochter!“

      Seine Stimme war nicht abweisend. Es klang viel mehr wie ein Hilferuf. Er wartete auf ihre Antwort. Er legte nicht auf. Er wollte sie noch einen Satz sprechen lassen. Sie konnte ihn jetzt gänzlich verärgern oder am Ball bleiben. Sanfte Worte, und bloß keinen Druck ausüben. Eben noch bestimmend, und jetzt sollte sie ihre Liebe ausdrücken. Worte der Versöhnung waren gefragt. Claudia hatte diese Begabung. Sie war echt und ehrlich. Es fiel ihr leicht, und sie musste nicht lange überlegen. Sofort als sie seine Stimme hörte, egal in welchem Zustand, sie liebte ihn und fand die richtigen Worte.

      „Papa, bitte! Ich möchte dich sehen. Wir haben beide in der letzten Zeit nicht die besten Tage gehabt. Komm schon, gib dir einen Ruck!“

      Jetzt stellte Claudia den Motor ab. Jetzt begriff sie, dass sie ihn tatsächlich erreicht hatte. Sie hatte es gehofft, und es fiel ihr unendlich schwer, diesen Schritt zu tun.

      „Lass mich kurz vorbei kommen“, bat sie ihn.

      Horst war derart nachdenklich geworden, dass er nicht mehr widersprechen konnte. Er wollte es auch nicht. Sich gegen sein Schicksal zu stemmen, war immer kraftraubend. Wenn aber noch jemand kam, der einem Erleichterung versprach, dann fielen Mauern.

      „Weißt du denn, wo?“

      „Ich bin in zehn Minuten da.“

      Genug ist genug! Claudia wollte ihrem Bauchgefühl nicht weiter folgen. Zu gerne hätte sie sich wie ein Wasserfall offenbart, aber das ging nicht. Kein Dank, keine Freude. Es war nicht die Zeit. Alles hing an einem seidenen Faden. Er war nicht reif für ihre Gefühle. Schweren Herzens blieb sie stumm und hörte nur noch, dass aufgelegt wurde.

      Was würde sie für Abgründe vorfinden? Es waren nur noch wenige Häuserblocks, eine Adresse in Altona. Es gab schönere Stadtteile in Hamburg. In letzter Zeit gab es aber einige Veränderungen, was die Stadtentwicklung anging. Altona hatte sich gemausert. Viele Neubauten waren entstanden, in etwa so viele wie in der Hafencity. Claudias Einschätzungen avancierten ihr Ziel, wie manche Kreditsicherungsanstalten. Sie schätzten die Bewohner, unter wenigem anderen, nur nach ihrem Wohnort ein. Es nannte sich Geo-Scoring. Kreditwürdig waren dabei nicht die Bewohner von Lurup oder Steilshoop; wer in einem der sozialen Brennpunkte wohnte, hatte von vornherein einen Punkteabzug. Das galt aber nicht für ganz Altona. Denn zu Altona gehörte auch Blankenese. Bahrenfeld, Ottensen und Othmarschen waren absolut nicht einschätzbar, Pöseldorf war klar, die `Creme dé la Creme`, eine Arbeitslosenquote, die gegen Null ging. Ein Durchschnittseinkommen, welches Bankkaufleuten Dollarzeichen in den Augen bescherte - und Nienstedten erst! - direkt an der Elbe gelegen und superreich.

      Friedensallee, die Straße, in der auch die Filmschule Hamburg-Berlin ihren Sitz hatte. Künstler und Studenten, Nummer einunddreißig. Claudia musste vorbeifahren. Es gab keinen Parkplatz weit und breit. Straßencafés und rostige Fahrräder an den Baumschutzbügeln. Lieferwagen und Kinderwagen. Wenige Städte hatten so ein vielschichtiges Leben zu bieten. Junge Leute, Kinder mit Schulranzen auf dem Rücken, Auszubildende, ältere Leute mit Rollatoren, Frauen mit langem Mantel und Kopftuch und ein Pizzalieferant mit Turban. Alles da, nur kein Parkplatz!

      Claudia dachte längst nicht mehr an Manuel. Der junge und dynamische Sohn eines Bankdirektors hatte in ihrem Kopf Platz gemacht für die Suche nach einem Parkplatz. Absurd und ironisch. Es ging um einen wichtigen familiären Anlass, und das Schicksal sträubte sich. Ihr Vater wartete womöglich. Mehr oder weniger hoffnungsvoll hätte er ihr dabei zusehen können, wie sie sage und schreibe fünfmal an dem Haus vorbeifahren musste.

      Aus den angekündigten zehn Minuten wurden fünfundvierzig! Zu lange für eine einfache Lösung. Horst hatte den Glauben aufgegeben und öffnete inzwischen eine weitere Flasche. Fünfunddreißig Volumenprozent - Korn. Getreide, was zum


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