Verloren. Josef Rack

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Verloren - Josef Rack


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wächst. Wieder ein Stück weiter. Es wird hoffentlich bald Tag.

      Stopp. Warten.

      Anschwellendes Stimmengewirr. Quietschende Riegel. Öffnen des Türverschlags.

      Wychodi, weshi bratj s soboj. (Aussteigen, alles ausräumen)

      Wieder das qualvolle Aussteigen. Wieder fallen ein paar Schwache zur Luke hinaus auf den Schotter. Einer Frau fällt ihr Baby aus den Händen hinunter, wo es schreiend liegen bleibt. Andere werfen zuerst ihre Habseligkeiten hinaus und folgen gleich hinterher, um ja nichts zu verlieren.

      Es ist offenbar eine Bahnstation und Sammelplatz.

      Überall sind Scheinwerfer aufgestellt.

      Alle Aussteigenden werden von Bewachungstrupps umstellt.

      Kommandos zum Nachfolgen. Sie werden durch Gassen von bereits angekommenen Leidensgenossen bis zu einem freien Platz geführt. Da wird ihnen verständlich gemacht, dass sie sich niederlassen sollen. Schnell packen sie ihre Decken und Ähnliches aus. Zusammengehörige versuchen sich etwas zu schützen, indem sie sich dicht aneinanderdrängen.

      Die eiskalte Nacht müssen sie überstehen. Zum Morgen hin ist die Kälte am schlimmsten. Überall vor Kälte wimmernde Menschen. Kurzer Dämmerschlaf erlöst sie von den Schmerzen und quälenden Gedanken. Ein eiskalter klarer Morgen lässt sie aber wieder schlotternd erwachen.

      Überall Husten, Schnäuzen. Jammern.

      Aufstehen, die Gelenke bewegen, die Glieder reiben - ja nichts erfrieren. Das lässt sich aber bei vielen nicht vermeiden.

      Ein Militär-Jeep fährt vor. Einer unterhält sich mit ihrem Sprecher. Dieser wendet sich anschließend an seine Gruppe:

      „Ein Wunder geschieht, fünf Mann müssen mitkommen, Geschirr mitnehmen, wir sollen was zu Essen holen.“ Freudenäußerungen gehen durch die Reihen. Jeder will natürlich mit. Mit fünf Ausgewählten marschieren sie ab.

      Die Zurückbleibenden warten sehnsüchtig.

      Es vergehen aber über zwei Stunden bis sie zurückkommen.

      Die Hungrigen stehen schon lange da und warten darauf, was die sechs Männer bringen werden. Endlich, die Kolonne ist in Sicht. Die Hälse werden lang. Kinder können es nicht mehr aushalten, Wachen wollen sie zurückdrängen.

      Vergeblich, die Kinder wuseln ihnen zwischen den Beinen durch und rennen auf die Entgegenkommenden zu.

      Voll bepackt, eine Schubkarre haben sie auch dabei. Zwei andere haben eine Art Feldbett, das sie tragen - und alles ist voll beladen. Ein Durcheinander. Viele Fragen. Hände werden ihnen entgegengestreckt. Jeder will etwas davon haben.

      Die Wachen versuchen, etwas Ordnung in die Masse zu bringen. Es geht ja nicht, wenn alle gleichzeitig drauf losstürmen. Eine Reihe bilden, jeder sollte irgendein Behältnis dabeihaben, damit er etwas aus den großen Kesseln erhalten kann. Zusätzlich werden noch Brotlaibe und Päckchen mit völlig unbekannten Süßwaren verteilt. Außerdem noch warme Decken. Außer der Art Eintopf in den Kesseln, der ursprünglich heiß war, aber jetzt natürlich unterwegs abgekühlt ist, gibt es noch ganz ungewöhnliche und fremde Sachen:

      Schokolade! – viele haben dies bis jetzt gar nicht gekannt beziehungsweise noch nie gegessen. Irgendetwas in kleinen Päckchen mit einer total fremden Sprache darauf, sodass man gar nicht weiß, was man damit machen soll.

      Und Zigaretten! Manche paffen gleich eine, bevor sie von dem Eintopf probierten.

      Später stellt sich heraus, dass in den kleinen Päckchen Kaugummis waren! Wie isst man den? - oder ist der zum Lutschen?

      „Ja und wo wart ihr denn? wo ist das alles her? Gibt’s da noch mehr?“ Mit solchen Fragen werden die Überbringer bestürmt.

      Die sechs Männer kommen sich wie Helden vor und erzählen stolz: „Wir sind ca. zwei Kilometer marschiert, überall lagern Landsleute von uns. Wir sind offenbar schon in Österreich.

      Und stellt euch vor, dort sind die Amerikaner. Die sollen uns übernehmen. Die haben dort riesige Lager, scheinbar mit allen Gütern, die man braucht. Und in einer riesigen Küche gab es Essen. Überall Warteschlangen davor. In der Küche kamen wir uns vor wie im siebten Himmel. Da war es natürlich herrlich warm und ein himmlischer Geruch vom Kochen.“

      Ein Wunder war geschehen.

      „Jetzt müssen wir nur noch ein Dach über den Kopf bekommen.“

      Aber dies sollte noch eine Weile dauern.

      Eine rege Betriebsamkeit herrscht im Lager.

      Allerlei Gerüchte, Vermutungen gingen durch die Reihen.

      Es wurde auch streng darauf geachtet, dass sich niemand unberechtigt von seiner Gruppe entfernt. Viele kleinere Häufchen wurden zusammengelegt, so dass große Gruppen entstanden, aber die Bewachung einfacher wurde.

      Für die Menschen wurde es dagegen schwieriger und unüberschaubarer. Man musste auf seine Angehörigen aufpassen, dass man ja niemanden verlor. Leicht konnte man sich hier verirren, vor allem die vielen Kinder. Für sie war es ja interessant, denn sie wollten alles auskundschaften. Mancher kleine Knirps war auf einmal verschwunden und die Eltern in panischer Angst, wenn sie es bemerkten.

      Das mit den Amerikanern, das reizte doch ungemein. Man hat schon allerhand von diesen Leuten gehört. Die stammen aus einem Wunderland, jenseits des großen Ozeans. Alle dort leben im Wohlstand. Anders als die Russen. Als man herausgefunden hatte, was man mit den Kaugummis macht, war die Neugier und Begeisterung bei den Kindern grenzenlos. Man erzählte sich die unglaublichsten Dinge.

      Ein gewisser Schwarzmarkt hatte sich auch schon gebildet. Alles Mögliche versuchte man einzutauschen. Zigaretten waren natürlich bei den Männern begehrt. Die Frauen schimpften mit ihnen, denn andere Sachen waren schließlich wichtiger. Einige waren auch schon an Kaffee gekommen. Manche junge Frau hatte einem Soldaten schöne Augen gemacht, um an begehrte Sachen zu kommen.

      Wie lange würde man hier bleiben?

      Immer mal drang eine Nachricht durch, dass die Bewohner eines bestimmten Dorfes weitertransportiert worden waren. Man wurde schon unruhig. Das lange Warten zehrte an den Nerven. Mit der Situation der Verpflegung war man einigermaßen zufrieden. Die meisten hatten noch eine eiserne Notreserve in ihrem Gepäck. Die wollte man auf keinen Fall angreifen - man wusste ja nicht, was noch kommt.

      Man traute dem Frieden noch nicht.

      So standen Tag für Tag endlose Schlangen vor der Essensausgabe. Stunden brauchte man für den mühseligen Weg dorthin und wieder zurück. So verging aber auch der Tag, man hatte ja sonst nichts zu tun.

      Nur die Unterbringungsmöglichkeiten waren äußerst dürftig.

      Verschiedene hatten schon in den Boden eine Kuhle gegraben und darüber eine Decke gespannt. Leute mit Kindern oder alte Leute waren übel dran.

      Die Militärverwaltung war bemüht, in das Chaos einigermaßen Ordnung zu bringen. In jeder Ortsgruppe waren Personen für gewisse Aufgaben eingeteilt: Frauen, die Hilfsdienste und Pflege übernahmen. Männer wurden zu Aufgaben, wie Aufräumen, Abfallbeseitigung, den Schwächeren zu helfen, eine Notunterkunft zu bauen und sonstigen Arbeiten eingeteilt. Junge Burschen und auch Mädchen, um Essen zu holen für solche, die nicht mehr selbst in der Lage dazu waren.

      Für die Kleineren, die noch nicht zu Diensten eingeteilt waren, bot dies Möglichkeiten zu Abenteuern. Alles war neu und interessant: Soldaten und deren Fahrzeuge, Menschen der verschiedensten Nationen und Hautfarben (!). Konnte man vielleicht sogar aus den Militärdepots etwas stibitzen?

      Das Abenteuer lockte. Gegenüber solchen kleinen Lausbuben zeigten sich die Militärs auch meistens großzügig, mancher ließ sogar etwas fallen. Wie Hyänen stürzten sich die Kinder darauf. Offiziell sollte sowas aber nicht praktiziert werden.

      Das Allergrößte aber war, wenn sie sich bis zu den Amerikanern durchschlagen konnten. Da ging es locker zu. Mit prallen Taschen kamen sie zurück - oft Kaugummi kauend. Kleine (große) Helden


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