Verloren. Josef Rack

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Verloren - Josef Rack


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Leute um die Frau herum sind betroffen. Sie haben ja mitbekommen, dass die Eltern den kleinen Toni überall suchten. Die Abenteuerlust des kleinen Wirbelwinds hat jetzt böse Folgen. Wohin sind jetzt seine Eltern? Wer weiß das?

      Bei den vielen tausenden und abertausenden Menschen, die in dieser Zeit von überall aus dem Osten nach irgendwo hin in den Westen transportiert werden - wie will man da jemanden finden.

      Der Sprecher der Ortsgruppe ist auch ziemlich ratlos.

      „Ich muss es den Russen melden.“

      „Die suchen ja eine Person nach ihrer Liste.“

      Der Mann nimmt den Kleinen auf den Arm und trägt ihn zur Kommandantur.

      Dort geht es wild zu. Ein großes Durcheinander. Man hat das Gefühl, dass man das ganze Geschehen nicht mehr richtig im Griff hat.

      Für die Russen war dieser Job hier nicht mehr interessant.

      Sie hatten die Abwicklung der Übergabe an die Amerikaner zu bewerkstelligen und waren froh, wenn die verhassten Deutschen fort waren. Mit den Gefangenen, die zum Arbeitsdienst eingesetzt wurden, hatten sie schon genug zu tun. Die waren für sie nützlich. Aber die anderen zu evakuieren, das war für sie eine unnötige Last.

      Sollen sich doch die Amerikaner damit herumplagen.

      Auf die sind sie sowieso neidisch. Denen geht’s doch viel zu gut. Die sehen sogar auf sie herab.

      Dieser Junge sucht seine Eltern? - na und - wo die sind - wo die hinfahren?

      Unsere Eltern sind auch nicht da, wissen unsere Eltern wo wir sind? – ob wir noch leben? – oder ob wir was zu essen haben? Für sie ist noch Krieg. Wer weiß, ob sie je einmal wieder nach Hause kommen.

      Was interessiert da EIN Junge?

      In eine Ecke hat man ihn gesetzt.

      Ob er die ganze Tragweite der Situation begreift? – bestimmt nicht.

      Der zuständige Offizier, ein Major Bori, nimmt zum Schichtwechsel den Tagesbericht entgegen.

      „Besondere Vorkommnisse: … dann ist noch zu melden: Laut Transportliste 38 ist ein deutscher Junge, Anton R. vom ungarischen Transport fehlend gemeldet.

      Des Weiteren ist hier“ – zeigt auf das Häufchen Elend „ein Junge aufgegriffen worden, das könnte der Gesuchte sein.“

      Der Major nimmt den Kleinen zu sich, der am ganzen Leib vor Angst zittert. „Du, deutsch Held - ha, ha, ha, - komm her, du gefangen.“ Der Mann nimmt den Kleinen hoch.

      „Na, hast du Name?“

      „T.. T.. .. To.. To … Toni“

      Drückt ihn sanft an sich, was man dem Hünen gar nicht zugetraut hätte, streichelt ihm beruhigend über das Köpfchen „Komm her, du kleines Medweshonok“

      Toni legt schluchzend seinen Kopf an die bärtige Wange dieses furchteinflößenden Riesen und macht die Augen zu.

      In diesen Armen ist er gut aufgehoben, hier kann ihm nichts passieren.

      Kapitel 4

      Die Offiziere der russischen Truppen hatten die Möglichkeit, ihre Familienangehörigen nach Kriegsende nachkommen zu lassen. Es war sogar wünschenswert, dass sich Angehörige der Armee in den besetzten Ländern ansiedelten. Platz gab es ja jetzt.

      Budapest war für die Russen, sowieso für diejenigen, die vom fernen Osten stammten, ein begehrter Ort. In Budapest, einer der schönsten Städte, war zum Glück nicht viel zerstört. Die meisten Zerstörungen waren erst von der deutschen Wehrmacht bei ihrem Rückzug verursacht worden.

      Schöne alte Villen standen leer.

      Und so hat besagter Major seine Frau schon vor Monaten nachkommen lassen.

      Der Krieg war vorbei. Die Evakuierung der deutschen Bevölkerung würde auch irgendwann abgeschlossen sein.

      Major Andrej Bori will dann seinen Dienst quittieren. Sie werden hier bleiben und eine neue Heimat finden. Eine schöne Zukunft in einer wunderbaren Stadt liegt vor ihnen.

      Nur einen Wehrmutstropfen hat die ganze Sache – sie bekommen kein Kind!

      Egal, was sie versucht haben, es blieb bisher erfolglos…

      Andrej kündigt sich zum Wochenend-Urlaub an,

      Mit seinen Gedanken ist Andrej schon bei seiner Olga, die immer am Fenster wartet, bis er heimkommt. Er freut sich darauf, wie er ihr sagen wird: ‚Mein Schätzchen, was glaubst du, was ich dir mitbringe?’

      ‚Hast du wieder von irgendwo Kaffee organisiert?’ – sie liebt Kaffee über alles und hofft immer, dass Andrej welchen mitbringt.

      Tatsächlich - in sehnsüchtiger Erwartung steht Olga am Freitagabend am Fenster und schaut auf die Straße hinunter. Meistens kann er freitags früher Schluss machen, so dass er spätestens gegen 21 Uhr heimkommt. Sie wird schon unruhig, wer weiß aber, was ihn unterwegs aufgehalten hat.

      Ein Schneegestöber - hoffentlich kein Unfall. Ist das Auto stecken geblieben? Viele Gefahren lauern auf der über 400 Kilometer langen Strecke im Winter.

      Solche Gedanken gehen ihr durch den Kopf.

      Sie setzt sich meistens in ihren bequemen Schaukelstuhl, eine warme Decke über die Schulter geschlungen und wartet auf ihren Held. Ja, für sie ist er ein Held.

      Das Licht im Zimmer hat sie ausgemacht, nur eine Kerze brennt auf der Fensterbank. Der Samowar und eine Tasse mit dampfendem Tee steht daneben.

      In der Stadt unten brennen wenig Lichter. Umso schöner glitzert die Donau. Normal würden ja die vielen unzähligen Lichter der Kettenbrücke brennen, was ein grandioses Schauspiel wäre. Aber kurz vor Kriegsende haben die Deutschen bei ihrem Rückzug noch viel zerstört, natürlich auch die strategisch wichtigen Brücken. Straßenbeleuchtungen sind Luxus geworden, daher stark minimiert.

      Die Augen fallen ihr immer öfter zu. Hoffentlich geht die Kerze nicht aus, bevor Andrej kommt. Ihm gefällt das sehr - die brennende Kerze am Fenster, die ihm sagt: ‚Komm heim, du wirst sehnsüchtig erwartet’.

      Es ist schon fast 23 Uhr - sie ist jetzt ernsthaft besorgt.

      Kommt er vielleicht erst morgen früh? Da ist es bestimmt besser zu fahren als jetzt im Dunkeln. Viele bange Stunden und Tage hat sie schon mit Warten zugebracht, das war für sie oft unerträglich.

      Sie träumt dann:

      Beide wohnten in Nowosibirsk und haben sich schon in der Kinderzeit gekannt. Er war und ist noch immer ihre große Liebe. Beide haben Musik studiert und sich dabei kennen gelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick.

      Dass sie einmal heiraten werden, war ihnen sofort klar.

      Der Krieg brachte dann aber alle Pläne durcheinander.

      Andrejs Vater, selbst Berufssoldat, wollte immer, dass sein einziger Sohn in seine Fußstapfen tritt.

      Aber Andrej verschrieb sich ganz der Musik. Und seit er seine Olga kannte, hatte er nichts anderes mehr im Kopf. Sie waren beide überglücklich. Dass er dabei seinen Vater kränkte, tat ihm weh. Aber mit Olga stellte er sich eben ein ganz anderes Leben vor.

      Die Nachricht von einem Krieg der Deutschen, der den ganzen Osten erfassen wird, ging von Mund zu Mund. Für die jungen Leute war das aber kein Thema. Sie gingen in ihrer Musik auf.

      Auch als Russland mobil machte, klingelten immer noch nicht die Alarmglocken.

      Andrejs Vater ärgerte sich, dass sein Sohn gar kein Interesse an dem Geschehen zeigte. Bis zu einem bestimmten Tag, da sollte sich das Leben von Andrej gründlich ändern wie das von Millionen anderer.

      Ein ganz unüblich aussehender Brief lag bei der Post.

      Der Vater öffnete ihn zuerst, es war ihm gleich klar, was darin stehen würde. Und doch, als


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