Das Geheimnis des Bischofs. Stefan Sethe

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Das Geheimnis des Bischofs - Stefan Sethe


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hier und da noch etwas über die Durchsuchungsaktion zu erfahren, stieß aber auf wenig Bereitschaft, ihn einzuweihen. Seine Exkollegen mochten ihn zwar größtenteils, hatten aber offenbar wieder einmal Angst um die Karriere, wenn sie mehr sagten, als der Hausspitze opportun erschien.

      Stefani fühlte sich an die Zeit erinnert, als er sich genötigt sah, gerichtlich gegen die Staatskanzlei vorzugehen. Besonders hatte ihn damals das Verhalten der Kollegen belastet. Traf man Stefani auf dem Gang, dann wurde er flüsternd zu seiner Klage gegen die arrogante Hausleitung beglückwünscht. Aber öffentlich in der Kantine wagte ein Vierteljahr lang niemand, sich an Stefanis Tisch zu setzen. Auch nach der für Stefani erfolgreichen Beendigung des Prozesses änderte sich daran zunächst wenig, obgleich er in geheimer Wahl in den Personalrat und zu dessen Vorsitzenden gewählt wurde.

      Sein Personalratsbemühen, die Kollegen zu emanzipieren, war allerdings kaum vom Erfolg gekrönt. Während sich in den westlichen Bundesländern schon lange ein akzeptiertes Verhältnis zwischen Personalrat und Verwaltungsspitze eingespielt hatte, herrschte im Osten fast überall noch „Krieg“. Knapp behinderte die Arbeit des Personalrates, wo er nur konnte, und in all den Jahren hatte es Stefani niemals erlebt, dass auch nur ein Mitarbeiter es gewagt hätte, in der Personalversammlung ein kritisches Wort an die Behördenleitung zu richten, die ähnlich feudalistische Rechte für sich beanspruchte, wie weiland die Kurfürsten oder die ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitung.

      Irgendwann hatte es Stefani nicht mehr in diesem System ausgehalten, wo Personalentwicklung mit Entlassung gleichgesetzt wurde und Vorgesetzte es als Zeichen von Faulheit und Schwäche brandmarkten, wenn jemand ein Seminar zur Mitarbeiterführung oder Mitarbeitermotivation belegen wollte.

      Stefani löschte seine Zigarette. Es hatte zu schneien begonnen. Heute würde er nichts mehr erfahren.

      Kommissarin Rose sehnt sich nach einem handfesten Bankraub

      Mittwoch, 4. März

      Am Mittwoch berichteten die Thüringer Allgemeine und die Thüringer Landeszeitung in einer kleinen Notiz von einer Bombendrohung in der Staatskanzlei. Die Ostthüringer Zeitung und das Freie Wort erwähnten den Vorfall überhaupt nicht. Donnerstag sprach keiner mehr davon.

      Freitag, 6. März

      Auch Lea Rose hatte die Notiz vom Mittwoch gelesen. Die Kommissarin war in der Mittagspause die paar Schritte von der Dienststelle in der Andreasstraße hinauf auf die Zitadelle Petersberg gelaufen und schaute über die mittelalterliche Stadt mit ihren vielen, von der Sonne bestrahlten, schneebedeckten Türmen. Im letzten Jahr war hier eine Glockensymphonie uraufgeführt worden. Eine Hommage an die unzähligen Kirchen und Türme auf engstem Raum. Zugegeben, das Zusammenspiel der 25 teilnehmenden Geläute der Altstadt war nicht ganz optimal gewesen, aber in welcher anderen Stadt wäre ein solches Unterfangen überhaupt möglich?

      Der Fall Edelmann ging ihr nicht aus dem Kopf. Was stimmte da nicht? Eine Unverfrorenheit, die Durchsuchung vor drei Tagen als Bombendrohung abzutun. Obwohl - vielleicht war es wirklich eine Bombe, nach der sie gesucht hatten; eine politische Bombe? Die Staatskanzlei mauerte wieder einmal. Alles erinnerte sehr an das unglaubliche Verhalten der Regierungsspitze im Fall Pilz. Damals war besonders offensichtlich, dass die Landesregierung etwas zu verbergen hatte.

      Pilz war wegen Subventionsbetruges angeklagt worden. Der Unternehmer hatte mit hoher staatlicher Förderung in Albrechts, einem kleinen Ort bei Suhl, ein CD-Werk bauen lassen. Lea Rose war zufällig bei der Grundsteinlegung 1991 im Festzelt dabei gewesen. Eine Freundin aus Oberhof half beim Servieren und hatte sie mitgenommen. Es war heiß und schwül gewesen, Fahnen flatterten, es gab Bratwürste, Brätel, Bier und Gratis-CDs, Bundeswirtschaftsminister Möllemann hatte gesprochen. Es handelte sich um das erste deutsch-deutsche Jointventure, ein Vorzeigeprojekt der ersten Stunde, was sich die Landesregierung nicht einfach kaputt machen lassen wollte. Auch als die Lage für die Firma immer prekärer wurde und sogar der damalige Thüringer Wirtschaftsminister erste Bedenken äußerte, wurden noch weitere Staatsgelder in das Unternehmen gepumpt. Man sprach von einer halben Milliarde Mark. Und der Verdacht war nicht von der Hand zu weisen, dass zumindest grob fahrlässig gutes Geld schlechtem hinterher geworfen wurde.

      Natürlich war die Staatskanzlei unter diesen Umständen nicht besonders interessiert an einer Aufklärung des Skandals. Es ging um Reputation und vor allem um etliche hundert Millionen, die eventuell an die EU in Brüssel hätten zurückgezahlt werden müssen. Die CDU hätte zur nächsten Landtagswahl gar nicht erst antreten müssen. Aber die Art und Weise, wie anschließend insbesondere auch von Graus agiert worden war, erinnerte mehr an eine Bananenrepublik als an einen stolzen Freistaat.

      Die notwendige Aktenbeschlagnahme konnte nur mit massiver Unterstützung der Kollegen vom Bundeskriminalamt und erst nach Monaten durchgesetzt werden. Inzwischen war natürlich alle Zeit der Welt gewesen, um die Akten zu säubern. Zuvor hatte der Thüringer Justizminister und Präsident des Familienbundes der Katholiken, Andreas Weidemann, seine Glaubensbrüder und Kabinettskollegen vor der „geheimen“ Durchsuchungsaktion gewarnt. Zudem war massiv Druck auf Richter und Staatsanwälte ausgeübt worden. Später hieß es dann, es habe sich nicht um „Weisungen“, sondern nur um „Ratschläge“ gehandelt. Die Staatsanwaltschaft Erfurt stellte die Ermittlungen wegen eines möglichen Verrats von Dienstgeheimnissen gegen Justizminister Weidemann ein, weil er nicht vor der Durchsuchung gewarnt, sondern nur die freiwillige Herausgabe der Akten empfohlen habe. Dass auch in diesem Fall aus einer unangemeldeten Durchsuchung eine angemeldete wurde, schien in der Staatsanwaltschaft niemanden gestört zu haben.

      Diese Verquickung von Politik und Recht hatte in Thüringen jetzt schon fast 80 Jahre Tradition. Erst kürzlich hatte die Staatsanwaltschaft in Erfurt erneut ihre Abhängigkeit von der Politik unter Beweis gestellt, indem sie entgegen jedem juristischen Sachverstand und gegen jede fachliche Redlichkeit eine absurde Anklage gegen zwei Manager der Stadtwerke erhoben hatten, womit die Herren aus dem Justizzentrum in der Rudolfstraße zwar dem Oberbürgermeister die Wahl gewinnen halfen, das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden aber erneut massiv untergraben worden war.

      Lea Rose schaute nach Osten. In der Ferne war der Turm des Mahnmals Buchenwald zu sehen. Besonders die inzwischen kaum noch lesbare Inschrift auf der Rückseite der zweiten Stele hatte sie schon fasziniert als sie dreizehnjährig, damals noch oder schon schwärmerisch Hesse und Brecht verpflichtet, erstmals mit den Thälmann-Pionieren ihren obligatorischen Buchenwaldbesuch absolviert hatte:

       Sagt, warum wurdet ihr hierher verschickt?

       Verdächtig wurde, wer die Wahrheit sprach,

       Verurteilt, wer den Volksbetrug durchblickt,

       Verfemt, wer fragte: und was kommt danach.

      Da hatte doch tatsächlich Johannes R. Becher in den fünfziger Jahren die perfide Stirn gehabt, eine solch verlogene Losung in Stein meißeln zu lassen, während gleichzeitig seine Landsleute und Schriftstellerkollegen Walter Kempowski und Erich Loest in Bautzen und anderswo wegen genau dieser missliebigen Zivilcourage eingebuchtet waren. Diesen Zusammenhang hatte sie allerdings erst später begriffen.

      Lea Rose fröstelte. Es war zwar sonnig, aber ein kühler Wind kroch unter ihren Parka. Sie kehrte zurück. Rechts lagen die alten Kasernen, dahinter das Gebäude der Stasi-Unterlagenbehörde. Links ragte ein unglaublich hässlicher Betonklotz über die Zinnen der Zitadelle, das neuerbaute Cafe auf Stelzen. Hier hatte sich Oberbürgermeister Rüffel ein würdiges Denkmal geschaffen. Gegen den Bau des vergleichsweise ästhetischen Bundesarbeitsgerichts am Südrand des Petersberges hatte es Proteste ohne Ende gegeben. Dieser Schandfleck hingegen genoss ungestraft die Sanktion des OB. Es handelte sich dabei wohl auch um so einen typischen Patronagefall, vor denen man in Erfurt und Thüringen momentan nie sicher sein konnte.

      Die Vorgänge in der Staatskanzlei zu Karneval beunruhigten die Kommissarin, wenngleich sie offenbar die Einzige war, die ein gesteigertes Interesse an der Aufklärung der Vorgänge hatte. Sollte sie nahezu im Einzelgang wider die diversen Stachel der geballten Staatsmacht löcken?


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