SILBER UND STAHL. Nicole Seidel

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SILBER UND STAHL - Nicole Seidel


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      Völlig entkräftet fällt der Hexer neben der sterbenden Bruxae zu Boden. Ihr trauriger, ungläubige Blick ruht auf ihm. Er dreht sich auf den Rücken, erliegt seiner Erschöpfung. Schläft ein.

       Doch eine Seele wacht voller Furcht

       Anders der Hexer, mutig und kühn

       Bezahlt in Gold für seine Müh‘

      Die Sonne geht auf und wirft ihre warmen Strahlen über die staubige Erde. Zerteilt die Wände der Scheune, das Gatter darum und die umliegende Bäume in ein einladendes Spiel von Licht und Schatten. Geralt erwacht plötzlich, fährt auf. Die Klauen der Vampirin zeichnen noch sein bärtiges Gesicht. Ein Blick zur Seite, doch bereits knöchern sind die Überreste der Bruxae.

       Er schlägt dich, zerhackt dich

       Teilt dich entzwei

       Isst dich im Ganzen

       Am Stück und im Ganzen…

      Geralt steht auf, schwingt sich auf sein Pferd Plötze und reitet zur nahegelegenen Stadt zurück, um sich seine Belohnung abzuholen.

      I - Sieben Raben

      Ein Müller hatte sieben Söhne

      Söhne groß, gescheit und stark

      Doch im Tausch für eine Tochter

      Baut er jedem Sohn den Sarg

      Die Mutter weint um jeden Buben

      Sieben Tränen in ein Tuch

      Und zur Rettung ihrer Söhne

      Sprich sie einen bösen Fluch

      Den Söhnen schwarze Federn wachsen

      Flügel schlagen in der Luft

      Erheben sich als sieben Raben

      Entkommen so des Vaters Gruft

      Kein Wort verliert sich über Schrecken

      Die in jener Nacht gescheh’n

      Die Tochter sucht die sieben Brüder

      Die sie nie mehr würde sehn

      Sieben Jahre will ich schweigen

      Sieben Jahr kein Lächeln zeigen

      Sieben Jahre Trauer tragen

      Sieben Jahre und ein Tag

      Sieben Raben sollen steigen

      Sieben Jahre will ich leiden

      Sieben Jahre nicht verzagen

      Sieben Raben

      Und im Lauf von sieben Jahren

      Reift das Töchterlein zur Frau

      Entdeckt im Schuppen sieben Särge

      Und weiß um ihr Tun genau

      Spricht die selben Zauberworte

      Die die Brüder einst verflucht

      Will sich opfern für die Burschen

      Die sie hat solang gesucht

      Niemals hat sie mehr gesprochen

      Ihr Gemahl trägt’s mit Geduld

      Doch seine Mutter schiebt ihr heimlich

      Beweise zu für schlimme Schuld

      Kann vor Gericht sich nicht verteidigen

      Wird verurteilt und bleibt stumm

      Und mit dem ersten Schlag des Henkers

      Sind die sieben Jahre um

       (Saltatio Mortis)

      I

      Die Sommersonne stach vom wolkenlosen Himmel herab und die steppengleiche Landschaft tat ihr übriges um jeden Wanderer in dieser Ödnis einzulullen. Vier schwarze Punkte kreisten über diesen unbarmherzigen Horizont und kamen näher dem Abgrund, als sie dort eines einsamen Reiters gewahr wurden. Die braune Stute ließ am langen Zügel den Kopf hängen und setzte träge einen Huf vor den anderen. Sein Reiter hatte sich die Kapuze seines dunklen Umhangs über den Kopf gezogen, um sich so vor der prallen Sonne zu schützen. Unter seinem Umhang blitzten seine Nietenmanschetten an den Armen hervor und Strähnen weißen Haares drangen seitlich des gesenkten Gesichts hervor. Am Sattel hingen eine kleine Holztruhe und ein großes Eisenschwert.

      Die vier schwarzen Punkte kamen schnell näher und identifizierten sich schließlich als vier schwarze Vögel: als vier Raben. Sie kreisten über dem Reiter und machten krächzend Lärm.

      „Krah, das ist er!“ krähte einer.

      „Bist du dir – krah – sicher?“ wandte ein zweiter ein.

      „Krah! Er muss es sein, krah!“ erwiderte der dritte.

      Der vierte Rabe schwieg und stieß herab auf den ahnungslosen Reiter. Seine Krallen schlugen sich in den groben Stoff der Kapuze und zogen daran.

      „Verdammt!“ Der überraschte Mann schlug nach dem Vogel, der frei kam und sich wieder in die Luft erhob.

      Die Stute tänzelte und der Kämpfer sprang elegant aus dem Sattel und hielt unerwartet das Eisenschwert in der Hand. Mit der freien Linken streifte er sich die Kapuze vom Kopf – darunter kam ein fast hübsches, junges Männergesicht zutage, wären seine Züge nicht so versteinert und die Narbe am linken Auge nicht so tief gewesen. „Ruhig, Plötze. Das sind nur Raben.“ Die Stute schüttelte sich die Fliegen von den Augen und beruhigte sich.

      Seine markant-gelbfahlen Augen richteten sich gegen den Himmel und schauten verwundert auf die über ihn kreisenden vier Raben.

      „Ja – krah!“

      „Er ist es! Krah!“

      „Krah – der Hexer!“

      Geralt von Riva steckte das Eisenschwert zurück an den Sattel. Hatte er gerade Raben reden hören? „Lasst mich in Ruhe“, rief er zu den Vögeln hinauf. Sein Wolfsamulett auf der Brust zog an ihm, hier war Magie am Werk.

      Da flog wieder einer der Raben hinab und landete vor ihm auf dem Weg. „Krah, seit ihr der Hexer Geralt von – krah – Riva?“ wollte der schwarze Vogel wissen. Das Tier war recht groß, maß im Ganzen über einen halben Meter.

      Ohne Furcht trat Geralt an den Vogel heran und setzte sich in die Hocke, um etwa auf gleicher Höhe mit ihm zu sein. „Was willst du von mir?“

      Die anderen drei Raben flogen nun ebenfalls hinab zum Boden und ließen sich hinter ihrem schwarzen Federbruder nieder.

      „Krah, wir suchten dich“, meinte der kleinste von ihnen.

      „Nun, da bin ich.“

      „Wir sind – krah – verzaubert und brauchen deine – krah – Hilfe!“

      Das Wolfsamulett ruckte sehr an der Kette und sprach ganz deutlich auf die Magie, mit denen die Raben umgeben waren, an. Geralt nickte nur stumm.

      „Krah, wir sind sieben an der Zahl“, meinte der vorderste Rabe.

      „Und haben – krah – ein Schwesterlein“, erwiderte der kleinste.

      „Ein – krah - Fluch wurde über uns gelegt“, sprach der nächste Rabe.

      Der Hexer setzte sich auf seinen Hosenboden direkt vor die vier Raben. „Erzählt mir eure Geschichte von Anfang an.“

      Und so erzählten die Raben ihre Geschichte...

      II


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