SILBER UND STAHL. Nicole Seidel
Читать онлайн книгу.uns, krah, Geralt von Riva!“
„Wie weit ist es nach Feldwaldingen!“ fragte der Mann und erhob sich. Er klopfte sich den Staub von der Hose.
„Krah – zwei Tagesritte etwa.“
„Du bist Edelward, der älteste?“ Geralt zeigte auf den großen, vorderen Raben.
Dieser nickte.
„Ich bin – krah - Gustad und die beiden, krah, kleinen hier sind Alfward und Andward“, sagte der mittlere Rabe.
„Nun, gut. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich euch helfen kann, aber ich versuch’s. Führt mich nach Feldwaldingen.“ Der weißhaarige Kämpfer schwang sich in den Sattel.
Die vier Raben erhoben sich und flogen ihm voraus.
Unterwegs erfuhr Geralt, dass die Raben den dortigen Henker vergiftet hatten, um eine eventuelle Vollstreckung auszusetzen. Auch eine Gerichtsverhandlung war bereits abgehalten worden, in der die Beweise – beziehungsweise die Diebesbeute – sichergestellt worden war und weitgehend alle Belastungen auf eine Zeugin – die Mutter Hagnessa – ausgerichtet waren. Sie war es auch, die eine kostbare Kette einer reichen Freundin im Zimmer des Mädchens gefunden hatte und daraufhin die Gendarmerie verständigt hatte. Im Zimmer fand sich dann noch weiterer gestohlener Schmuck und Hagnessa habe beobachtet, wie sich Nächtens Sabryn immer heimlich mit schwarzen Raben getroffen hatte, die ihr sicher die gestohlenen Schmuckstücke gebracht hatten.
Der Vogt Mainer von Richtweih war sichtlich ungehalten über die mittägliche Störung beim Essen. Aber als Stadthalter und oberster Richter kam ihm der fremde Besucher dann doch gelegen, als der ihn ganz unverblümt nach Arbeit fragte.
„Du bist ein Hexer?“ Der Vogt – ein stattlicher Mann mit erfahrenen Zügen, dessen fortgeschrittenes Alter das kurze schwarze Haar immer grauer werden ließ – biss sich ein weiteres Stück vom Truthahnschenkel ab.
Geralt nickte und ignorierte seinen hungrigen Magen, der beim Geruch des saftigen Truthahns vor ihm zu knurren angefangen hatte.
„Wir haben hier keine Ungeheuer. Aber mein Henker ist krank geworden und bald steht eine Vollstreckung an.“
„Ich töte keine Menschen“, wandte Geralt ein.
„Hexer werden doch zum Töten abgerichtet. Das ist eure Passion. Die Arbeit eines Henkers ist viel leichter, sein Opfer bewegt oder wehrt sich meist nicht mehr.“ Mainer von Richtweih lachte auf, als einziger von seinem Witz angetan. „Ich zahle gut.“
„Ich nehme an.“
„Gut. Hauptmann Joule Weiden zeigt dir alles, was du brauchst und wissen musst.“ Der Vogt winkte ihn mit dem abgenagten Truthahnknochen nach draußen.
Dort erwartete ihn schon der Hauptmann – ein Jungspund mit lockigem dunkelblondem Haar und einem Spitzbärtchen. Seine goldknöpfige Uniform trug er mit einer stolzen Erhabenheit, die Geralt so noch nie gesehen hatte. Wortlos folgte er ihm, seine Stute Plötze am langen Zügel führend.
„Der Stall ist dort.“ Hauptmann Joule zeigte auf einen Gebäudekomplex links. „Daneben ist die Kantine und oben findest Du ein Zimmer für dich. Der Richtsaal ist mit im Stadthalterhaus. Die Gendarmerie ist in diesem rechten großen Haus unter gebracht. Dahinter ist das Gefängnis und etwas die Straße hinunter findest du ein gutes Wirtshaus.“ Joule Weiden winkte einem seiner Untergebenen und beauftragte ihn, sich um Geralts Pferd zu kümmern. „Dort, “ er zeigte auf das zweistöckige Haus mit der Küche, „findest du Claude, er ist für alles Organisatorische zuständig. Er wird dir weiterhelfen. Ich hab noch zu tun.“ Sagte er und ließ den Hexer stehen.
Geralt nahm sein Eisenschwert und die Schatulle vom Sattel und ging zum mittleren Haus hinüber. Ein breiter Flur zweigte in verschiedene Räume ab, aus der Küche stürmte ein fettleibiger Kerl mit leuchtenden Augen und einer einnehmend-herzlichen Art. „Ah, du musst der neue Henker sein! Ich bin Claude. Wie ist dein Name?“
„Geralt.“
Claude stutzte kurz, erkannte das Wolfsamulett und die mutierten Katzenaugen, klopfte dann aber dem Hexer freundlich auf die Schulter. „Willkommen, Hexer Geralt. Dort die Treppe hoch und das linke hintere Zimmer ist für dich.“ Er drückte ihm einen Schlüssel in die Hand. „In zwei Stunden gibt es Abendbrot – bis dahin kannst du dich ein wenig mit der Örtlichkeit vertraut machen.“ Sprach auch er und verschwand.
Hm, zwei Stunden, bis sein Magen was zu essen bekommen sollte, dachte Geralt. Sein Zimmer war sauber, aber schlicht eingerichtet. Ein einfaches Bett mit einer Strohmatratze mit Decke. Ein Tisch unter einem kleinen Fenster, davor zwei Stühle. Auf der Gegenseite ein Waschtisch mit Schüssel. Eine große Truhe stand vor dem Bett. Mehr Komfort gab es nicht. Geralt legte seine Habseligkeiten auf den Tisch und schloss das Zimmer hinter sich ab.
Der Hexer umrundete das Haus der Stadtwache und entdeckte das Gefängnis auf Anhieb, war es doch das einzige Gebäude mit vergitterten Fensterluken. Im Vorraum lungerten drei Gardisten rum, sichtlich in ihrem ereignislosen Job unterfordert und daher gelangweilt und reizbar.
„Hi Bursche, was suchst du hier?“ meinte ein dunkler Mann in den besten Jahren, ebenfalls mit einem schmalen Bärtchen, was in Feldwaldingen wohl gerade Mode war. Er stellte sich Geralt in den Weg. Die beiden anderen blieben in respektvoller Habachtstellung hinter ihm sitzen.
Da trat Hauptmann Joule Weiden in den Raum. „Beruhige dich Garfyld. Das ist Geralt von Riva – er ist unser neuer Henker.“ Er reichte dem weißhaarigen Mann ein gefaltetes Dokument. „Hier ist deine Vollmacht.“
„Dann willkommen Henker.“ Ein hintergründiges Lächeln umspielte die schmalen Lippen Garfylds, mit einer ausholenden Geste setzte er sich wieder hinter seinen Tisch. „Was kann ich für dich tun, Kollege?“ Er legte einen provozierenden Unterton in jedes gesprochene Wort.
Geralt stand ihm allein gegenüber, Hauptmann Joule war geschäftig wieder nach draußen verschwunden. „Habt ihr zur Zeit Gefangene?“ fragte er ruhig.
„Nur eine – hier in Feldwaldingen leben anständige Leute.“
Der Raum war winzig klein, gerade mal einen auf zwei Meter – jede Gefängniszelle, wovon es ein Dutzend gab, hatte dieses winzige Maß. Etwas Stroh lag in der hinteren Ecke und darauf kauerte eine kleine dreckige Gestalt. Gegenüber der schweren Holztür, ein winziges vergittertes Fenster. Geralt stand in der offenen Tür und schaute auf Sabryn Engerling herab. Hinter ihm stand der Wachsoldat, der ihm die Zelle geöffnet hatte.
„Wenn sie als Diebin überführt wird, wirst du ihr die Hände abhaken – das macht man hier mit dreisten Dieben so“, meinte Garfyld.
Geralt schwieg. Er hatte aus dem hinteren Bereich der Zellen ein Schaben und Krähen gehört. Er verließ die Zelle und wandte sich den Geräuschen entgegen. Drei Zellen weiter, die Tür stand offen, entdeckte der Hexer einen Käfig auf dem Boden. In dem Käfig kauerten drei Raben. „Was habe die Vögel verbrochen?“
„Das sind die Diebeshelfer der Hexe! Wir konnten sie fangen, aber es sind wohl sieben Raben, die der Hexe geholfen haben!“ erläuterte Garfyld mit Verachtung in der Stimme.
Geralt drehte sich zu dem Wachmann um und starrte ihn mit eisigem Blick an. „Solange ihre Schuld nicht einwandfrei erwiesen und sie verurteilt wurde, hat das Mädchen einen Namen. Sie ist sicher keine Hexe und dass diese Vögel ihr geholfen haben sollen – bei was auch immer – bezweifle ich.“
„Du bist kein Richter, das entscheidet der!“ brummte Garfyld beleidigt, aber sichtlich von der unheimlichen Aura des Hexers eingeschüchtert. „Das Urteil steht fest! Es wurde nur noch nicht ausgesprochen, weil ihr Mann, der Kaufmann Engerling noch nicht zurück ist. Aber er wird in höchstens drei Tagen zurück erwartet. Dann ist alles andere nur noch Formsache!“ Damit ließ er den weißhaarigen Mann einfach stehen.
Geralt ging zu dem Käfig mit den drei Raben darin. „Petrad? Paulad? Und Martrad?“
Ein dreistimmiges „Krah