Ein gerissener Kerl. Edgar Wallace

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Ein gerissener Kerl - Edgar Wallace


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blonde, kraftvolle Schönheit Ursula Frenshams raubte ihm den Atem, sooft er sie sah. Sie kam auf ihn zu und streckte ihm, Überraschung und jähe Freude in den Augen, die Hand entgegen.

      »Tony, Sie sind ein schlechter Mensch!« rief sie. »Sie haben sich seit Monaten nicht bei uns sehen lassen.«

      Ihres Vaters Missbilligung konnte sie nicht bemerken, aber sie hätte vielleicht ahnen können, daß der lächelnde junge Mann, der ihr folgte, nicht mehr lächelte.

      »Ich bin nicht gekommen, weil man mich nicht eingeladen hat«, erklärte Tony Braid mit dem kleinen, drolligen Lachen, das ihm eigen war. »Keiner liebt mich, Ursula, ich bin verfemt auf der weiten Erde.«

      »Reden Sie nicht so närrisches Zeug«, wies ihn Frensham zurecht.

      Mr. Reef schüttelte das starre Erstaunen über den unerwarteten Anblick des verhaßten Mannes ab und lächelte wieder. Er lächelte immer, dieser Mann mit dem roten Gesicht, dem dichten, rötlichbraunen Haar und den herrlichen weißen Zähnen. Er sah merkwürdig jung aus, trotz seiner dreißig Jahre, und hatte eine jungenhafte Art, mit verletzender Offenheit Wahrheiten von sich zu geben. Freilich waren es Wahrheiten, die wie Peitschenhiebe saßen, und auch sein freies und fröhliches Lächeln dabei war nur ein gelinder Trost.

      »Quatsch, Braid«, sagte er, »Sie tun sich wohl schrecklich leid! Wenn ihr Burschen in den Fünfzigern euer Haar auch noch so verdächtig dunkel und eure Taillen Gott weiß wie schlank bewahrt, die Grämlichkeit platzt euch doch aus allen Nähten. Ich habe Sie zu Gesellschaften eingeladen, alter Junge, aber Sie saßen da wie ein Ölgötze!«

      Braid blieb ganz ruhig.

      »Ihre Gesellschaften haben mich gelangweilt«, sagte er obenhin, »und wenn ich mich langweile, werde ich nun mal grämlich. Ich habe Ihre Gesellschaften endgültig an meinem neununddreißigsten Geburtstag aufgegeben. Der war voriges Jahr. Und, offen gesagt, Ihre Freundinnen gefallen mir nicht. Da ziehe ich Ballettmädels vor. Die tun wenigstens nicht, als ob sie was Besseres wären.«

      Julian Reef lachte zwar, aber nicht besonders herzlich.

      »Faucht euch nicht an«, schalt Ursula vorwurfsvoll.

      »Väterchen, lade Tony doch zum Lunch ein, und Tony, benehmen Sie sich anständig!«

      Lord Frensham fühlte sich offenbar sehr unbehaglich.

      »Ich kann Braid nicht zum Lunch einladen, weil ich in meinem Klub esse«, wich er aus. »Und jetzt, meine liebe Ursula –«

      Er hielt inne.

      »Ach so, ihr habt Geschäfte! Nur noch eins: Väterchen, du bist wieder nicht rasiert!« Sie nickte Tony zu und ging aus dem Zimmer.

      Mr. Julian Reef blickte von einem zum andern.

      »Ich störe wohl?« fragte er ahnungsvoll.

      Tony Braid antwortete: »Nein. Es betrifft Sie. Zeigen Sie ihm den Brief, Frensham, den ich Ihnen geschrieben habe.«

      »Ich denke nicht daran«, wehrte Frensham ab. »Ich habe Ihnen schon gesagt –«

      »Daß Sie keinen Skandal wünschen«, ergänzte Tony Braid ruhig. »Und ich versichere Ihnen: es wird keinen Skandal geben.«

      Er ging langsam zum Schreibtisch und tippte mit dem Zeigefinger auf die blankpolierte Platte, jedes Wort unterstreichend.

      »Bis vor sechs Monaten waren Sie und ich die besten Freunde. Ich bilde mir ein, ich habe Ihnen in manchem geholfen, auch verstehe ich von Börsengeschäften mehr als Sie. Ich sage das weder, um mich wichtig zu machen, noch als Vorwurf. Sie haben mit Ihr Haus geöffnet und mir gestattet, mich Ursula zu nähern. Und dann schicken Sie mir plötzlich einen Brief, verbitten sich meine Besuche und verbieten mir, Ihrer Tochter Aufmerksamkeiten zu erweisen. Heute morgen haben Sie plötzlich entdeckt, daß City-Gauner und Rennbahnabenteurer mich einen ›gerissenen Kerl‹ nennen – eine Tatsache, die Sie seit Jahren kennen! Sie werfen mir vor, daß ich den Kurs Ihrer Aktien hinuntertreibe, indem ich Lulangas hinter Ihrem Rücken verkaufe. Ich begegnete dieser Beschuldigung mit dem kategorischen Hinweis, daß der Mann, der Lulanga-Öl-Aktien verkauft und Sie an den Rand des Verderbens gebracht hat, Ihr Neffe, Mr. Julian Reef, ist, der aus irgendeinem Grund – offenbar einem höchst egoistischen – seit drei Wochen laufend Lulangas verkauft.«

      Julian Reefs Gesicht war plötzlich wutentstellt. Er packte Braid an der Schulter und schwenkte ihn zu sich herum.

      »Sie sind ein verfluchter Lügner!« schnaubte er.

      Im nächsten Augenblick lag er auf der Erde. Im Sturz hatte er einen Stuhl mitgerissen.

      »Halt, Braid!« Frensham war aufgesprungen und zwischen die beiden Männer getreten.

      Braid nahm seinen Hut und strich sorgsam glättend über dessen Rand. Ein kleines Lächeln spielte in den Winkeln seines Mundes.

      »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Frensham«, sagte er. »Aber noch kein Mann hat mich ungestraft ins Gesicht einen Lügner genannt. Übrigens verwaltet Mr. Reef, soviel ich weiß, gewisse Gelder Ihrer Tochter Ursula. Ich erlaube mir, Ihnen zu raten, durch einen Ihrer Buchhalter dieses Vermögen nachprüfen zu lassen. Selbst gelbe Diamanten kosten allerhand Geld.«

      Ohne übertriebene Eile griff er nach Handschuhen und Stock. Reef war inzwischen wieder auf die Füße gekommen, hielt sich den getroffenen Unterkiefer, blickte Braid mit tödlichem Haß an, wagte aber nicht, ihn aufzuhalten.

      2

      Nach Tony Braids Abschied lastete über dem Zimmer ein langes, besonders für den einen der beiden Männer sehr peinliches Schweigen. Frensham stand am Tisch, die Augen müde auf die Schreibmappe geheftet, und spielte zerstreut mit dem Brieföffner. Er war ein armer Mann. Sein Ausflug in die City war in gewissem Sinn ein Akt der Verzweiflung gewesen. Einem Mann seines Namens boten sich Präsidentenstellen in Hülle und Fülle. Zuerst hatte er jedes Angebot angenommen, doch schmerzliche Erfahrung lehrte ihn sehr bald die Notwendigkeit einer vorsichtigen Wahl.

      Lulanga-Öl war sein Steckenpferd. Er hatte ein großes Aktienpaket davon gekauft, hatte seinen gesamten übrigen Besitz verpfändet und weigerte sich zu verkaufen. Er glaubte an diese Aktien, glaubte vor allem an seinen klugen Neffen, der mehrere Jahre vor ihm in die City gegangen war.

      Ja, gerade der Erfolg Julian Reefs, der fast ohne einen Penny begonnen hatte und jetzt in bestimmten Kreisen als großer Finanzexperte galt, war der leuchtende Stern gewesen, der den älteren Mann in die Netze der Börsengeschäfte gelockt hatte. Auf Julians Rat hatte er die Lulanga-Aktien gekauft und den Vorsitz im Aufsichtsrat der Gesellschaft übernommen. Als eine Tante Ursula sechzigtausend Pfund hinterließ, hatte Julian ihn bewogen, ihm die Verwaltung dieses Vermögens zu übertragen. Er hatte das Geld sehr glücklich angelegt. Die Aktien, die er zuerst gekauft hatte, waren pures Gold.

      »Was hat er mit den gelben Diamanten gemeint?« brach Lord Frensham das Schweigen.

      »Ach, das!« lachte Julian. »Der Lümmel hat mein Steckenpferd entdeckt. Ich bin wild auf Diamanten, aber unglücklicherweise kann ich sie mir nicht leisten. So habe ich mich auf gefleckte Steine eingestellt, besonders gelbe, die nur ein Zehntel des Wertes der weißen haben.«

      Frensheim erinnerte sich plötzlich, daß er dem Neffen ein gewisses Mitgefühl schulde.

      »Aber nein!« rief Julian wegwerfend, »nein, er hat mir nicht weh getan!« Er rieb sich die schmerzlich pochende Backe. »Der Schlag kam nur so plötzlich, daß ich ganz unvorbereitet war. Natürlich konnte ich in deinem Haus nicht Vergeltung üben.«

      »Er hat es zum letzten Mal betreten«, versicherte Frensham. Dabei blickte er finster zur Tür, durch die Ursula gerade hereintrat.

      »Verzeiht, wenn ich störe – doch, wo ist Anthony?« Sie blickte sich verwundert um.

      Lord Frensham räusperte sich. »Braid ist gegangen und wird nie wieder seinen Fuß in mein Haus setzen. Er hat ohne jeden Anlass Julian brutal überfallen. Ich finde das einfach unerhört!«

      Sie


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