Gesichter. Otto W. Bringer

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Gesichter - Otto W. Bringer


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aussehen. Unfähig jeder bösen Absicht. Stelle mir vor, solche blutvollen Lippen erteilten nicht nur Befehle. Sondern konnten auch herzhaft küssen. Vorausgesetzt er nahm vorher die störende Manneszierde ab. Der Bart ein künstlicher. Aus feinen Frauenhaaren eng geflochten und mit Bienenwachs gefestigt. Eine Schnur hinter den Ohren hielt ihn da, wo er hin gehörte. Kosmetisch aufbereitetes Symbol, den Göttern vorbehalten. Anchesenamun kann man nach den näheren Umständen nicht fragen. Belege gibt es nicht. Wieder so ein Rätsel.

      Ein Wort zur Regierungsfähigkeit. Mächtig im Sinne des Wortes waren Djoser, Cheops, Tutmosis. Unter seinem vergnügungssüchtigen Vater Echnaton verfiel das Reich. Dem jungen, unerfahrenen Tutenchamun blieben knapp zehn Jahre Regierungszeit und der Ruhm des Spätentdeckten. Eines, der erst ein Mann werden musste. Von dem keine Heldentaten bekannt sind. Der nicht viel Wesen von sich machte. Sonst wüssten wir´s. Ungewollt wurde er der Interessanteste für die Nachwelt. Für alle, die neugierig oder staunend dieses schöne, klare, aber doch rätselhafte Gesicht betrachten. Das nur ausdrückt, was wir hinein interpretieren.

      Gleich, ob man das Original im Museum von Kairo, die Abbildung in einem von ungezählten Bildbänden, auf Postkarten betrachtet. Die Nachbildung aus dem Museumsshop. In Fotoalben oder auf der Leinwand von Ägyptenreisenden daheim. Immer wieder frage ich mich, wer war er wohl? Der junge König als Herrscher, als Mensch in einem Land, dessen letzte Geheimnisse noch in steinreicher Erde schlummern?

      Frage mich zum Beispiel, welches Durchsetzungsvermögen konnte er als Heranwachsender haben gegenüber Priestern und Generälen? Reichte es, König zu sein? Und ihre Ratschläge nur durchzuwinken? Wissend, er kann sie nicht ändern. Besaß er soziales Empfinden gegenüber der Masse seiner Landsleute damals? Wie Narmer etwa anderthalbtausend Jahre früher. Der mit der Eroberung des fruchtbaren Nildeltas Hungersnot beseitigte. Von Tutenchamun ist nicht überliefert, ob er die Bildung förderte, die Künste, den Sport. Was er unternahm, die sonnenverbrannte Erde bei Regierungsantritt als Tutenchamun wieder fruchtbar zu machen. Sein Antlitz ist das eines Engels. Fragen über Fragen. Und keine Antworten. Schweigen.

      Gerade deswegen beschäftigt Tutenchamun auch die kritische Archäologie unausgesetzt bis heute. Ihre Ergebnisse brachten schon interessante Aufschlüsse. Aber noch ist nicht alles geklärt. Bisher nicht gestellte Fragen lassen die Antworten im Wüstensand. Ich habe den Eindruck, die ungelösten Rätsel hinter der schönen Fassade des jugendlichen Herrschers sind und bleiben ein Teil des Phänomens, das Tutenchamun heißt. Zum Nutzen der forschenden Zunft in den kommenden Jahrzehnten.

      Der Korpus im Sarkophag behielt dank erprobter Methoden des Einbalsamierens lange sein ansehnliches Äußere. Obwohl ihn vor Carter niemand sah. Grabräuber interessierten sich schon bald nach der Grablegung nur für die goldenen Beigaben in den ersten Kammern des Grabes. Die mit tausenden Objekten lockten und leicht zu versilbern waren.

      Carter erblickte nach Öffnung des Quarzitsarkophages und Abnahme der Maske ein Gesicht, das nicht mehr viel von einem Gesicht hatte. Möglicherweise zerstörte es ein Brand. Balsamöle könnten sich selbst entzündet haben. Im Gegensatz dazu ist die Mumie Ramses´ II gut erhalten. Erhalten sind auch die beiden mumifizierten Föten, Kinder Tutenchamuns. DNA-Analysen bestätigen es. Sonst weiß man nichts von seinem Privatleben.

      Über Nofretete weiß man alles. Sie war die Frau seines Vaters Echnaton, aber nicht seine Mutter. Gebar ihm sechs Halbgeschwister, die nicht gefunden wurden. Nofretete aber hat als Kunstwerk alle Zeitgenossen übertroffen. Das Portrait einer Königin, der schönsten Frau des alten Ägypten. Legt man heutige Maßstäbe an. Ebenmäßig, stolz, beneidenswert gelassen trotz eines fehlenden Auges.

      Im Berliner Museum empfängt sie oberhalb der letzten Stufe einer Treppe die Heerscharen ihrer Bewunderer. Überirdisch, nicht nur rätselhaft schön wie Mona Lisa, die Konkurrentin im Louvre, Paris. Alle wissen, dies Bild ist von Leonardo Da Vinci. Nach dem Bildhauer der Nofretete fragt niemand. Wozu auch? Hat je einer gefragt, wer Gott geschaffen hat?

      Als ich mit der Kamera vor der Goldmaske Tutenchamuns stand, war Mittagszeit. Die Wächter im staatlichen Museum von Kairo eingenickt. Welche Chance. Ging näher heran. So nahe, bis meine Nase an den Glaskasten stuppte, hinter dem dieses überirdische Etwas auf mich zu warten schien. Schimmerte entgegenkommenderweise heller als sonst, kam mir vor. Von einem schwachen Spotlicht herausgehoben aus dunkel dämmerndem Raum. Ich stand und stand und traute mich nicht zu knipsen. Lauerte auf den Wärter seitab. Ob er jetzt aufwacht? Mich vertreibt? Fotografieren verboten?

      Meine alte Nikon-Kamera brauchte Ruhe und Genauigkeit beim Einstellen von Belichtungszeit und Blende. Bloß nicht wackeln! Stativ zu auffällig für den geplanten Schnappschuss. Aus der Hüfte heraus sozusagen wollte ich schießen. Rasch, damit es keiner verbieten kann. Was ich im Kasten habe, kann mir nicht mehr genommen werden. Aufgeregt schon. Meine Rose abseits bei den überdimensionalen Armana-Skulpturen. Sie interessierte sich schon immer für Größe. Jetzt, jetzt schieß Otto. Noch ein Auge auf den Wachmann.

      Los jetzt, ohne Blitz, damit es so natürlich wirkt wie möglich. Einmal, zweimal, ausgelöst. Ein drittes Mal mit veränderter Blende. Zehntelsekunde frei aus der Hand. Ob es was geworden ist? Drei Wochen später Tutenchanun im Dia. Das Gesicht. Auf der Leinwand riesengroß. Scharf bis in die Details. Die Trophäe einer Reise: ein Gesicht, eine fremde Welt, ein viel zu jung gestorbener Mensch. Ein Gott für Kunstgläubige. Für mich eines der Gesichter, die mich reizen, weiter zu forschen, nachzudenken. Dankbar, dass hinter allen Fassaden immer noch ungelöste Rätsel lauern. Oder sind es schlichtweg nur Fragen, die keine Antwort haben?

      Letzte Meldung: Der Ägyptologe Nicholas Reeves untersuchte die Gruft Tutenchamuns in neuer 3-D-Technik. Es könnte sein, dass Nofretete dort begraben ist. Sie soll nicht Tuts Mutter sein, sondern Kirja, Echnatons Nebenfrau. Nofretete konnte keinen männlichen Nachfolger gebären. Ägyptologen sind neugierig. Die Regierung verbietet die Wand zur Nebenkammer zu durchbrechen. Die schönen Fresken könnten beschädigt werden.

      Teje, Tutenchamuns Großmutter

      Ein Stück Holz mit tausend Spuren. Eines, das mich sofort fesselte. Das eindrucksvollste Gesicht Ägyptens, finde ich. Das der Königin Teje, der Großmutter Tutenchamuns. Auch fotografiert. Sonst wäre es nicht in diesem Buch. Eines, das mich faszinierte, weil es anders ist. Alle Gesichter sind anders und doch auf eine gewisse Weise gleich. Wie die der Heiligen auf barocken Gesimsen.

      Die unüberschaubare Masse an Statuen im Museum, stehenden, sitzenden, liegenden mit ihren Köpfen wie in einem Warenhaus. Meine Kamera ist eigensinnig. Fordert mich auf, auf jedes Objekt einzugehen. Zwingt mich, Zeit zu haben. Lasse mich ein. Bei wenigen. Tutenchamun, den größten habe ich fotografiert. Andere folgten, sofern es hell genug war. Dann diese Teje.

      Nichts anderes als ein Stück altes Holz mit Resten von Gold. Warum dieses Gesicht? Andere, schönere in Fülle ringsum. Auch von Teje. Das aus Holz fasziniert mich. Wie alles Gewachsene, Altgewordene. Ein Stück Holz mit tausend Spuren. Aus welchem Stamm wurde es wohl geschnitzt? Lese, in Ägypten war Holz ein wertvolles Baumaterial. Und Werkstoff für bildende Künstler. Aber bevor man es nutzen konnte, musste es erst einmal wachsen.

      Ägypter pflanzten Bäume, um Material für Bauten, Möbel und Kunstwerke zu haben. In erster Linie aber, weil sie von ihren Früchten lebten. Von süßen Datteln und Feigen. Im Erfinden fruchtiger Speisen waren sie Meister. Ägyptenreisende schwärmen noch lange von Lammgerichten mit gedünsteten Feigen, kandierten Datteln. Nur sechshundert Kilometer nah auf der Insel Föhr überraschten uns im Gasthof ‚Altes Pastorat’ original ägyptische Gerichte. Der Ägypter Il Dessuki, Pächter und Koch, erinnerte unsere verwöhnten Zungen und schwärmenden Gemüter an die Nilreise im Jahr zuvor. In seinem Garten fächern zwei Tamariskenbäume Wolken von Rosa in die Luft.

      Bäume, die wir auch in Ägypten sahen. Werden besonders in Wüsten und wüstenähnlichen Gegenden angepflanzt. Weil sie dem Boden das Salz entziehen. Ihn damit geeignet machen für den Anbau von Mais und anderen Feldfrüchten. Erst kürzlich bestätigte der chinesische Tamariskenforscher Liu Minghin in langen Forschungsreihen diese wichtige Eigenschaft für landwirtschaftliche Entwicklungen in Wüstengebieten.

      Man spricht von fünfzig bis neunzig Tamarisken-Arten. Eine


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