Gesichter. Otto W. Bringer
Читать онлайн книгу.ernährte die hungernden Israeliten. Sie glaubten, Gott habe es vom Himmel regnen lassen. Dabei war es die Schildlaus, die lausige.
Tamarisken erreichen eine Höhe von zehn Metern. In ihrem Schatten feierten die alte Ägypter Gastmähler. Pflanzten sie rund um Gräber. Glaubten, in ihren Zweigen halte sich Osiris auf. Gott und Richter über die Toten. In den Sargtexten identifizierten sich die Verstorbenen mit Osiris. Ließen auf den Innenwänden ihres Sarges die Geschichte seiner Einbalsamierung und Wiederauferstehung ausführlich beschreiben. Hofften, dass ihnen dadurch Gleiches widerfahre.
Man fand Särge aus dem Holz von Tamarisken. Aber auch Statuen. Weiß ich jetzt, aus welchem Holz Tuts Großmutter geschnitzt ist? Bevor ich von anderen Hölzern erfahre. Von der Esche zum Beispiel. Dieses Material eignete sich gut zur Herstellung von elastischen Bögen, damals Sportgerät und wirksame Waffe in Kriegen. Akazien für den Bau kleiner Boote. Für seetüchtige Schiffe importierte man das Holz von Zedern aus dem Libanon. Jeder kennt die majestätische Libanonzeder in unseren Parkanlagen. Darin steckt viel Holz.
Auch verwendet für Särge der Vornehmen. Indem man dünne Bretter zu Schichtholzplatten verleimte. Um Stabilität und Resistenz des Sarges gegen Feuchtigkeit zu erhöhen. Das erste Sperrholz der Geschichte. In der Stufenpyramide des Djoser in Saqqâra fand man Fragmente eines Sarges aus Schichtholz.
Die Akazie war der mengenmäßig größte Holzlieferant im alten Ägypten. Ideales Nutzholz für die Herstellung von Möbeln und häuslichem Gerät. Knapp gefolgt vom Maulbeerbaum oder Sykomore. Sein ungewöhnlich dicker Stamm machte den Anbau rentabel. Jeden Garten schmückte ein Maulbeerbaum. Große Grundbesitzer legten regelrechte Plantagen an mit dem sogenannten Obst- und Schattenbaum. Milchsaft und Früchte dienten der Nahrung und waren gefragte Heilmittel. Aus dem Holz schreinerte man Betten, Sitzmöbel und Truhen. Verständlich, dass man den Maulbeerbaum bei soviel Nutzen als Himmelsbaum verehrte.
Aus welchem Holz ist die Büste der Königin Teje geschnitzt? Sicher weiß es die Wissenschaft. Für meine Betrachtung ist es unwichtig zu wissen. Meine Frage ist, wie kam dieses Kunstwerk zustande? Rätselhaft Geburt und Werdegang eines Stückes Holz. Eines Werkstoffs, der alles möglich macht und nichts vergisst. Geduld und Fingerspitzengefühl des Künstlers, ein wachsames Auge, Zorn, Zweifel. Den kleinsten Fehler. Was dachte er bei der Arbeit? Es muss einer der Besten gewesen sein. Hätte ihm sonst der Wesir, höchster Verwaltungsbeamter am Hof, den Auftrag erteilt?
Der Schnitzkünstler unbekannt, nenne ihn Kaya. Er besuchte zuerst die Königin. Der Wesir gestattete ihm eine Stunde, sich ein Bild von ihr zu machen. Damit das Werk später dem Original möglichst zum Verwechseln ähnlich sieht. Als man ihn durch eine schier endlos lange Flucht hoher Hallen in ihr Gemach führte, schlotterten ihm die Knie. Soviel Vornehmheit hatte er sich nicht vorgestellt. In die Kalksteinwände rechts und links Reliefs geschnitten. Mit Göttersymbolen und ihrer Personifizierung den Königen. In kräftigen Farben. Dazwischen, darüber, darunter, daneben erzählen Massen vergoldeter Hieroglyphen von beiden und ihren Taten. Fest angestellte Schreiber waren hohe Beamte am Hofe. Dokumentierten alles und jedes für kommende Generationen. Ihre Hieroglyphen waren Vorlagen für Maler und Steinschneider. Unlesbar für Analphabeten, das gemeine Volk. Aber Achtung gebietend.
Tönerne Kübel mit niedrigen Fächerpalmen an jedem Durchgang. Und ein Posten. Wenn man es nicht besser wüsste, hielte man sie für Prinzen. So prächtige Kleider trugen sie. Unserem Bildschnitzer war, als müsste er vor jedem auf die Knie fallen. Wie erst musste die Königin auf ihn wirken?
Aufgeregt betrat er ihr Kabinett. Kleiner, intimer der Raum als die vorigen. Die Wände zur Hälfte mit resedafarbenen Flachsstoffen behängt, die das Weiche betonten der Frau. Da saß sie nun vor ihm. Im leichten Sommergewand. Leger auf einem resedafarben gepolsterten Hocker. Die Beine übereinander geschlagen. Dass ihre Knie durch den Stoff schimmerten. Lächelte ihn an: „Sie sind also der Künstler, der ein Portrait von mir machen will? Sitze ich richtig im Licht? Wie lange dauert es, mein Lieber? Ich habe die letzte Nacht schlecht geschlafen.“
Der Bildschnitzer fast erschrocken von so viel Vertrautheit, so wenig königlicher Distanz. Direkt, als wären sie Freunde. Wie ein Objekt am falschen Platz wirkte der königliche Kopfschmuck. Stirnreif und kunstreich plissiertes Kopftuch, der Chat. Ihre Zofe hatte sich heute besondere Mühe gegeben. Als ginge es zu einer Hochzeit. Wie vor einem Jahrzehnt. Als Amenophis III Teje, eine bürgerliche, aus Liebe heiratete. Inzwischen ist Echnaton, ihr Sohn bereits aus den Kinderschuhen heraus. Nicht lange und er wird Vater des berühmten Tutenchamun. Und Teje dessen Großmutter. Klingt privat und hausmütterlich. In Wahrheit aber war sie zu ihrer Zeit die einflussreichste Frau Ägyptens. Spielte mit bei allen wichtigen Entscheidungen. Krieg und Frieden waren abhängig von ihrem Votum. Mit Chat, dem alltäglichen Herrschaftssymbol der Königinnen auf dem Kopf sollte sie nun portraitiert werden.
Einzelheiten kannte der Bildschnitzer nicht. So wenig wie das allgemeine Volk. Sah ihr aber an, dass sie bei aller Lockerheit Königin war. Er dämpfte seine Stimme respektvoll: „Hoheit, erlauben Sie mir zu antworten. Das Licht ist fast ideal. Auf der Seite, die die schöne Biegung Ihrer Wangen vorteilhaft erhellt“. Schluckte ein wenig ob seines Mutes, so frei heraus zu reden. „Wenn Sie sich ein wenig nach links drehen könnten?“ Kaum ausgesprochen saß sie so, wie er es wollte. Sie pariert aufs Wort, dachte er. Und fühlte sich schon sicherer. „In einer knappen Stunde bin ich fertig.“
Klappte ein hochbeiniges Arbeitstischchen auf, das er mitgebracht hatte. Er wollte keine Skizzen machen, Varianten ausprobieren, wie er es üblicherweise machte. Zweidimensional Schwarz auf Weiß. Nahm einen Klumpen weichen Tons aus dem Beutel, seiner Sache sicher. Und begann zu formen. Drei Dimensionen wie in Natura. Nur kleiner. Die Stunde war noch nicht um, das Modell in Ton und ein paar Detailskizzen fertig.
Teje hatte jede Bewegung seiner formenden Finger verfolgt. Gesehen, wie ihr Ebenbild entstand. Erhob sich, um es von Nahem zu betrachten. „Geschmeichelt, mein Lieber. Schlanker als ich bin. Gefällt mir. Wie groß wird das Original?“ „Die Elle eines Kindes in der Höhe, Hoheit, wenn´s Ihnen recht ist.“ Es sollte eines von mehreren Portraits in ihrer späteren Grabkammer werden.
„Bis wann?“ Wieder musste er schlucken. Überlegte rasch, raffte allen Mut zusammen: „Ihre Hoheit wollen doch ein getreues Abbild Ihrer Hoheit. Qualität braucht Zeit. Denken Sie an die wunderbare Sphingen-Allee in Luxor. Acht Jahre brauchten sie damals.“ Schluckte. Teje: „Mir sind acht Wochen recht. Dir auch, hoffe ich“.
Ihr Lob beschleunigte seine Schritte zum Holzhandel. Einen, von dem er wusste, dass seine Ware von bester Qualität ist. Aber Qualität ist nicht gleich Qualität. Es musste schon ein besonderes Holz sein. Das dem Rang des Auftraggebers entspricht. Und zum Schnitzen geeignet. Für seine Königin das Beste. Was heißt das? Es musste kurzfaserig sein, um alle Feinheiten des Gesichts herausholen zu können. Ohne dass es spleist und splittert. Und von kernig dichtem Zellgewebe, damit es Jahrtausende überdauert.
In Ägypten dachte man in Ewigkeiten. Er suchte und fand Passendes. Balken aus dem Kernholz der Bäume geschnitten. Für das geplante Volumen seiner Büste. Knapp zwei Handspannen im Quadrat. Entdeckte Esche, Akazie, Tamariske, Maulbeerbaum. Drehte sie um und betrachtete sie von allen Seiten. Roch an ihnen. Schnitt einen Streifen ab, die Schnitzfähigkeit zu testen. Strich nochmals darüber mit wissender Hand. Fühlte die Masse dahinter, den festen Kern des Holzes. Flüsterte ihre Namen, als betete er zu Göttern. Die Tamariske ist es. Fest unter seinem Griff. Spürte Entgegenkommen in seinen Fingern. Hörte die Stimme Osiris: „Nimm die.“
Jeder, der ihre rosigen Blütenwolken einmal gesehen hat, weiß: das richtige für eine Königin. Er ließ sich den ganzen ausgewählten Balken liefern. Obwohl ihm ein halber Meter genügt hätte. Plötzlich unsicher, ob ihm das Bildnis Tejes auf Anhieb gelingt.
Zuvor noch prüfte er seine Werkzeuge. Ein neuer Beitel sollte her. Riskierte einen mit eiserner Klinge. Erster Versuch einer Kupferhütte, die er sehr schätzte. Eisen soll härter sein, vor allem länger scharf bleiben. Nicht lange, und das Nebenprodukt bei der Schmelze von Kupfererzen wird die Bronze ablösen. Die anderen Werkzeuge traditionell aus legiertem Kupfer und Zinn. Säge, Meißel und Dechsel zum Glätten konnte er leicht selbst nachschleifen und schärfen. Ließ sich Zeit. Dachte, nur wenn ich gut ausgeruht bin, gelingt das Werk. Dabei plagte