Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze. Frank O. Hrachowy

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Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze - Frank O. Hrachowy


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Fiat und Ford. Erst auf Rang 5 stand VW mit seinen Verkaufszahlen. Unverblümter ausgedrückt: Es war im VW-Konzern bekannt, dass VW-Chef Leiding seinen Verkaufschef loswerden wollte. Ende Oktober trat Carl Hahn seinen Jahresurlaub an – mit seiner Rückkehr an seinen Wolfsburger Schreibtisch rechnete niemand. Diese Einschätzung sollte sich bewahrheiten.

      Mittlerweile waren in der Presse die ersten Bilder des Entwicklungsprojekts EA 337 zu bestaunen. Neben den Bildern sickerten auch die ersten technischen Daten durch. So sollte der Kompaktwagen über einen quer eingebauten, wassergekühlten Frontmotor verfügen, der seine Kraft an die Vorderräder abgeben würde. Ausgerüstet werden sollte der Käfer-Konkurrent mit MacPherson-Federbeinen und Scheibenbremsen an der Vorderachse. Vorne und hinten sollten Knautschzonen für die Sicherheit der Insassen sorgen. Offensichtlich war: Dieses neue Modell hatte weder technisch noch optisch etwas mit dem alten VW Käfer gemein.

      Unterdessen änderte sich die währungspolitische Situation auf der Welt dramatisch, was gerade der in Deutschland beheimatete VW-Konzern deutlich zu spüren bekam. So notierte der Dollar gegenüber der Deutschen Mark immer schwächer, was die Preise für die aus Deutschland in die USA exportierten VW-Modelle stetig in die Höhe trieb. Die Auswirkungen auf die Ertragslage der Wolfsburger waren deutlich, denn immerhin wurden rund ein Drittel der jährlich gebauten 1,9 Millionen VW-Fahrzeuge nach Nordamerika geliefert. In dieser Notlage wurde ernsthaft über den Bau eines eigenen VW-Werks in den USA diskutiert.

      Während der Dollarkurs immer weiter sank und sich die Währungskrise verschärfte, erschien im Mai 1973 mit dem auf dem Audi 80 basierenden VW Passat schließlich eine ganz neue Mittelklasse-Limousine aus Wolfsburg, die jegliche optische Altbackenheit, aber auch jegliche technische Rückständigkeit abgelegt hatte. Dazu konkretisiert der VW-Konzern aus heutiger Perspektive auf seinem Portal VOLKSWAGEN CLASSIC: »Nach dem ebenfalls wassergekühlten und frontgetriebenen K 70 wird jetzt eine wesentliche Eigenentwicklung vorgestellt, der neue Passat. Aus Gründen der damals noch andauernden Konzernkrise werden die Produktionskosten durch Übernahme von Plattform und Aufbau des ein Jahr zuvor erschienenen Audi 80 (Design: Hartmut Warkuß) niedrig gehalten.«17

      Optisch wurde der VW Passat als eigenständiges Fahrzeug wahrgenommen, weil der italienische Designer Giorgio Giugiaro den Audi 80 geschickt mit einem Schrägheck versah, das die Limousine nicht als Kopie wirken ließ. Der Passat verfügte im Gegensatz zu den Modellen 1600 und 411/412 über einen wassergekühlten Motor mit Zahnriemen, der nicht mehr im Heck arbeitete, sondern als moderner Fronttriebler die Vorderräder antrieb.

      Die Markteinführung wurde innerhalb des VW-Konzerns mit angehaltenem Atem begleitet, denn: Der Passat bildete den »Grundstein« für alle weiteren modernen Fronttriebler-Modelle, die später mithilfe eines kostensparenden Baukastensystems gefertigt werden sollten. Durch eine hohe Anzahl von Gleichteilen, die in verschiedenen Modellen des VW-Konzerns verbaut würden, wollten die Planer die Produktionskosten drastisch senken.

      Doch der Passat sollte nicht nur Grundstein sein, sondern auch finanzieller Rettungsanker. Würde der Passat in seiner Konzeption scheitern, dann wäre VW finanziell wohl kaum zu retten. Von den Autofahrern wurde der VW Passat jedoch sofort akzeptiert und vor allem auch bestellt – 750 Stück rollten dementsprechend schon zu Anfang von den Fließbändern. Im Gegensatz zu den alten Modellen 1600 und 412 war der VW Passat für den erfolgreichen Opel Ascona nun ein Wettbewerber auf Augenhöhe.

      Im Zuge der Umstellung auf die kommende, mit dem Passat eingeleitete neue Modellgeneration hieß es weiter Abschied nehmen von Vertrautem. Nach 445.295 gebauten Karmann Ghia wurde im Juli 1973 die Produktion eingestellt. Zum Abschied schreibt die VW AG in ihrer Publikation DAS BUCH gleichermaßen treffend wie wehmütig über das Karmann Ghia Cabrio: »Mit seiner italienischen Eleganz kurvte es über die Farbseiten der eleganten Magazine, und wo ein Filmregisseur Jugend, Schönheit und Heiterkeit ins Bild bringen wollte, da musste der Karmann durch die Szene rollen: Der löste alle gewünschten Gefühle aus.«18

      Geprägt wurde das Jahr 1973 durch die im Herbst beginnende Ölkrise, bei der die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) die Fördermengen drosselte, um die westlichen Länder politisch unter Druck zu setzen. Die dadurch steigenden Energiepreise verursachten eine Schwächung der Konjunktur und führten die westlichen Länder in eine Wirtschaftskrise, von der alle wichtigen Industrienationen betroffen waren. Parallel dazu verschärfte der steigende Ölpreis die Inflation, wodurch die US-Wirtschaft sogar in eine Stagflation (wirtschaftliche Stagnation gepaart mit Inflation) geriet. In Deutschland markierte die Ölkrise das Ende des Wirtschaftswunders.

      Kurioserweise stieg in den USA die Nachfrage nach dem Käfer wieder stark an – wegen der Ölkrise wollten immer weniger Nordamerikaner einen spritschluckenden »Gas Guzzler« mit V8-Motor fahren. So wurden trotz der massiven Preiserhöhungen der VW-Fahrzeuge durch die veränderten Wechselkurse Ende 1973 in den USA mehr VW Käfer bestellt als aus Deutschland lieferbar waren. Stuart Perkins, der Präsident der Vertriebsfirma Volkswagen of America, beklagte, dass die Nachfrage um rund 15 Prozent gestiegen war, aber aufgrund des zu geringen Nachschubs aus Wolfsburg nur 6 Prozent mehr Fahrzeuge ausgeliefert werden konnten.

      Im Zuge der Ölkrise stiegen nicht nur die Preise für Kraftstoff und Heizöl in ungekanntem Maße, auch wurde in Deutschland ernsthaft über ein Tempolimit auf Autobahnen diskutiert. Fakt waren die verordneten autofreien Sonntage, an denen es vom Gesetzgeber her verboten war, das Auto zu benutzen. Zur Dramatik dieser Situation schreibt die VW AG in ihrer Publikation DAS BUCH: »Die Zukunft des Autos scheint in Frage gestellt. Weltweit fallen die Verkaufszahlen in den Keller. Unter den Menschen an den Standorten von Volkswagen geht die Angst um. [...] Die Älteren beschwören die Entsetzensbilder der Massenarbeitslosigkeit herauf. Den Jüngeren wird erstmals bewusst, wie der Boden schwankt, auf dem sie leben und arbeiten.«19

      In Folge traten Unternehmensleitung und Gewerkschaft in lange Verhandlungen. Dabei wurde für das Frühjahr 1974 Kurzarbeit vereinbart. Auch die Aktionäre wurden für das Jahr 1974 auf rote Zahlen vorbereitet, allerdings erhielten sie trotz unverändert im Wert fallender VW-Aktien für das Jahr 1973 noch eine Dividende von 4,50 Mark (ca. 2,25 Euro). So ging nicht nur bei VW das Jahr 1973 wirtschaftlich trostlos zu Ende, zumal eine Besserung der Krise nicht in Sicht war. Die Hoffnung lag auf den angekündigten neuen Modellen, für die der Passat den Weg bereitet hatte. Als nächster Coup wurde der Serienanlauf des Entwicklungsmodells EA 337 erwartet. Der endgültige Name für das kompakte Volkswagenmodell war mittlerweile auch schon bekannt geworden: »Golf« sollte es heißen.

      Tatsächlich war es langsam an der Zeit, dieses Projekt zu einem Ende zu bringen, denn seit mehreren Jahren wurde an einem Nachfolger des VW Käfer mehr oder minder fruchtlos herumentwickelt. Die Geschichte des VW Golf hatte eigentlich schon im Mai 1968 begonnen, als VW-Konzernlenker Heinrich Nordhoff 36 Prototypen und Styling-Studien ohne Motor für einen Käfer-Nachfolger hatte konzipieren lassen. Doch es wurde bald klar, dass Nordhoff eigentlich keine rechte Notwendigkeit zur Ablösung des Typ 1 sah. Erst sein Nachfolger Kurt Lotz hatte Ende 1969 den Projektstart für ein Nachfolgemodell festgelegt, das technisch und optisch nichts mehr mit dem VW Käfer gemein haben sollte.

      Unterdessen wurde das Gerücht immer lauter, dass das Ausgangsmodell des VW Golf in der DDR entwickelt worden sei. So absurd diese Behauptung klang, so machten die vorgelegten Fotographien des DDR-Ausgangsmodells doch stutzig. Unbestreitbar war beispielsweise, dass die kantig geformten Prototypen des Kompaktwagens Trabant P603 mit Fließheck und MacPherson-Fahrwerk konzeptionell sehr nahe am neuen Golf lagen. Ausgerüstet worden waren die Trabant-Prototypen mit neun verschiedenen Motoren, angefangen von alten Zweitakt- über Viertaktaggregaten bis hin zu einem Wankelmotor.

      Unstrittig war auch, dass das ostzonale Politbüro die Weiterentwicklung des Fahrzeugs für den DDR-Markt offiziell 1967 gestoppt hatte – somit zeitlich genau vor dem Beginn der ersten Entwicklungsarbeiten am VW Golf.20 Eigenartig war zudem, dass auch der VW Passat den Prototypen des Fließheck-Modells 355 des zweiten großen Automobilherstellers der DDR, dem VEB Automobilwerk Eisenach, verblüffend ähnlich sah. Und seltsam war auch hier wieder der zeitliche Zusammenhang, denn obwohl die Arbeiten an den Wartburg-Prototypen weit


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