Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze. Frank O. Hrachowy

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Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze - Frank O. Hrachowy


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widerfahren war. Wohl war er in allen Dimensionen gewachsen und dabei auch innen geräumiger geworden, gleichzeitig hatte er sich optisch stark verändert – doch unter dem Blech hatten die Ingenieure letztlich am alten Konzept von 1962 festgehalten.

      Der Verkaufserfolg der neuen Modelle Passat, Scirocco und Golf konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei VW die wirtschaftliche Lage sehr ernst geworden war. Hierzu hatte nicht nur die Ölkrise beigetragen; auch die enormen finanziellen Aufwendungen, die zur Entwicklung der neuen Modellfamilie notwendig gewesen waren, schlugen sich in der Bilanz nieder. Der VW-Vorstand musste nun unverzüglich handeln, denn der massive Personalüberhang war mittels Kurzarbeit und Einstellungsstopp nicht schnell genug abzubauen. Eine großangelegte Aktion mit altersunabhängigen Aufhebungsverträgen, hohen Abfindungen und vorzeitigen Pensionierungen sollte schnell Linderung schaffen. Doch diese Aktion konnte die weiter steigenden Verluste nur begrenzt aufhalten.

      VW-Chef Rudolf Leiding, der über viele Monate versucht hatte, den Bau eines eigenen Werk in den USA durchzusetzen, um dort kostengünstiger und von den schwankenden Wechselkursen unbeeinflusst Fahrzeuge bauen zu können, trat im Dezember 1974 von seinem Posten zurück. Der Widerstand des VW-Aufsichtsrats und des Landes Niedersachsen gegen diese Pläne war zu stark – zu groß war die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen in den deutschen Produktionsstätten. Die Nachfolge von Rudolf Leiding übernahm Toni Schmücker, der schon den Essener Rheinstahl-Konzern erfolgreich saniert hatte. Aufhorchen ließ sein Spitzname »Toni, der Trickser«.

      Die Situation wurde Ende 1974 immer bedrohlicher, und immer noch war keine Besserung in Sicht. In greifbaren Zahlen ausgedrückt: Im Jahr 1974 hatte der Volkswagen-Konzern 807 Millionen Mark (ca. 400 Millionen Euro) Verlust eingefahren. Dabei waren die Verkaufszahlen von VW in Deutschland um 15 Prozent, in dem für den Konzern besonders wichtigen US-Markt sogar um knapp 30 Prozent zurückgegangen. Auf weiträumigen Parkplätzen standen immer mehr VW-Fahrzeuge auf Halde, die zwischenfinanziert werden mussten.

      Immerhin stand Ende 1974 für den schlimmsten Fall noch eine Option offen, die aber nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde. Hierzu konkretisierte DER SPIEGEL: »Unter Eingeweihten kursiert ein Plan, nach dem die VW-Volksaktionäre, deren Papiere heute nur noch die Hälfte des einstigen Ausgabekurses wert sind, eines Tages von Bonn zum Einstandskurs entschädigt werden und VW nach dem Muster der französischen Regie Renault ein reines Staatsunternehmen wird.«26

      Wie es mit der Weltwirtschaft, mit der deutschen Industrie und mit VW im Jahr 1975 weitergehen würde – das war im Dezember 1974 die große Frage. Als Hoffnung für die VW-Angestellten blieb immerhin die Tatsache, dass die Markteinführung der neuen Modellgeneration gelungen war, und der Passat, der Scirocco und der Golf von den Kunden akzeptiert wurden.

      So elend, wie das Jahr 1974 endete – so elend fing das neue Jahr 1975 an. Und so viel Arbeit bei VW in die Entwicklung der neuen Modelle gesteckt worden war, so groß war die Enttäuschung über die desolate Situation, in der sich der Volkswagen-Konzern Anfang 1975 befand. Die Situation war für Volkswagen so existenziell schlecht, dass sie dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL sogar das Titelbild (Was wird aus VW?) und die Titelstory der Ausgabe 16/1975 wert waren.

      Innerhalb eines Jahrzehnts war aus einem Zugpferd des deutschen Wirtschaftswunders ein Sanierungsfall geworden. Eine kurzfristige Lösung war für den neuen VW-Vorstandsvorsitzenden Toni Schmücker kaum in Sicht, weil nicht nur das VW-Management untereinander zerstritten war, sondern darüber hinaus im Aufsichtsrat mehrere starke Interessengruppen ihre persönlichen Anliegen durchzusetzen trachteten. Vor allem das wichtige Auslandsgeschäft wurde für VW immer mehr zu einem geldfressenden Ärgernis.

      Gerade eines der wichtigsten Standbeine des VW-Konzerns, das einst so umfangreiche US-Geschäft, lag weiterhin deutlich unter Plan. Der VW Golf wurde als Nachfolger des Käfer in den USA nicht in der Art und Weise angenommen, wie es sich die deutschen Planer erhofft hatten. Viel erfolgreicher auf dem US-Markt hingegen waren die bis dato eher wenig auffälligen japanischen Automarken Datsun (Nissan), Toyota und Honda. Eine Entwicklung wurde dabei immer deutlicher: Importautos waren zu einer festen Größe auf dem US-Automarkt geworden, aber auch auf dem deutschen.

      Dabei galt es zu unterscheiden: Die Fahrzeuge aus England, Frankreich und Italien entsprachen in der Vergangenheit zwar nicht immer den Qualitätsansprüchen der deutschen Autokritiker, doch überzeugten sie viele Kunden durch ihren relativ günstigen Preis. Diese Situation bestand unverändert, doch wuchs seit einiger Zeit für die etablierten Hersteller mit den japanischen Importen eine weitere, immer stärker zunehmende Bedrohung heran. Insgesamt mussten die deutschen Autobauer feststellen, dass der Marktanteil ausländischer Pkw zum Ende des Jahres 1974 bereits auf 26,7 Prozent angeschwollen war. Tendenz weiter steigend.

      Das schwache Auslandsgeschäft lag bei VW jedoch nicht nur an den niedrigen Absatzzahlen, die weit unter den Prognosen lagen. Ein weiterer Faktor war die für deutsche Produkte zunehmend ungünstiger werdende Währungsentwicklung der Deutschen Mark gegenüber dem Dollar. Die Folgen für VW untermauerte DER SPIEGEL mit eindeutigen Zahlen: »Die internationale Währungsentwicklung setzte die Wolfsburger endgültig matt: Bekamen sie in ihrem Glanzjahr 1970 für ein 3.000-Dollar-Auto von der Bank noch 10.950 Mark (ca. 5.500 Euro) überwiesen, so blieben fünf Jahre später davon ganze 6.900 Mark (ca. 3.450 Euro) übrig.«27 Hinzu kam, dass die hohen Lohnkosten in Deutschland immer stärker zu einem Wettbewerbsnachteil wurden.

      Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Bedrohung neigten sich die Barmittel von VW ihrem Ende zu. Der neue VW-Vorstandsvorsitzende Toni Schmücker musste nun rigoros handeln und das zerstrittene Topmanagement zur Einigung zwingen. Aufgrund der immer bedrohlicher werdenden Situation beschloss der VW-Aufsichtsrat schließlich ein Programm zur Massenentlassung von 25.000 Mitarbeitern. Aufgefangen werden sollten die Angestellten über ein regionales Förderprogramm.

      Eine Mittelklasselimousine, ein Sportcoupé und ein Kompaktmodell waren bereits auf den Markt gebracht worden, jetzt fehlte nur noch ein Kleinwagen im VW-Programm. Im März 1975 begann dem folgend in Wolfsburg die Serienfertigung des Polo, der im Marktsegment der Kleinwagen als preiswerte Variante zum baugleichen Audi 50 angeboten werden sollte. Damit zielte der Polo eher indirekt auf den Opel Kadett C, denn er wurde von seiner Größe und von seinem Preis her unterhalb des Rüsselsheimer Kontrahenten positioniert. Das neue VW-Modell war ebenfalls als Schrägheckmodell konstruiert, das nach bewährtem Muster einen vorne quer eingebauten Motor mit Frontantrieb verband.

      Technisch basierte der Polo wohl auf dem ein Jahr zuvor präsentierten Audi 50; er war aber deutlich preisgünstiger, weil bei seiner Ausstattung rigoros gespart wurde. Noch nicht einmal Kopfstützen besaß der Polo serienmäßig, ebenso fehlten in der Basisausstattung auf der Beifahrerseite das Türschloss, der Türkontakt für die Innenbeleuchtung, die Sonnenblende sowie der obere Haltegriff. Konsequenterweise war der kleine VW anfangs nur mit einem Reihenvierzylinder mit 900 cm3 und 40 PS (29 kW) erhältlich.

      Zum Konzept des Polo schreibt der VW-Konzern auf seinem Portal VOLKSWAGEN CLASSIC: »Der Polo, ein dreitüriger Kleinwagen, ist recht spartanisch ausgestattet und kann deshalb preiswert angeboten werden. Er besticht durch eine gut verarbeitete, auf das Notwendige angelegte Ausstattung. Vieles erinnert an den zeitgleichen „Spar-Käfer“ 1200, wie zum Beispiel die simplen Türpappen, Öffnungen statt Klappen und zur Krönung eine Drahtschlinge als Gaspedal: Selten ist so konsequent reduziert worden.«28

      Opel hingegen fehlte ein solcher Kleinwagen im Verkaufsportfolio, denn unterhalb des Kadett gab es kein Modell aus Rüsselsheim. Im Jahr 1975 reagierte Opel insofern, als dass der Kadett C in einer weiteren Karosserieform angeboten wurde. Als preisgünstiges dreitüriges Schrägheckmodell Kadett City sollte er mit seiner großen Heckklappe einen besonders hohen Alltagsnutzen bieten. Dabei reduzierten die Entwickler die Wagenlänge um 20 cm, womit der Kadett City tatsächlich formal und preislich in die Nähe des VW Polo rückte. Technisch hingegen blieb der VW Polo das modernere Auto.

      Im April begann bei Volkswagen die Produktion des Volkswagen LT (Lastentransporter) mit zahlreichen Aufbau-Variationen, womit das Nutzfahrzeug-Programm nach oben erweitert


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