Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz


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mangelte an wirklichen Frohsinn. Herr Links nannte die Frauen abfällig seine Huren, servierte ihnen klebrigen Obstsaft und Tee, Gerstenkaffee oder Brause und riss ungeduldig die Brotmarken von der Karte, falls einer der Gäste nach Kuchen verlangte, einem recht erbärmlichen Gebäck, von dem zu essen, wir uns hüteten. Seit der Caféhausbetrieb eingeschränkt war, hatte Herr Links das Interesse am Leben ganz verloren. Wir Knaben aber waren als die einzige Attraktion des Lokals geblieben, und es fehlte nicht an Ermunterungen durch die jungen Frauen und Mädchen, die uns nicht nur in musikalischer Hinsicht überschätzt haben mögen, obschon uns der Hafer stach, wenn wir errötend ihre mütterlichen Zärtlichkeiten hinnahmen; wir gaben unser Bestes, um ihren Wünschen entgegenzukommen, der Lage nach so gut wie nichts, ausgenommen die Hoffnung, dass aus uns alsbald Männer werden könnten. Sicherlich fielen wir auf mit dem Bartschatten auf der Oberlippe und unseren reifen Kindergesichtern über den dunklen Anzügen, langen Hosen und Zugstiefeln, einer Verkleidung, in die wir um so lieber schlüpften, als wir uns darin wie Erwachsene fühlen konnten.

      Die städtischen Anstreicher hatten an das Schaufenster des Cafés den Umriss einer dunklen Figur gemalt, darunter stand in Schablonenschrift: Achtung, Feind hört mit! Im Lokal hingen Plakate mit der Aufforderung zu sparen; jetzt wird eisern gespart, später punktfrei Staat gemacht. Eine Punktkarte muss besitzen, wer ein Kleid, einen Anzug oder Wäsche kaufen wollte, die Punktkarte stand jedem Deutschen zu, aber sie reichte nicht, um ihn mit Kleidung zu versorgen. Daher sollte er sparen und auf die Zukunft hoffen. Eine überraschende Abwechslung hatte die Firmung gegen Ausklang des Frühlings geboten, wie schon vorgezogen berichtet, die Hochwürden sehr plötzlich und auf Wunsch Großmutters mit dem für diesen Akt zuständigen Bischof vereinbart hatte; der Bischof war zwar nicht selbst anwesend, Hochwürden Fabian stand die Sache durch. Mag ich mich wiederholen, niemand verliert dabei etwas; er gewinnt und nimmt zu an Glauben. Wie jede andere, so war auch diese Firmung vom Seelsorger vorbereitet worden; es war meine wie auch Jans erste ernste Beichte, und wir lernten, was an Vorbereitung dazu notwendig ist; komm, Heiliger Geist, erleuchte meinen Verstand, damit ich meine Sünden recht erkenne; rühre mein Herz, das ich sie gut bereue, und so weiter ... Damals machten die Dinge Eindruck auf uns, obschon was wir zu erzählen hatten, kaum der Rede wert gewesen sind, gemessen an den Sünden, die andere begingen, denen am Ende auch verziehen wurde.

      Die Erstkommunion, der wir nun aktiv teilhaftig geworden waren, mag unsere Knabenseelen für einen Augenblick wohlgetan haben, jedenfalls verstand ich wohl die Absicht meines Wahlvaters, mich ganz allgemein auf eine Wende in meinem Dasein hinzuleiten, und einen Menschen aus mir zu machen, nämlich einen Geistlichen. So war ich bereits in mehreren Teilen vorhanden; Volksschüler und Nationalsozialist und Mitglied einer Gemeinschaft römischer Katholiken. Übrigens waren bei der mir zuteilgewordenen Erhebung nur meine Großeltern anwesend; wer als Firmpate auftrat, ging in meiner Erinnerung verloren. Allein ich spürte doch der Vorschrift nach die Hand des Paten auf meiner Schulter, just in dem Augenblick, als ich von der Hostie aß und die symbolische Züchtigung in Form eines Backenstreiches empfangen hatte. Am Nachmittag gab Großmutter ein Essen, zu dem auch Großvater, von seiner Dienststelle freigestellt, kam. Wir warteten auf den Besuch Mamas; stattdessen traf uns das aufwühlende Ereignis des Attentates auf den Führer in seinem Waldquartier. Sicherlich hörten wir erst am Abend davon, als wir die Rede des durch die Vorsehung bewahrten Mannes hörten.

      Herr Links, Hochwürden, Großmutter und ich nahmen die Botschaft im Erker des Wohnzimmers auf. Eine Aussprache um das Für und Wider entwickelte sich hier vor Ort nicht, die Sache selbst vermochte auch keine reale Zustimmung bei uns auszulösen. Aber, und das mag hier noch eingeschoben werden, durch Mamas Ankündigung, in den Adel hinzuheiraten, sah ich mich plötzlich zur Erhöhung meines eigenen Ranges veranlasst, und zählte mich gewissermaßen der Kaste zu, die eines solchen Unternehmens fähig war. Schließlich war auch dieser Bombenleger ein Graf wie mein künftiger Stiefvater. Was die öffentliche Seite des Verbrechens betrifft, das im Laufe des Jahres mit harschen Urteilen geahndet wurde, war eine Verschärfung der Gesetze; auf der Straße sollten wir Knaben uns beispielsweise nur bis Einbruch der Dunkelheit aufhalten dürfen. Seit dem Jugendschutzgesetz vom August 1940 hätten uns Erwachsene auf abendlichen Wegen durch die verdunkelte Stadt begleiten müssen. Allerdings brauchte ich nur über die Straße zu gehen, um zu Hause zu sein, wenn ich mich im Café aufgehalten hatte. Kniri hingegen musste Müllhaeusen ganz durchlaufen, war aber auf seinen Wegen niemals angehalten und befragt worden, weder von der Polizei-, noch von der HJ-Streife, die übrigens bald eingestellt wurde, weil die jungen Männer an einer der Fronten Dienst taten. Nach zweiundzwanzig Uhr, wenn Herr Links das Café abschloss, sank Müllhaeusen ohnehin in den Tiefschlaf eines Provinznestes und lag in völliger Dunkelheit. Allerdings heulten hin und wieder die Luftschutzsirenen, wir gewöhnten uns an diese Misstöne.

      Großvater hatte die Nachricht wie erwähnt aus der Reichshauptstadt mitgebracht, dass wir den totalen Krieg führten, aber hin und wieder vermochte unser Kreisleiter die strenge Ordnung zu lockern; dann durfte im Café am Markt getanzt werden. Allerdings spielten nicht wir, sondern eine der SA-Kapellen mit Sondererlaubnis, alte Knaben, die zu nichts mehr taugten. Nur in den Tanzpausen traten wir zur Unterhaltung der Leute und des Kreisleiters auf, der uns sein besonderes Wohlwollen schenkte; er galt als ein Musik- und Kunstliebhaber, rief uns an seinen Tisch, ließ uns mit Saft bewirten und erteilte ästhetische Belehrungen. Spezialgebiet unseres Kreisleiters als amtlichem Beauftragten der Reichsmusikkammer war die Bekämpfung der Niggermusik. Obgleich ihm die Kammer schrieb, wie er Großvater einmal erläutert hatte, der die Einhaltung des musikalischen Reinheitsgebotes aus freien Stücken und Verantwortung überwachte, und der Polizei pflichtgemäß entsprechend Meldung erstattete, wenn er ein Vergehen entdeckt hatte, dass sich die Kammer außerstande sehe, zwischen entartetem und nicht entartetem Swing zu unterscheiden. Immerhin hielt uns der Kreisleiter für befähigt, etwa die Musik des Filmkomponisten Michael Jary von der des Swing-Juden Goodman zu unterscheiden. Dass ich über diesen Goodman Bescheid wusste, war der Sammelleidenschaft Mamas und ihren Platteneinkäufen im Ausland zu danken, Platten, die ich außerhalb der Reichweite Großvaters in meiner Kammer gleichsam konspirativ abhörte.

      Um diesen Kurzbericht eines zu Ende gehenden Zeitalters zu runden: Eines Tages kam ein Mensch ins Café, der mir durch seine Erscheinung auffiel, ein schmaler Mann mit dichtem Haar und düsterem Blick und schön proportionierten Händen. Der Mann trank Tee, rauchte eine Zigarette, trat schließlich an den Flügel und flüsterte mit Jan. Der blickte sich nach dem Vater um, und als dieser nickte, räumte er seinen Platz vor dem Instrument ...

      Als der Fremde gegangen war, saßen wir wie betäubt an unserem Stammtisch und glotzten uns verstört an. Sicherlich war ich in dieser Stunde älter und reifer geworden. Niedergedrückt schlug Jan vor: »Na, schön, wir wollen einstweilen aufhören uns hier vor diesen Troglodyten zu produzieren und nur üben, üben, üben ...«

      Ehe Mama zu ihrer Ferntrauung erschien, musste Großvater ganz einrücken. Er kam nur noch an den Wochenenden nach Hause, lebte in einer Kaserne und bekleidete einen Rang bei der Polizei; das Kasernenleben sagte ihm zu, es bekam ihm und das Koppelzeug strammte seinen Bauch. Fest trat er mit den harten Knobelbechern die Dielen unseres alten Hauses, bis sie knarrten, sodass ihm Großmutter streng verbieten musste, in ihrem Hause soldatisch aufzustampfen.

      Sie führte seit einiger Zeit wirklich das Geschäft, nannte sich Inhaberin: Clara Katharina Ponte, aber Geschäfte ließen sich nicht mehr machen. Großvater verzichtete darauf, eingedenk seiner neuen Eigenschaften als Polizist, weiter auf dem Schwarzmarkt zu handeln. Freilich kam auch aus Europa nichts mehr herein, alle die Eroberungen waren wieder verloren gegangen. Großmutter wirtschaftete weiter mit einem zuverlässigen alten Gehilfen, der war fleißig und unterwürfig, weil sie ihn reklamierte, dank ihrer Beziehung zur Obrigkeit, die bei uns einkaufte und arbeiten ließ. Mein lieber Vater Hochwürden kam wie gewohnt regelmäßig zum Mittagessen. Er, Großmutter und ich bildeten nunmehr so etwas wie den Kern der Familie Ponte. Großmutter nahm keinen Flüchtling auf, es war ihr gelungen, alle Einquartierungen abzuwehren.

      Eines Abends spielte ich mit Hochwürden Schach; dieses Spiel zählte zu seinen Leidenschaften und er hatte mir die Regeln leicht beibringen können. Es handelt sich um eines der sinnlichsten Spiele überhaupt. Man glaubt leicht, dass die Figuren die Gesellschaft verkörpern; Damen und Könige und Bauern sind ihrem Rang entsprechend zu behandeln. Großmutter strickte,


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