Der viereckige Smaragd. Edgar Wallace

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Der viereckige Smaragd - Edgar Wallace


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gewesen. Obwohl er damals nur den Rang eines Sergeanten hatte, wurde er von diesem hochbegabten Polizeibeamten doch ganz ins Vertrauen gezogen und brachte das Wochenende fast immer in dem Landhaus seines Vorgesetzten zu. So kam es, daß er der mutterlosen Tochter Mr. Maughans gegenüber allmählich die Stelle eines Erziehers und Schutzengels einnahm. Solange sie sich darauf besinnen konnte, hatte Josiah Coldwell stets eine große Rolle in Leslies Leben gespielt. Er war einer der fähigsten Gehilfen ihres Vaters, sein bester Freund, und es war nur natürlich, daß er ihr Anwalt und Beschützer wurde, als sie sich entschloß, den Detektivberuf zu ergreifen.

      Es dauerte nicht lange, bis er seine Einwilligung gab. Zuerst freilich hatte er ihr Vorhaben abweisend behandelt. Als sie festblieb, war er sehr ernst und dann traurig geworden, aber sie setzte ihren Willen doch durch.

      »Wenn Sie mir nicht gestatten, Onkel Josiah, in Scotland Yard Dienst zu tun, so gehe ich zu einem Privatdetektiv.«

      Mit dieser Drohung hatte sie natürlich sofort gewonnenes Spiel, denn Privatdetektive waren in den Augen dieses guten Beamten ganz verächtliche Leute. Später war er sehr stolz darauf, daß es ihr gelang, in Scotland Yard vorwärtszukommen. Und, um die Wahrheit zu sagen – er wäre sehr niedergeschlagen gewesen, wenn sie jetzt müde geworden wäre und sich in das Privatleben hätte zurückziehen wollen.

      Er sagte ihr dies nicht – sie hatte es schon längst selbst herausgefühlt; aber er brachte die Unterhaltung auf eine andere Sache, die ihn schon seit langer Zeit beunruhigte. Als die Kapelle mit einem schnellen Fox begann, wozu sie sich aufmunternd erhob, seufzte er und stand auch auf.

      »Ich wäre sehr froh, Leslie, wenn Sie einen jungen Mann fänden, der nach diesen verteufelt modernen Jazzmelodien mit Ihnen tanzt. Wie können denn die vornehmen Verbrecher Londons noch Respekt vor mir haben, wenn ich öffentlich auf dem Tanzboden mit Ihnen erscheine?«

      Mr. Coldwell war trotz seiner sechzig Jahre an diesem Abend der beste Tänzer; aber er liebte es, von seiner ›Gebrechlichkeit‹ zu sprechen.

      »Ich scheine nicht ganz normal veranlagt zu sein«, meinte Leslie, als er sie durch die Reihen der Tische auf ihren Platz zurückführte. »Junge Männer machen auf mich wenig oder gar keinen Eindruck.«

      Mr. Coldwell schaute auf sie herunter.

      »Gehören Sie auch zu diesen modernen jungen Damen, die sich nichts aus der Liebe machen?« fragte er ernst. »Ich kann mir das kaum vorstellen.«

      Leslies Blicke schweiften in dem Raum umher und blieben schließlich wieder auf Mrs. Margaret Dawlish haften, dieser Frau mit den harten, unbeugsamen Gesichtszügen. Wie merkwürdig war doch die Vorstellung eines Durchschnittsmannes von einer Durchschnittsfrau. Die übliche, sanfte, milde Mutter, die immer bereit war, alles zu ertragen und ihren Kindern alles zu verzeihen, gab es auch in Wirklichkeit, sie war kein Phantasiegebilde. Aber die Ausnahmen waren zahllos. Leslie hatte, so unglaublich es auch klingen mochte, eine Mutter gesehen, die in ihrer Wohnung tanzte, während ihr Kind in einem Krankenhaus, ein paar Straßen entfernt, im Sterben lag. Sie kannte Mütter, die von ihren Töchtern nicht sprechen konnten, ohne in Zorn und Wut zu geraten. Und dies war nun der vierte Fall, daß eine Mutter ihren einzigen Sohn einfach aus dem Leben und dem Dasein strich, als ob er überhaupt nicht existierte, weil er sich vergangen hatte – nicht einmal gegen sie, sondern gegen das Gesetz, das die menschliche Gesellschaft aufgestellt hatte.

      Mrs. Margaret Dawlish saß allein und aufrecht an einem kleinen Tisch. Wenn der Geschäftsführer sich ihr verbindlich lächelnd näherte, fertigte sie ihn mit einigen Worten ab, hob dann ihre Lorgnette und beobachtete die Tänzer.

      »Diese Frau hat ein Herz aus Granit«, sagte Leslie, als die Kapelle zu spielen aufhörte.

      »Meinen Sie Mrs. Dawlish? Ja, ich glaube, sie ist hart und unerbittlich. Es bedeutet sehr viel für sie, daß sie sich hier überhaupt sehen läßt. Sie haßt diese Gesellschaft und dieses Lokal, aber seit Jahren, seitdem ihr Sohn ins Gefängnis kam, speist sie hier zu Abend.«

      Leslie nickte.

      »Das ist doch nur eine trotzige Geste. Sie will sich eben sehen lassen. Ach, diese Leute der vornehmen Gesellschaft! Sie wagen nicht, ein Zimmer zu verlassen, aus Furcht, daß jemand hinter ihrem Rücken über sie sprechen könnte.«

      Es war gegen elf Uhr, und Mr. Coldwell hatte eben um die Rechnung gebeten, als er ans Telefon gerufen wurde.

      »Ich nehme an, der Anruf kommt vom Amt – entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Leslie.«

      Er bahnte sich einen Weg durch die tanzenden Paare und blieb etwa zehn Minuten fort. Als er wieder zurückkam, sah sie, daß er die Stirn runzelte.

      »Die Kingston-Station glaubt, eine Spur dieser schrecklichen Autobanditen gefunden zu haben.«

      Er meinte damit eine Bande, die zu jener Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Es waren drei Leute, die in gemieteten oder gestohlenen Autos den südlichen Teil Londons unsicher machten, einsam gelegene Villen oder Wohnhäuser überfielen, die überraschten Einwohner mit vorgehaltenen Pistolen in Schach hielten und alles irgendwie transportfähige Gut raubten, das ihnen in die Hände fiel.

      »Ich werde Sie nach Hause begleiten«, sagte er, als er die Rechnung bezahlt hatte, »und dann will ich selbst nach Kingston fahren. Ich wünschte bei Gott, daß diese eifrigen Beamten ihre Entdeckungen zu einer besseren und angebrachteren Stunde machten.«

      »Ich möchte mit Ihnen gehen, ich bin nicht im mindesten müde, und es ist eine so schöne Mondnacht!«

      Er sah sie etwas zweifelnd an.

      »Ich weiß nicht, ob Ihr Kleid gerade das richtige Kostüm für diesen Anlass ist. Aber wenn Sie durchaus wollen, können Sie mitkommen. Ich habe einen Wagen von der Polizeidirektion bestellt, er wird in einigen Minuten hier sein.«

      Sie ging zur Garderobe, um eine wollene Strickjacke überzuziehen, die sie vorsorglich mitgenommen hatte; darüber zog sie dann ihren Mantel an. Sie hatte die Wahrheit gesprochen – sie war vollständig wach. Irgendwie war sie an einem toten Punkt angekommen und freute sich, noch ein wenig dienstliche Arbeit zu tun, bevor sie sich zur Ruhe legte, obgleich sie von vornherein wußte, daß sie nur die Rolle eines Zuschauers spielen würde.

      Die Fahrt versprach, um so interessanter zu werden, weil sie gerade heute die Personalien von drei vorbestraften Männern durchstudiert hatte, die im Verdacht standen, mit den Autobanditen identisch zu sein. Es waren keine besonderen oder außergewöhnlichen Menschen. Die erstaunlichste Erfahrung, die Leslie in Scotland Yard gemacht hatte, war, daß die Verbrecher meistens mittelmäßige und bedeutungslose Leute waren – arbeitslose Fabrikarbeiter, Chauffeure, Handlungsgehilfen, manchmal auch ein Handwerker. Eigentlich zeichneten sich nur die Frauen durch größere Individualität aus. Fast alle Verbrecherinnen hatten etwas Romantisches an sich. Ihre Schicksale waren sehr verschieden voneinander – und ihr Unternehmungsgeist und ihre Erfindungsgabe waren manchmal faszinierend.

      Leslie trat durch die Drehtür auf die Straße. Die Nacht war bitter kalt, der Himmel klar und mit Sternen übersät. Der helle Mondschein, den sie erwartet hatte, war allerdings nicht vorhanden, aber sonst waren alle Bedingungen für eine schöne Nachtfahrt gegeben.

      Ein Sportkabriolett mit vielen Wolldecken auf den Sitzen war vorgefahren. Schnell fuhren sie durch Kensington, über die Hammersmith-Brücke, und in unglaublich kurzer Zeit sausten sie Kingston Vale hinunter. Der Chauffeur hielt vor der Polizeiwache hinter einem großen, leeren Auto, und sie stiegen aus.

      Im Dienstzimmer fanden sie den Inspektor im Gespräch mit einem Mann von mittleren Jahren, der offenbar der Besitzer des Wagens vor der Tür war.

      »Es tut mir leid, daß ich Sie hierher bemüht habe, Mr. Coldwell«, sagte der Beamte, »aber die Geschichte, die ich hier soeben höre, klingt ganz so, als ob sie auf das Konto dieser Autobanditen käme.«

      Der fremde Mann war der Eigentümer eines kleinen Autoverleihs. Am Nachmittag war ein anscheinend anständiger Mann zu ihm gekommen und hatte ihn gebeten, nach London zu fahren, um dort mit ihm wegen einer größeren Fahrt zu verhandeln. Der Besitzer der Garage hatte zufällig in der Stadt zu tun und hatte den anderen


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