Der Mann, der seinen Namen änderte. Edgar Wallace

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Der Mann, der seinen Namen änderte - Edgar Wallace


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und der etwas verbeulte, graue, breitkrempige Filzhut in den Nacken geschoben. Die Sonne hatte sein hübsches, hageres Gesicht außergewöhnlich dunkel gebräunt, und seine klugen, tiefblauen Augen standen in reizvollem Gegensatz zu der dunklen Hautfarbe.

      »Ist Mr. Vance noch im Büro?« erkundigte er sich kurz, nachdem er den Hut abgenommen hatte;

      »Nein, er ist vor etwa zwanzig Minuten gegangen.«

      Der Fremde biß sich auf die Lippe.

      »Wissen Sie vielleicht, wo ich, ihn heute Abend noch treffen könnte?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Für gewöhnlich könnte ich es Ihnen sagen«, entgegnete sie lächelnd, wenn es auch eigentlich nicht gebräuchlich ist, Klienten seine Privatadresse mitzuteilen. »Aber heute Abend ist er nach Brighton gefahren, wo er mit einem Freund das Wochenende verbringen will, und er hat keine Adresse hinterlassen.« Sie zögerte einen Augenblick. »Vielleicht nennen Sie mir Ihren Namen?«

      Er sah sie unschlüssig an. »Setzt er sich morgen irgendwie mit Ihnen in Verbindung?«

      Sie nickte.

      »Er telefoniert morgen mit mir, um zu hören, ob etwas Wichtiges vorgefallen ist. Dann könnte ich ihm ja von Ihrem Besuch erzählen und ihm sagen, daß Sie ihn sprechen wollten.«

      Er stand noch im Gang, und während sie ihn betrachtete, kam ihr plötzlich der Gedanke, daß er trotz seiner gerade nicht sehr vorteilhaften Kleidung vielleicht doch ein wichtiger Kunde sein könnte. Sie öffnete die Tür weiter.

      »Wollen Sie nicht näher treten und einen Augenblick Platz nehmen? Vielleicht möchten Sie auch eine kurze schriftliche Mitteilung für Mr. Vance zurücklassen?«

      Langsam ging er in den Büroraum und sah einen Augenblick auf den Stuhl, den sie ihm hinschob.

      »Nein, schreiben möchte ich nichts«, sagte er nach einer Pause. »Aber wenn Mr. Vance morgen anrufen sollte, dann sagen Sie ihm doch bitte, daß Mr. Smith von Pretoria gekommen ist.«

      Die letzten Worte hatte er sehr deutlich und mit besonderem Nachdruck gesprochen. »Also, bitte vergessen Sie es nicht – Mr. Smith von Pretoria. Bestellen Sie ihm auch, daß ich so bald wie möglich mit ihm in Verbindung treten möchte.«

      »Mr. Smith von Pretoria«, wiederholte sie und machte eine Notiz auf ein Blatt Papier. Sie hatte den Eindruck, daß es sich um eine wichtige Sache handeln müßte.

      Er stand vor ihr und schaute sie an, aber sie hatte das merkwürdige Gefühl, daß er durch sie hindurchsähe. Die Falten auf seiner Stirn ließen erkennen, daß er tief in Gedanken versunken war.

      Plötzlich schien er sich wieder an die Wirklichkeit zu erinnern und machte eine impulsive Bewegung zum Tisch hin.

      »Ich habe es mir doch überlegt. Ich werde eine kleine Mitteilung für Mr. Vance zurücklassen. Geben Sie mir bitte Papier und Feder.«

      »Beides liegt schon vor Ihnen«, erwiderte sie mit einem leichten Lächeln.

      Er wurde verlegen über seine Unachtsamkeit.

      »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich bin heute etwas zerstreut.«

      »Ja, das habe ich auch schon bemerkt.«

      Sie ging in den anderen Teil des Zimmers, um nicht den Anschein der Neugierde zu erwecken.

      Offenbar fiel es ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen, denn er saß fünf Minuten vor dem Schreibtisch und grübelte.

      »Nein, ich werde doch nicht schreiben«, erklärte er dann, legte die Feder auf den Tisch und stand auf. »Es genügt, wenn Sie Ihrem Chef sagen, daß Mr. Smith von Pretoria im Büro vorgesprochen hat. Er weiß, wo er mich finden kann.«

      Vom Gang her ertönten plötzlich Schritte, und gleich darauf wurde die Türklinke hastig heruntergedrückt. Der Besucher mußte in ungewöhnlicher Aufregung sein, da er zu klopfen vergessen hatte.

      »Wo ist Rechtsanwalt Vance?« fragte er schnell, als er eintrat.

      Das Licht fiel voll auf sein Gesicht, und Marjorie erkannte in dem Mann mit dem zerwühlten Haar und dem roten Gesicht Sir James Tynewood wieder.

      »Mr. Vance ist schon gegangen«, entgegnete sie.

      Sir James antwortete nicht gleich. Er starrte entsetzt Mr. Smith von Pretoria an.

      »Mein Gott!« stieß er dann verstört hervor. »Du bist es – Jot!«

      Die beiden standen einander gegenüber und maßen sich mit den Blicken. Mr. Smiths Züge wurden plötzlich hart und undurchdringlich.

      Als das Schweigen andauerte, wurde Marjorie die Situation sehr peinlich. Sie ahnte, daß sich eine Tragödie hinter diesen Worten und Blicken verbarg, und rein gefühlsmäßig nahm sie für den Mann aus Südafrika Partei.

      »Kennen Sie Sir James Tynewood?« fragte sie verlegen.

      Langsam wandte sich Mr. Smith von Pretoria um und lächelte bitter.

      »Ja, ich kenne Sir James Tynewood sehr gut.« Er drehte sich wieder dem anderen zu. »Wir werden uns morgen Abend in Schloß Tynewood sprechen, Sir James.«

      Der junge Baron hatte den Kopf gesenkt und zitterte am ganzen Körper. Sein Gesicht war totenbleich.

      »Ja, ich werde kommen«, erwiderte er heiser und verließ mit unsicheren Schritten das Zimmer.

      3

      Du hast irgend etwas Aufregendes erlebt, mein Kind. Mit dir ist unbedingt etwas los. Noch niemals warst du derartig kurz angebunden zu mir«, beklagte sich Mrs. Stedman.

      Die alte Dame hatte allerdings gewöhnlich an Personen und Dingen etwas auszusetzen, und Marjorie war an diese Schrullen schon gewöhnt. Sie saß ihrer Mutter beim Frühstück in ihrer kleinen Wohnung in Brixton gegenüber. Mrs. Stedman hatte zwar bei allen möglichen Gelegenheiten schon behauptet, daß sie früh sterben würde, aber sie hatte gerade wieder mit größtem Appetit ein reichliches Frühstück verzehrt. Jetzt lehnte sie sich in ihren Sessel zurück, beobachtete ihre Tochter über die Brille hinweg, runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

      »Du irrst dich, Mutter, ich habe gar nichts«, entgegnete Marjorie ruhig. »Ich gebe allerdings zu, daß ich gestern einen aufregenden Tag im Büro hatte und daß etwas Außergewöhnliches passiert ist.«

      »Und doch willst du deiner eigenen Mutter nicht einmal erzählen, um was es sich handelt?« fragte Mrs. Stedman schon zum dritten Mal. Sie konnte es nicht vertragen, wenn ihre Neugierde nicht befriedigt wurde.

      »Verstehst du denn nicht, Mutter, daß diese Dinge strengste Geschäftsgeheimnisse sind?« erwiderte Marjorie nachsichtig. »Ich darf doch nicht darüber sprechen.«

      »Aber bei deiner Mutter könntest du doch wohl eine Ausnahme machen«, erklärte die alte Dame gekränkt und schüttelte wieder den Kopf. »Ich habe dich doch stets ins Vertrauen gezogen, Marjorie. Und ich habe dich auch immer gebeten, mit all deinen Sorgen und Nöten zu mir zu kommen. Eine Mutter ist immer die beste Freundin ihres Kindes.«

      »Es handelt sich hier doch gar nicht um meine Sorgen«, entgegnete ihre Tochter lächelnd. Es sind die Sorgen anderer Leute, die mich im Grunde genommen ebensowenig etwas angehen wie dich.«

      Mrs. Stedman seufzte tief und hörbar.

      »Ich werde erst wieder richtig froh werden, wenn du nicht mehr in dieses schreckliche Büro gehst. Es ist nicht gut für ein junges Mädchen, wenn sie immer mit Verbrechen, Ehescheidungen und all diesen entsetzlichen Dingen zu tun hat, von denen man in der Zeitung liest.«

      Marjorie legte die Hand auf die Schulter ihrer Mutter, als sie an ihrem Stuhl vorüberging.

      »Wie oft habe ich dir schon erzählt, daß Mr. Vance nichts mit Verbrechen und Verbrechern zu tun hat. Es ist noch niemals ein Verbrecher in unserem Büro gewesen.«

      »Sprich


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