Die Flüchtlinge und wir. Neue Osnabrücker Zeitung
Читать онлайн книгу.Darauf weiß sie keine richtige Antwort. „Tja, was bin ich?“, sagt Jauk und guckt dabei auf den Boden. „Ich weiß es auch nicht richtig. Irgendwie bin ich dazwischen.“
Erinnerungen an die Heimat: Swetlana Jauk mit Matrjoschka-Puppen, die sie von ihren Jugendfreunden aus Kasachstan als Abschiedsgeschenk bekommen hat. (Egmont Seiler)
Nihat und Mahmut Bucakli: Wie siebenjährige Dolmetscher
Von Frederik Grabbe
Was ist eigentlich möglich, wenn Menschen, die als Fremde im Land das Deutsche nicht beherrschen und in ihrem Spracherwerb gefördert werden? Die Brüder Nihat (24) und Mahmut Bucakli (22) sind vor 19 Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland geflohen. Ihr Lebensweg könnte eine Antwort auf diese Frage aufzeigen.
Beide kommen aus einer Familie, die zur Zeit der Flucht lediglich „die Kleider am Leib“ besaßen, wie die Brüder sich ausdrücken. Heute haben Nihat und Mahmut Bucakli studiert, Nihat schreibt gerade seine Bachelorarbeit und verbrachte ein Semester in den USA; Mahmut ist Verwaltungsinspektor bei der Bremer Senatorin für Soziales und mitverantwortlich für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften.
„Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagt Nihat Bucakli, „bedenkt man die Verhältnisse, aus denen wir kamen“. 1996 flieht die kurdische Familie aus der Türkei und kommt zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft in Zeven unter. „Ich erinnere mich an die Ankunft am Bremer Bahnhof. Wir haben nichts verstanden, alles war ein einziger Geräuschebrei. Wir wussten nicht, wo wir waren, wir waren orientierungs- und hilflos“, sagt Mahmut. Doch beide sind fasziniert von der Straßenbahn und von geschmückten Weihnachtsbäumen. „So etwas kannten wir bis dahin nicht“, sagt Nihat.
Der Weg führt die Familie nach Schiffdorf bei Bremerhaven. Im Kindergarten nimmt Nihat die ersten Brocken Deutsch auf und versucht sie seinem Bruder weiterzugeben. „Mein Vater hat damals Videos für die Verwandtschaft in der Türkei gedreht. Heute sehen wir darin, wie ich meinem Bruder falsche Wörter beigebracht habe“, sagt Nihat. An seinem ersten Tag in der Vorschule geht Nihat, der kaum ein Wort Deutsch spricht, schon in der Pause nach Hause, weil er denkt, die anderen Kinder verließen die Schule.
Erst in Delmenhorst, wo der Vater mittlerweile Arbeit gefunden hat, erhalten beide Hilfestellung: In der Grundschule an der Beethovenstraße kommen Nihat und Mahmut in eine Sprachförderklasse. Und sie lernen schnell. Später werden beide Deutsch als Leistungskurs im Abitur wählen. Trotzdem müssen sie sich früh mit Beamtendeutsch herumschlagen. Briefe von der Schule sowie Schreiben von der Stadt müssen für die Eltern übersetzt werden. „Wir waren wie siebenjährige Dolmetscher“, scherzt Mahmut. Doch viele Begriffe sind zu kompliziert, die Brüder müssen die Nachbarn um Hilfe bitten.
Die beiden übernehmen früh Verantwortung – und so auch die Angst der Eltern, ausgewiesen zu werden. „Wir haben immer leise miteinander geredet, leise gespielt, aus Angst, dass es zu Problemen führen könnte“, beschreibt Nihat. Geradezu eine Erlösung ist es, als die Familie nach langer Wartezeit eingebürgert wird. Eltern, Brüder und Geschwister schwören auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands. Die Brüder helfen noch einmal bei der Übersetzung. Jeder soll zweifelsfrei verstehen, was der Eid bedeutet.
Doch nicht alles läuft reibungslos auf dem Lebensweg der Bucaklis: Die Grundschule war ein heiler Ort, „wir haben dort in keiner Weise erfahren, was Rassismus ist“, sagt Mahmut. Das ändert sich später auf dem Gymnasium. Obwohl ihr Notenschnitt ordentlich ist, kommen sie dort mit der Schulleitung und vereinzelt mit Lehrern nicht klar, Nihat und Mahmut fühlen sich diskriminiert. Nach dem Wechsel auf ein Gymnasium in Bremen-Hemelingen läuft es besser. Nihat studiert danach Handelsmanagement in Ingolstadt, Mahmut Public Administration in Bremen.
„Wir sind Deutschland dankbar, dass wir hier aufwachsen durften“, spricht Nihat für sich und seinen Bruder. „Man hat uns aufgenommen, uns Schutz und Perspektiven geboten.“ Als sonderlich außergewöhnlich sieht er seinen Lebensweg aber nicht. „Wenn man die Sprache beherrscht, kann jeder einen Lebensweg wie den unseren gehen.“
Zurück an der Schule: Nihat (24) und Mahmut Bucakli (22) erhielten als Flüchtlingskinder an die Grundschule an der Beethovenstraße Sprachförderunterricht. Heute haben beide studiert. (Frederik Grabbe)
Irakischer Künstler Ahmed Al-Kenani malt mit Flüchtlingskindern
Von Hendrik Steinkuhl
Vor 18 Jahren flüchtete Ahmed Al-Kenani aus dem Irak nach Deutschland und kam wenig später nach Osnabrück. Obwohl der Maler in prekären Verhältnissen lebt, ist er glücklich in Deutschland, nennt Osnabrück „meine Mutter“ und geht nun ganz darin auf, gemeinsam mit Flüchtlingskindern zu malen.
Vor Kurzem erst hat Ahmed Al-Kenani wieder angefangen zu malen. Davor hat er drei Monate lang den Pinsel nicht angerührt und kam nur in sein Atelier in der Jellinghausstraße, um klassische Musik zu hören und sich um die Topfpflanzen zu kümmern, die er fast noch liebevoller herzeigt als seine Bilder. „Ich weiß auch nicht, mir war einfach nicht nach Malen.“ Wer sieht, was Al-Kenani in den Monaten vor seiner Blockade produziert hat, der kann ihm nur wünschen, dass ihn die Muse nun wieder regelmäßig küsst.
Seit Beginn des Jahres arbeitet der Künstler mit der Spachteltechnik, und während zuvor ein heller Gleichklang seine Bilder dominiert hat, bedient er sich nun aller Farben, sogar Schwarz. Herrlich ruppige und widerständige Bilder sind dadurch entstanden, und fast immer sind darauf Pferde zu sehen. „Für uns Araber sind Pferde einfach ganz besondere, stolze Tiere“, sagt Al-Kenani. Vor den Pferden wurden seine Bilder meist ausschließlich von Frauen bevölkert, von verschleierten Frauen, wie der Künstler sie aus seiner irakischen Heimat kennt. Frauen seien für ihn wie Diamanten, so spannend und so facettenreich. „Aber vielleicht male ich sie auch deshalb so oft, weil ich keine Freundin habe“, sagt der Künstler und lacht.
Die Heiterkeit und die Gelassenheit des 52-Jährigen lassen kaum erahnen, dass er ein Leben geführt hat und noch führt, über das zu lesen schon vielen Menschen Albträume bereiten dürfte. 34 Jahre lang lebte Ahmed Al-Kenani im Irak und damit in einer Diktatur, für die er auch als Soldat im Zweiten Golfkrieg diente. Er verließ das Land, weil er nicht länger in der Tyrannei leben wollte, und ließ sich von Schleusern nach Europa bringen.
Seine Familie ließ Ahmed Al-Kenani zurück, erst 2012 sah er sie zum ersten Mal wieder. Doch das Wiedersehen geriet zur Katastrophe. „Ich habe meine Geschwister nicht wiedererkannt. Als ich meine Schwester zum ersten Mal traf, dachte ich, es wäre eine fremde Frau.“ Es seien nicht der normale Alterungsprozess und die lange Abwesenheit gewesen, die ihm seine Familie entfremdet hätten, sondern der Krieg. Denn nicht nur seine Familie, auch sein Land habe er nicht mehr wiedererkannt. „Die Leute laufen über die kaputten Straßen und trinken Bier, haben eingefallene Gesichter, die Autos haben keine Nummernschilder, einfach alles ist Chaos.“
2013 sei er noch einmal im Irak gewesen, und beide Male habe er danach eine Therapie machen müssen. Am schlimmsten sei gewesen, dass seine Geschwister sich überhaupt nicht für ihn und sein Schicksal interessieren würden. „Dabei denke ich jeden Tag an sie.“ Und zum Denken hat Ahmed Al-Kenani verhältnismäßig viel Zeit. Er arbeitet knapp 20 Stunden pro Woche als Aufseher im Felix-Nussbaum-Haus, den Rest des Tages verbringt er vor allem in seinem Atelier.
Wie jeder Künstler würde er gerne von seiner Kunst leben, doch daran ist nicht zu denken. „Ich verkaufe vielleicht ein bis zwei Bilder im Jahr, das reicht natürlich nicht.“ Seit April dieses Jahres kann Al-Kenani nun ein wenig dazuverdienen, denn zwei Stunden pro Woche malt er mit Kindern aus dem Osnabrücker Flüchtlingshaus. Das Honorar ist für ihn allerdings zweitrangig, viel mehr wert ist ihm die Arbeit mit den jungen Flüchtlingen. „Anderen Menschen Kunst beizubringen, das ist es, was ich machen möchte.“ Es sei wunderschön zu erleben, mit welcher Begeisterung die