Feldforschung. epubli GmbH

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und stellt ihn zur Seite. Jetzt sind die Nudeln an der Reihe. Während sie kochen sucht sie Ketchup, holt einen Teller und Löffel. Inzwischen kocht auch das Wasser im großen Topf. Sorgfältig verschließt sie die Gasflasche. Die fertigen Nudeln nimmt sie mit in den kleinen Flur und weckt ihre Tochter. Den Säugling an der Brust, füttert sie abwechselnd die beiden Großen. Als die Kinder satt sind, zwingt sie sich auch ein wenig zu essen. Sie hat Angst, dass sonst die Milch fürs Baby ganz versiegt. Marwa schiebt den Teller zur Seite und streckt sich neben den Kindern aus. Nur ein paar Minuten schlafen. Schon fallen ihr die Augen zu. Im Halbschlaf hört sie schwere Schritte auf der Treppe.

      „Marwa!“, ertönt die Stimme ihres Mannes. „Wir müssen weg! Sie geben uns zwei Stunden um die Stadt zu verlassen. Komm, wir müssen uns beeilen!“, drängt er sie.

      „Bring doch schon die Koffer runter. Ich fülle schnell Wasser und Milch in Flaschen ab!“, ruft sie schon auf dem Weg in die Küche.

      „Wir können die Koffer nicht mitnehmen. Die sind zu schwer. Nur das Nötigste Marwa. Wir müssen zu Fuß gehen.“

      Abrupt dreht sie sich um und geht gestikulierend auf ihn zu.

      „Das ist doch das Nötigste! Das ist unser ganzes Leben auf zwei Koffer reduziert! Nur ein paar Sachen!“ Sie wird immer lauter. Hysterisch schreit sie: „Ich packe diese verdammten Koffer tagelang, damit auch ja das Wichtigste drin ist und jetzt soll ich sie stehenlassen!“

      Tränen laufen über ihr Gesicht.

      „Sag, dass das nicht wahr ist. Bitte!“, sie fleht ihn an. Die Kinder schauen ängstlich zu ihr empor. Ahmed, ihr Mann, umarmt sie tröstend. „Das Wichtigste sind die Kinder und du! Alle Papiere, die wir brauchen, ein paar Wertsachen und der Laptop sind in meinem Rucksack. Ich packe jetzt noch Brot, Milch und Wasser dazu.“ Er streicht ihr über den Rücken und küsst sie auf die Wange. „Schnell, wir dürfen keine Zeit verlieren!“

      Er läuft in die Küche und holt alles. Dann legt er Decken und das Baby in den Kinderwagen und trägt ihn nach unten. Marwa zieht den Kindern ihre Jacken an und schickt sie dem Vater hinterher. Schnell reißt sie die Koffer auf und stopft wahllos einige Sachen und Windeln in eine große Umhängetasche. Den Schlüssel in der Hand, steht sie einen Augenblick vor der Wohnungstür und zieht diese dann hinter sich zu. Verloren steigt sie die Stufen hinunter.

      Ahmed ist mit den Kindern schon vorausgegangen. Marwa läuft schnell um sie einzuholen. Viele Menschen sind unterwegs. Eine befreundete Familie aus dem Nachbarhaus, versucht in die andere Richtung laufend, den nahen Stadtrand zu erreichen. Die Frauen blicken sich kurz an. Keine Zeit für Verabschiedungen. Nur ein: „Viel Glück, kommt heil raus!“ „Danke, bleibt gesund! Ruf mich an wenn ihr es geschafft habt!“ und schon hasten sie in entgegengesetzte Richtungen auseinander.

      Ahmed, guck mal, ist es dort nicht näher?“ Sie weist in die Richtung in der die Nachbarn laufen.

      „Näher schon, aber dort gibt es kein Weiterkommen. Da sind doch nur Felder und dann das Zementwerk. Wir müssen zur Autobahn. Das ist weiter und den Berg hoch auch schwerer, aber nur dort haben wir eine Chance wirklich wegzukommen. Außerdem ist es mit dem Kinderwagen auf der Straße besser.“ Marwa nickt und geht weiter. Die Tasche drückt auf der Schulter. Jetzt gehen sie nebeneinander. Sie schiebt den Wagen. Ihr Mann schleppt den Rucksack und trägt Omar auf dem Arm. Dima, an seiner Hand, versucht tapfer Schritt zu halten. Am Straßenrand steht zurückgelassenes Gepäck. Sie müssen Schutt und Steinen ausweichen. Das Haus vor ihnen ist von einer Granate getroffen worden. Einige Männer suchen mit bloßen Händen in den Trümmern nach ihren Angehörigen. Marwa weiß, alle müssten helfen! Doch die Meisten senken den Blick und gehen vorbei. Wie sie! Sie hasst sich dafür.

      Verstohlen blickt sie auf ihre Uhr. Nur noch 45 Minuten. Sie müssen es schaffen! Ein Krater mitten auf der Straße muss umgangen werden. Die Zerstörung ist groß. Keine Zeit sich umzusehen. Sie hetzen weiter. Vor ihnen läuft eine größere Familie. Sie kennen sich vom Sehen. Patienten von Ahmed, denkt Marwa. Die beiden Jugendlichen, die dazugehören, tragen abwechselnd ihre Großmutter auf dem Rücken.

      „Jeder trägt das Wichtigste und das Liebste!“, sagt Marwa leise zu sich selbst. „Mama, ich kann nicht mehr! Meine Beine sind schon ganz kaputt.“, unterbricht Dima ihre Gedanken. Wie zur Bestätigung zeigt sie auf ihre staubigen Schuhe, die etwas abgestoßen sind. Sie stolpert nur noch vorwärts. Ahmed nimmt sie auf den Arm. Omar hat aber keine Lust zum Laufen. „Bei Papa auf dem Arm ist es schöner“, mault er ein bisschen herum.

      „Komm Liebling, wir spielen Trippel- Trapp.“

      Marwa versucht ihn zu ermuntern. Es klappt! Nach jedem „Trippel“ von ihr, folgt mit einem Hopser sein „Trapp“. Nun fängt er sogar mit dem Trippel an. Total erschöpft und mit wunden Füßen, erreichen sie endlich die Autobahn auf der Anhöhe. Sie verschnaufen kurz.

      „Gut, dass du an Wasser und Milch gedacht hast. Ich hatte wirklich großen Durst.“, meint Ahmed, nachdem er die Wasserflasche abgesetzt hat.

      Sie setzen sich wieder in Bewegung. Auf der Autobahn, jetzt in Richtung Hauptstadt, können sie besser laufen. Sehnsüchtig schauen sie den vorrüber fahrenden, vollbesetzten Fahrzeugen nach.

      „Doktor Ahmed!“, ertönt eine laute Männerstimme hinter ihnen. Sie drehen sich zu dem Rufenden um. Ahmed geht ein paar Schritte in seine Richtung. „Wenn sie nach Damaskus wollen, kann ich sie mitnehmen. Es ist zwar verboten, doch sie haben mir so geholfen – damals.“

      „Hab keine Angst Marwa, das ist ein Patient von mir.“, er zeigt auf den Soldaten, der am Kleintransporter steht. Sie zögern nicht lange.

      „Das sind Lebensmittel, keine Munition!“, erklärt der Soldat auf ihren fragenden Blick hin. Ahmed reicht ihr die Decken und die Kinder. Er verstaut den Kinderwagen, den Rucksack und die Tasche. Dann klettert er hinterher. Es beginnt zu nieseln. Eng aneinandergeschmiegt schauen sie auf die verwüstete Stadt zurück, die sie gerade verlassen haben. An einigen Stellen steigt Rauch auf. Noch immer ziehen Flüchtlinge durch die Straßen. Weit entfernt glaubt Marwa ihr Viertel zu erkennen, in das schon wieder Raketen einschlagen.

      Die Anspannung ist unerträglich! Sie entlädt sich mit einem langen Schrei aus ihrer Brust.

      Marwa sitzt in ihrem Bett und schlägt die Augen auf. Die starken Arme ihres Mannes umfassen sie tröstend. Nacht für Nacht, seit 421 Tagen, durchlebt sie diesen Tag, der sich in ihre Seele eingebrannt hat, immer wieder. Wie in jener Nacht und jeder danach, springt sie auf und hastet panisch zu ihren schlafenden Kindern. Sie betrachtet sie lange. Eine große Freude durchströmt sie.

      „Sie leben!“

      Eine leise Zuversicht keimt in ihr auf, dass sie hier, im fernen, kalten Europa wieder ein bisschen Glück finden kann.

      Gruppenbild

      Julia Hagenkötter

      Sie überprüfte jetzt abends vor dem Zubettgehen immer zwei Mal, ob ihre Wohnungstür tatsächlich verschlossen war.

      Um den aufdringlichen Geruch von angebratenen Zwiebeln, Knoblauch und etwas, was sie nicht kannte, fernzuhalten, der mittags über das Treppenhaus in ihre Wohnung zog, hatte sie mit Türstoppern die Ritzen der Türen gestopft. Als dies nicht half, hatte sie ebenso vergeblich versucht, den deftigen Essensgeruch mit einem Raumspray zu übertünchen. Am schlimmsten war, dass man ihn nicht kommen sehen konnte, dass er ohne Vorankündigung plötzlich in der Nase war und dann war es auch schon zu spät, dann war er überall in der Wohnung.

      Sie öffnete das Fenster und schloss es sogleich wieder, als sie spürte, wie sich von draußen aufgeheizte Luft in das angenehm kühle, dunkle Wohnzimmer drängen wollte. Als ihr nichts mehr einfiel, was sie sonst noch hätte tun können, ließ sie sich in den linken der beiden Ledersessel sinken. Sie besaßen zwei identische schwere Ledersessel, links stand ihrer, rechts seiner. Die Sessel hatten sie mit dem Rücken zum Fenster aufgestellt, damit sie beim Lesen oder Fernsehen nicht von der Sonne geblendet wurden. Was ohnehin kaum einmal vorkam, da ihr Wohnzimmer im Sommer einer Dunkelkammer glich. Die Rollläden vor dem Fenster waren dann auch tagsüber


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