Die Quellen des Zorns. Widmar Puhl

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Die Quellen des Zorns - Widmar Puhl


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nach über die Airbase Ramstein, entführt und gefoltert – mit Duldung der Behörden. Amerikas „Krieg gegen den Terror“ kostet viele Zivilisten das Leben und schafft weltweit einen ganz neuen Typus von Überwachungsstaat. Inzwischen will sogar das deutsche Verteidigungsministerium bewaffnete Kampfdrohnen aus Israel kaufen, um risikofrei aus der Entfernung töten zu können – ohne Gerichtsbeschluss und obwohl die Todesstrafe in Deutschland nicht existiert. Angeblich geht es dabei um den Schutz der Soldaten, aber dafür fehlt schlichtweg die gesetzliche Grundlage. Gleichzeitig schützt das staatliche Gewaltmonopol die Bürger nicht mehr ausreichend vor Kriminalität, weil Stellen bei der Polizei abgebaut werden.

      Nicht weniger problematisch ist die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben aus Gründen der Kostenersparnis. Notare ersetzen ordentliche Betreuungsverfahren vor dem Familiengericht, preiswerte Sicherheitsdienste bewachen Gefängnisse und Flüchtlingsheime, Söldner umgehen das Kriegsrecht; da war das Vorgehen der USA im Irak Vorbild und Berufungsinstanz für Russlands Annektion der Krim sowie die Infiltration der Ostukraine. Die Kosten für diese „Sparmodelle“ übersteigen jedoch inzwischen die Einsparungen deutlich. Nur trägt der Bürger diese Kosten und nicht mehr die Staatskasse, die er mit steigenden Steuern füllt. Das dürfte und müsste alles nicht sein. So etwas ist kein „Imageproblem“ mehr; es beschädigt längst die Grundfesten der Demokratie – vor allem durch die bedrohliche Zahl der Protest- und Nichtwähler.

      Dieses Buch geht den Ursachen für den wachsenden Zorn von Millionen über die Art und Weise nach, wie die politische Kaste zur Zeit Begriffe wie „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ dreist umdeutet – unter Mithilfe von Juristen. Das geschieht nicht nur in Aserbaidschan, China oder Russland, sondern auch in den USA und Europa. Das Problem ist global, die Wege zu einer Lösung ebenfalls.

      Die Interessen der Mehrheit müssen endlich wieder zum Maßstab des politischen und ökonomische Handelns werden. Unsere Politiker dürfen nicht länger mit gespaltener Zunge reden. Das Tricksen und Täuschen mit juristischen Mitteln, durch Lobbyismus oder die Manipulation der Medien muss aufhören. Und wir dürfen uns nicht weiter schulterzuckend ans Unrecht gewöhnen. Die Alternative heißt Aggression – vom Wutbürger auf der Straße bis hin zu Bürgerkrieg und Terrorismus, die zum Exportartikel werden. Das zeigt sich vor allem in der islamischen Welt, wo das Streben nach Freiheit und Bürgerrechten schon allzu lange auf gewaltbereite Autokraten und Systeme ethnischer oder religiöser Unterdrückung stößt.

      Dass dieser Volkszorn sich weder aussitzen noch kanalisieren lässt, zeigen nicht zuletzt die PEGIDA-Bewegung oder das Umschlagen des „ägyptischen Frühlings“ in eine neue Diktatur nach Mubarak. Ignorieren wir solche Gefahrenherde und deren Ursachen weiter, droht der Kollaps des freien Westens, möglicherweise der des ganzen Erfolgsmodells von Demokratie und Rechtsstaat. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Absturz eines Systems nicht mehr auszuschließen, dem wir 70 Jahre Frieden und wachsenden Wohlstand verdanken.

      Klassenkampf von oben

       Was läuft falsch und wer profitiert davon?

      Ein Gespenst geht um: die Maßlosigkeit. Stuttgart 21 treibt deswegen so viele Menschen im Protest auf die Straße, weil hier viele Quellen des Volkszorns zu einem mächtigen Strom zusammenfließen.

      Je mehr Politiker diese Bewegung klein zu reden versuchen nach dem Motto „Ihr tut so, als sei die Demokratie gefährdet“, desto mehr wird dieses Verhalten zur self-fulfillig prophecy: Weil man die Ursachen des Protestes nicht ernst nimmt, schwillt er weiter an. Repräsentanten eines Systems, das in Großprojekten nur Selbstbedienungsläden für Parteien und Lobbyisten sieht, werden darin untergehen. Stuttgart 21 ist nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Da entladen sich auch ganz andere Probleme, die sich seit Jahrzehnten angestaut haben.

      Google, Microsoft, Ebay und Facebook oder Konzerne wie IKEA, Monsanto, BASF, Standard Oil, BP, Walmart, Starbucks und Aldi sowie ehemalige, jetzt „privatisierte“ Staatsbetriebe und die FIFA oder Netzwerke des organisierten Verbrechens gewinnen, fast alle anderen verlieren. Weltweit versucht die ökonomische Oberschicht, die Unterschicht wieder zu vergrößern, die im 20. Jahrhundert fast nur noch in Entwicklungsländern existierte. Und diese Oberschicht ist klein. Auch in Riesenkonzernen sind es oft nur wenige Manager, die Gott spielen, massenhaft Existenzen vernichten und sagenhafte Reichtümer anhäufen. Dazu kommen Macht und Einfluss in der Politik durch Medien-Dynastien wie Murdoch, Holtzbrinck oder Neven Dumont. So viel Macht und Geld in den Händen weniger gefährden nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Bürgerrechte und die Demokratie selbst.

      Seit dem Ende des Eisernen Vorhangs deutet vieles auf einen systematischen Klassenkampf "von oben" hin. Wer profitiert von diesen Zuständen? Zur sachlichen Überprüfung dieser Frage können schon einige wenige Fakten beitragen, selbst ohne Chronologie und Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit.

      1. Entsolidarisierung: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich ständig weiter. Die krassesten Beispiele dafür sind die horrenden Provisionen und Boni für Anlageberater, Bankiers oder Unternehmensberater, die oft in kurzer Zeit Hunderte von Millionen oder gar Milliarden kassieren. Die Jagd nach dem schnellen Geld findet sich aber auch weiter unten. Auf breiter Front halten etwa Ärzte oder Juristen Stundensätze von mehreren 100 Euro für angemessen, während das, was als unantastbares Mindesteinkommen oder Existenzminimum gilt, ständig nach unten korrigiert wird (auch keine Anpassung an die Inflation ist ein Schrumpfen). Das Gleiche gilt für Renten, Hartz-4-Sätze etc. Ganz unten aber konkurrieren oft schon Arbeitslose und Migranten um prekäre Jobs und Wohnungen. Hassprediger wie Thilo Sarrazin fordern ganz offen drastische Einsparungen bei Unterhalt und Bildungsangeboten für die Unterschicht und massive Förderung einer Oberschicht, die zu wenige Kinder zeugt. Sie verschweigen aber, dass auch ein akademisches Proletariat ohne sichere und gut bezahlte Jobs keine Kinder in die Welt setzen wird.

      2. Entwertung von Bildung: Gerade in der bisherigen Mittelschicht des Bildungsbürgertums entsteht eine neue Armut: Akademische Berufe im Bereich von Bildung und Medien, wo Ausbildung besonders teuer ist, die aber nicht dem Modell der „schlanken“ Curricula z. B. bei Medizinern, Juristen und Ingenieuren entsprechen, werden kontinuierlich abgewertet. Erziehung zu selbständigem Denken scheint politisch unerwünscht zu sein, sonst lägen die Einkommen von Lehrern, Journalisten oder Autoren nicht unter denen eines Facharbeiters, in dessen Ausbildung nur ein Bruchteil davon investiert wurde. Gerade der Bildungsbereich ist bildungs- und fortbildungsintensiv, aber ausgerechnet hier gibt es extrem viel prekäre Teilzeitarbeit und Scheinselbständigkeit. Freie Autoren werden zusätzlich enteignet durch die Praktiken kostenlosen Kopierens im Internet und durch fehlende Bezahlsysteme für Blogs etc.

      Es ist volkswirtschaftlich nicht gesund, wenn das Geld für die Verwalter von Kultur ausgegeben wird statt für die Urheber und wenn Bildung ersetzt oder verkürzt wird durch Ausbildung. Bildung ist systemrelevant, und wer sie stiefmütterlich behandelt, den bestraft das Leben mit Dummheiten ohne Ende.

      3. Armut von Staats wegen: Die Große Koalition aus CDU und SPD weigert sich wie schon vorher die CDU-FDP-Regierung und Rot-Grün, die steuerliche Ungerechtigkeit der "schleichenden Progression" abzuschaffen. Auch der Hinweis, eine Vermögenssteuer bringe nichts, ist fraglich im internationalen Vergleich. In anderen Ländern zahlen Unternehmer ganz normal ihre Steuern und finden nichts dabei. In Deutschland ist Steuerhinterziehung geradezu Ehrensache.

      Warum nimmt der Staat sein Geld nicht von denen, die es mehr als reichlich haben? Die Umverteilung von unten nach oben scheint politisch gewollt zu sein. Das schlechte Beispiel der USA macht Schule auch bei Europäern, die es eigentlich besser wissen müssten. Es ist eine Katastrophe, wenn die Motivation fleißiger Menschen ständig durch eine Abgabenlast untergraben wird, die ihnen durchschnittlich weniger in der Tasche lässt als reinen Empfängern staatlicher Transferleistungen.

      4. Unsoziale „Sozialbeiträge“: Das soziale Netz ist an vielen Stellen fehlerhaft gestrickt. Aber besonders schwer wiegt, dass niemand es wagt, die heilige Kuh der Bemessungsgrenzen bei Sozialbeiträgen anzutasten. So bleibt die faktische Belastung der Durchschnittsverdiener und sogar der Armen unverhältnismäßig hoch im Vergleich


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