der andere Revolutionaer. L. Theodor Donat

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der andere Revolutionaer - L. Theodor Donat


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hatten alte Leute ein kleineres Haus ‒ fast in der Mitte des Hofes ‒ mit einem offenen und gedeckten Vorraum, der ihnen erlaubte, geschützt vor Regen, Sonne oder Kälte am Leben der Familie teilzunehmen, ohne sich viel zu bewegen. Alle Häuser sind mit dem Stroh eines speziellen Grases gedeckt.

      Das Stroh wird zu Matten gebunden und diese um die konischen Dächer ausgelegt. Befestigt werden Streben und Strohmatten mit traditionellem Seil. Der Vorteil der Strohdächer liegt in der Kühle, die sie den Häusern verleihen. Die warme Luft kann so ständig entweichen. Der Nachteil ist, dass sie alle drei bis fünf Jahre erneuert werden müssen.

      Die Frauen des Quartiers glätten die Böden der Häuser und des Hofs mit einer wasserabstossenden Masse, die unter anderem aus den Früchten des Baobabs gewonnen wird. Die Dusche ist ein geschützter Platz zwischen zwei Häusern mit einem Ablauf aus flachen Steinen. Als Toilette dient das Hirsefeld, das jedes Rundhaus umgibt und so gedüngt besonders viel Frucht gibt. Sobald ein Mitglied der Familie die Türe seines Hauses öffnet, befindet es sich im Hof, mitten im Leben seiner Familie. Da man abends kaum noch ausgeht, ist das traditionelle Rundhaus ein Ort der Geborgenheit mit wenig Licht aber mit vielen Gelegenheiten, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen.

      Für das Aufbewahren der Ernte werden ausserhalb oder im Hof des Rundhauses Speicher gebaut, auf flachen, freistehenden Steinen. Unten formen sie meistens eine Art umgekehrter Kegel von diverser Höhe, gegen oben verjüngen sie sich konisch. Gedeckt sind sie mit relativ kleinen kegelförmigen Strohdächern, die Spitze ist abnehmbar und gibt die Einstiegsluke frei. Durch sie steigt das Oberhaupt des Hauses in den Speicher, um Vorräte einzulagern oder zu entnehmen. Hausbau, Reparaturen an den Häusern und der Bau der Speicher sind typische Beschäftigungen während der Trockenzeit. Sie werden gemeinschaftlich unternommen. Damit kommt zum Ausdruck, dass ein Mann sein Haus nicht allein bauen kann, dass er auf die Gemeinschaft angewiesen ist.

      Strömungstechnisch sind die Kegeldächer übrigens ideal gegen heftige Winde, die zu Beginn und zum Schluss der Regenzeit aufkommen. Intakte Dächer werden nicht abgehoben, obwohl sie nicht sehr fest mit den Mauern verbunden sind (s. Vorrede).

      Die Architektur des Hauses widerspiegelt den Charakter des Erbauers und seiner Ratgeber sowie topografische Gegebenheiten, die er integrieren wollte oder musste. Viele Male sass ich in einem Rundhaus und hatte den Eindruck von tiefer Harmonie, Schönheit und praktischem Denken. In der Tradition sind die Häuser aus getrockneter Tonerde gebaut. Ihre runden Formen, die Farben von Mauern und Dächer inspirieren Harmonie und Geborgenheit. Einige Häuser sind im Innern des Rundhauses mit Bänken aus Tonerde umgeben, was den Empfang von Gästen und die Kommunikation innerhalb der Familie erleichtert. In der Tradition gibt es keine gemeinschaftlichen Häuser, das Rundhaus jeder Familie kann bei Bedarf zum Treffpunkt der Grossfamilie oder des Quartiers werden. Bei Todesfällen wird der Leichnam nackt auf einer kühlenden Masse in einem Haus aufgebahrt, bis die Onkel mütterlicherseits benachrichtigt sind und über Ort und Zeitpunkt der Beerdigung entschieden haben.

      Sehr viele Häuser sind heute leider mit Wellblech gedeckt, was rechteckige Dächer voraussetzt. In den Städten ohne Stroh ist das verständlich. Das ergibt Konzessionen (Häusergruppen), die im Allgemeinen die Harmonie der Architektur vermissen lassen. Die Temperatur innerhalb der mit Wellblech gedeckten Häuser steigt drastisch, falls es unter dem Wellblech keine zusätzliche Zimmerdecke gibt. Und die fehlt meistens in ländlichen Gegenden.

      ---- Geheimnis des Lebens, Geheimnis der Macht

      Ich habe Deinen Freunden einige Beispiele der Komplementarität im religiösen und gesundheitlichen Bereich beschrieben. In der Tradition ist die Komplementarität von Mann und Frau an erster Stelle zu erwähnen. Die Frau besitzt gleichsam das Geheimnis des Lebens, der Mann das Geheimnis der Macht. Alles was der Förderung des Lebens direkt zugeordnet ist wie das Säen, die Zubereitung der Nahrung – dazu gehört das bisweilen schwere Holzschlagen zur Beschaffung des Brennmaterials – das Erziehen kleiner Kinder, das erwähnte Herrichten des Bodens der Innenhöfe usw. ist Sache der Frau. Die Komplementarität zeigt sich also nicht in der Unterscheidung von schwereren und leichteren Arbeiten. Das Roden neuer Felder, ihre Organisation, das Umgraben der Erde, die Häufung der kleinen Kegel, damit die Yamsknollen in der Regenzeit nicht faulen, das Bauen, das Beerdigen, das Ausgeben der Nahrung aus dem Speicher usw. ist eine Frage der Macht und gehört demnach in den Zuständigkeitsbereich des Mannes.

      In den Initiationsriten der jungen Frau kommt zum Ausdruck, wie wichtig es ist, dass sie gutes Leben weitergibt. Mit ihren Kameradinnen der gleichen Altersklasse geht sie am letzten Tag ihrer Initiation nackt an den Ursprungsort ihrer Familie zurück und nimmt von dort etwas Erde mit. Dann begeben sich die jungen Frauen zu den versammelten Repräsentanten der Gründungsahnen der entsprechenden Dörfer. Dort setzt sich jede auf einen besonderen Stein, als Beweis, dass sie noch Jungfrau ist. Mit der Rückkehr zum Ursprung, mit ihrem nackten schönen Leib und dem Attest als Jungfrau, zeigt die junge Frau, dass sie das empfangene, gute Leben weitergeben kann und will. Der nackte Mensch verstellt sich nicht, er altert auf normale Weise, er ist ehrlich gegenüber "Vater-Gott".

      In der Stadt mit ihren Halb-Traditionen hat sich die Unsitte eingebürgert, dass sich die Mädchen mit Büstenhalter und Höschen zeigen!

      Kinder und ihre Mütter sind im Allgemeinen bei Gesprächen unter Männern abwesend. Kinder können die harte Welt der Männer und der Macht noch nicht ertragen. Kinder sind ja erst auf dem Weg zur Menschwerdung. Erst die junge Frau oder der junge Mann, der die Initiationsriten vor der ganzen Gemeinschaft bestanden hat, ist im eigentlichen Sinne Mensch.

      Die Onkel mütterlicherseits spielen eine sehr wichtige Rolle. Der älteste lebende Bruder der Mutter bestimmt in vielen Belangen über das Leben ihrer Kinder, so über den Zeitpunkt der Initiation und die Modalitäten der Grablegung. Auf diese Weise wird die Autorität des Vaters relativiert und in den Rahmen der Gesellschaft gestellt. So scheint die Tradition das Leben mütterlicherseits vorzuziehen. Stuft sie damit das Leben nicht höher ein als die Macht? Einfache Gesten, wie z.B. das Verteilen des Hirsebiers, bei dem man zuerst die Frauen bedient, zeigt auch sehr schön die Prioritäten der Tradition: Leben kommt vor Macht.

      In meiner Gastkultur war ein polygamer Haushalt durchaus möglich, aber nicht die Regel. Mehrere nicht christliche Ehepaare, die ich kannte, lebten monogam. Die Monogamie existiert in der Tradition und ich meine, dass es die ursprünglichere Form der Ehe war. Vielleicht ist das ebenfalls eine Frage der Harmonie.

      In der polygamen Familie gibt es notwendigerweise Eifersucht und Misstrauen. Polygamie ist an den Reichtum des Mannes gebunden, so sind die meisten modernen Chefs polygam. Ich kannte aber zwei sehr weise moderne, monogame Chefs.

      Die Erziehung der Kinder ist eine gemeinsame Verantwortung der Eltern. Kleine Kinder sind eher mit der Mutter, grössere mit anderen Kindern oder mit dem Vater anzutreffen. In Vollmondnächten wird später zu Bett gegangen, die ganze Familie ist versammelt. Und zwar nur sie. In der Nacht wird das eigene Haus nur in Notfällen verlassen. Vollmondnächte bieten die Gelegenheiten, Geschichten zu erzählen, von Erlebnissen zu berichten, Märchen weiterzugeben, Denksportaufgaben vorzuschlagen u.v.a.m. Die Gemeinschaft des Quartiers nimmt sehr oft an der Erziehung teil. Es gibt keine Augen, die wegsehen. Was ich in diesem Abschnitt geschildert habe, gilt natürlich nur in den Dörfern, die Stadt ändert so vieles in diesem Bereich. Komplementarität wiederum ist Voraussetzung für die Harmonie und garantiert die Gleichheit in der Würde der Personen. Echte Komplementarität bedeutet, dass es nicht möglich ist, die Aufgaben des Anderen zu übernehmen. Nur der Geisteskranke ist von dieser Komplementarität ausgenommen.

      ---- der Sinn des Lebens

      In der Tradition ist es der Wunsch, das Ideal jedes Menschen, alt zu werden und das Leben voll auszukosten, eben das „Leben zu essen“. „Vater-Gott“, bietet ein interessantes und abwechslungsreiches Leben. Der Markt gehört zu den schönen Seiten des Lebens. Und vielleicht ist er, neben den gemeinsamen Arbeiten, die stärkste Institution zum Aufbau und Erhalt der Dorfgemeinschaft.

      Die traditionelle Woche hatte sechs Tage, An jedem Tag war der Markt an einem anderen Ort, innerhalb des relativ kleinen Gebiets meiner Gastkultur. Die Wochentage wurden nach dem Dorf benannt, in welchem der Markt an


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