Die seltsame Gräfin. Edgar Wallace

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Die seltsame Gräfin - Edgar Wallace


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werde verrückt«, brummte Lizzy, als sie ihre Strümpfe wegschleuderte und ihre Zehen betrachtete. »Wenn du schon ausgezogen bist, gehe ich hinunter und frage, ob er nicht endlich seinen mitternächtlichen Unsinn aufgibt.«

      »Er hat so wenig Freude im Leben, laß ihn doch«, protestierte Lois.

      »Warum geht er denn nicht aus und verschafft sich welche? Aber der alte Trottel verläßt ja seine Bude überhaupt nicht. Er hat viel Geld – außerdem gehört ihm doch dieses Haus.«

      Lois lauschte. Der alte Mackenzie spielte das Intermezzo aus ›Cavalleria Rusticana‹. Sooft sie diese Melodie auch gehört hatte, war es ihr doch, als drückte sie jetzt allen Schmerz, alle Furcht und alle Empörung ihrer eigenen Seele aus.

      »Musik ist ja sehr schön, wenn sie am Platze ist«, sagte Lizzy wieder. »Wenn er wenigstens noch den neuesten Schlager spielen würde – ich habe vor ein paar Tagen die Noten dazu billig gekauft und ihm geschenkt, aber er hat sie noch nicht einmal gespielt.«

      Die Musik verstummte, und auch Lizzy war gleich darauf ruhig. Lois drehte sich zur Seite und fiel in einen unruhigen Schlaf. Im Traum war sie wieder im Gefängnis von Telsbury und ging selbst unter all diesen graugekleideten Frauen in dem trostlosen Kreis herum. An der Seite des Direktors stand jemand und beobachtete sie. Es war eine stattliche Frau mit breitem Gesicht und großer Nase. Ihre harten, schwarzen Augen lächelten verächtlich, als sie vorüberschritt. Und mitten im Kreis stand der alte Mackenzie und fiedelte mit seiner Geige unter dem Kinn den letzten Schlager, den Lizzy immer pfiff.

      Plötzlich fuhr sie erschrocken in die Höhe.

      Ein Lichtschein war über ihr Gesicht gegangen – es mußte jemand im Zimmer sein. Sie hörte leise Bewegungen und dann ein Papierrascheln. Es war Lizzy – natürlich. Sie kam ja häufig mitten in der Nacht in ihr Zimmer, wenn sie der Husten quälte, um sich die Pastillen zu holen, die Lois in der Schublade ihres Toilettentisches verwahrte. Ohne ein Wort zu verlieren, streckte sie ihre Hand aus und knipste die kleine Taschenlampe an, die vor ihrem Bett lag.

      Als sie den Knopf herunterdrückte, erinnerte sie sich dunkel daran, daß die Batterie nahezu ausgebrannt war. Nur ein dünner Strahl weißes Licht erhellte den Raum, verblaßte sofort wieder, wurde dunkelgelb und verschwand dann ganz. Aber in diesem Augenblick hatte sie die Gestalt eines Mannes gesehen, der an ihrem Toilettentisch stand. Sie erkannte Michael Dorn, der ihr ein betroffenes Gesicht zuwandte.

      7

      Sekundenlang war sie vor Schrecken wie gelähmt, und erst als sie hörte, daß er quer durchs Zimmer ging, schrie sie auf.

      Lizzys Bett krachte, gleich darauf stand sie neben Lois.

      Lois war auch aus dem Bett gesprungen und drehte mit zitternden Fingern ihre Lampe an. Aber das Zimmer war leer.

      »Es war jemand hier – ein Mann«, sagte sie entsetzt.

      »Du hast geträumt«

      »Ich habe nicht geträumt – höre doch!«

      Die Tür wurde unten geschlossen. Lois eilte zum Fenster, zog die Jalousie hoch, lehnte sich hinaus und sah einen Mann schnell die Charlotte Street hinuntergehen.

      »Dort ist er! Erkennst du ihn nicht? Es ist Dorn!«

      Lizzy beugte sich aus dem Fenster, und als sie sich umwandte, sah Lois ihr erschrockenes Gesicht.

      »Ich möchte nicht bestreiten, daß er es war.« Lizzy war vorsichtig. »Glaubst du, daß Dorn hier im Zimmer –«

      Lois nickte. Dieser Schrecken, der zu all dem anderen kam, hatte sie völlig aus der Fassung gebracht.

      »War er hier? In diesem Raum?« Lizzy war noch nicht überzeugt, aber ein Blick auf das Gesicht der Freundin sagte ihr, daß Lois sich nicht geirrt haben konnte.

      Eilig lief sie in die Küche und holte ein Glas Wasser. Lois trank gierig.

      »Der ist aber frech wie der Teufel.« Lizzy setzte sich in einen Stuhl und schaute Lois bestürzt an. »Was wollte er denn?«

      »Ich weiß nicht – er stand vor dem Toilettentisch. Ich sah ihn nur einen kurzen Augenblick, dann ging diese dumme Lampe wieder aus.«

      »Der ist aber frech!« sagte Lizzy noch einmal. »Alles hat doch seine Grenzen! Mitten in der Nacht in das Schlafzimmer einer jungen Dame einzubrechen, erscheint mir eines Gentlemans nicht würdig.«

      Lois lächelte schwach.

      »Hat er nichts gesagt?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Er ist davongelaufen wie ein Hase.«

      »Erst schickt er dir mitten in der Nacht Schokolade –«

      Lois' Blicke streiften den Toilettentisch. Sie sprang mit einem Schrei auf.

      »Sie ist nicht mehr da!«

      Lizzy machte ein langes Gesicht.

      »Fort? Hattest du sie dorthin gelegt?«

      »Ich stellte sie auf den Toilettentisch, um mich morgen früh daran zu erinnern – ich denke doch, daß es so war.«

      Sie durchsuchten schnell die Küche und den Raum, aber sie konnten die Bonbonniere nicht finden.

      »Vielleicht wußte er, daß du nicht gern süßes Zeug ißt, und wollte sie zurückholen.«

      Aber Lois achtete nicht auf Lizzy.

      »Ich weiß nicht – ich verstehe es nicht –«

      In diesem Augenblick rief eine Stimme von unten herauf. Lizzy öffnete die Tür.

      »Ist etwas passiert?« Es war der alte Mackenzie.

      »Der Mann schlaft auch nie, er hätte eigentlich Nachtwächter werden sollen«, flüsterte Lizzy leise. »Nein, es ist alles in Ordnung, Mr. Mackenzie«, rief sie dann laut.

      »Ich hörte, daß vor einigen Minuten jemand die Treppe hinunterging und das Haus verließ«, sagte der alte Mann. »Ich dachte, eine von Ihnen wäre krank.«

      »Nein, Mr. Mackenzie, das war ich – ich sah nach, ob Miss Reddle die Haustür geschlossen hatte. Gute Nacht.«

      Sie kam zurück und schaute nachdenklich auf die Uhr.

      »›Um drei Uhr morgens‹ ist ein hübscher neuer Schlager – aber es ist nicht gerade die richtige Zeit für junge Leute, um in den Zimmern junger Damen herumzuschnüffeln. Was wirst du nun machen, Lois? Immerhin hast du nun das Porto für die Bonbonniere gespart. Ich glaube, eine Tasse Tee wäre ganz angebracht.«

      Soweit Lizzy in Betracht kam, war jeder Augenblick und jede Gelegenheit recht, um Tee zu trinken. Sie eilte in die Küche und kam zehn Minuten später mit einer Kanne zurück, deren heißer Inhalt ihr und Lois sehr guttat. Ausnahmsweise hatte Lizzy auch genügend Teeblätter genommen.

      »Es gibt zwei Wege«, begann Lois. »Erstens könnte ich die Polizei benachrichtigen, zweitens könnte ich persönlich Mr. Dorn aufsuchen und Aufklärung von ihm verlangen. Ich glaube, das zweite tue ich auch. Bitte, gib mir noch einmal seine Adresse.«

      »Aber du wirst doch nicht jetzt gleich gehen!« sagte Lizzy erschrocken.

      »Nein, ich gehe vor den Bürostunden zu ihm.«

      »Da liegt er sicher noch im Bett – es ist ja möglich, daß du ihm die Schokolade wieder wegnehmen kannst, während er schläft«, meinte Lizzy scherzend.

      Die Hiles Mansions waren ein stattlicher Häuserblock mit vielen Wohnungen in der Nähe der Albert Hall, aber Mr. Dorns Wohnung war die unscheinbarste von allen. Sie lag im obersten Stockwerk und bestand nur aus zwei Räumen, einem Bad und einer kleinen Eingangshalle. Der Fahrstuhlführer war in Hemdsärmeln und putzte die Messingbeschläge, als Lois zu so früher Morgenstunde ankam. Er war nicht überrascht über ihr Verlangen.

      »Er wohnt im obersten Stock, mein


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