Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3. Dr. Phil. Monika Eichenauer

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Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3 - Dr. Phil. Monika Eichenauer


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der Körper zum Objekt des Wissens, und die Medizin, die ihn kontrolliert, verzichtet auf ihr Prestige, um die Macht einer Wissenschaft zu erlangen. 1765 unterscheidet die Enzyklopädie zwischen der Medizin, ‚bevor sie die Form einer Wissenschaft hatte’ und ‚seit sie eine Wissenschaft ist’ (...) Zur gleichen Zeit schreibt Doktor Perrot: ‚Der Arzt überlässt Galen seine suspekte Wissenschaft und wird ein guter Architekt. In der Metapher des Körpers als Maschine wird das Leiden zur Unterbrechung, zur Panne und zum Fehler im Hinblick auf die Erfordernisse des Funktionierens. Die Krankheit lässt sich als neutrale, objektive, an und für sich analysierbare Entität verstehen, unabhängig vom Platz des Kranken in der Gesellschaft, und ist daher stets derselben Behandlung zugänglich, welchen Status der betreffende Körper auch haben mag. Das Leiden ist also von dem Körper verschieden, der es erlebt.’“ (Attali, 1981, S. 154 f.)

      Dadurch, dass Laien diesen Beruf des Arztes fortan ausüben konnten, diente die universitäre Ausbildung lediglich dem Erhalt des sozialen Ansehens durch ein „Thronbesteigungsritual, ein Modus“ (vgl. Attali, 1981, S. 110). Demgemäß bestand das Studium lediglich in einem Abfragen, ob der Arzt in der Lage war, einige lateinische und griechische Sätze zu erinnern, die er später vor dem Patienten zu wiederholen in der Lage sein sollte. Ein Arzt des Kaisers Leopold beschreibt die Situation vom 1716 folgendermaßen: „Ohne jede Kenntnis der Philosophie, der Mathematik, Chemie und Anatomie, ohne jemals die Diagnostik, Semiotik, Diätetik und Physiologie studiert zu haben, kann sich jeder daran geben, Arzt zu werden (...), vorausgesetzt, er kann vier Aphorismen des Hippokrates, ein Dutzend Abschnitte von Galen und einige vage andere Zitate irgendeines klassischen Autors auswendig wiedergeben.“ (Ebda, S. 11) Der Arzt Leriche wird sogar gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts schreiben: „Will man die Krankheit bestimmen, muß man sie entmenschlichen.“ (Ebd., S.155)

      Die klassische Medizin ist bis heute dem cartesianischen Paradigma, das den Körper zu einer Metapher der Maschine werden ließ, treu geblieben. Das Paradigma bestätigte und ermöglichte das wissenschaftlich festgelegte Forschungsgebiet Körper, wie es deren Methoden der Untersuchung und, daraus abgeleitet, die Heilungsmethoden festlegte. Die Medizin wurde eine Macht und baute das soziale Ansehen des ärztlichen Berufsstandes auf und aus. Generell war die Medizin von Anfang an auf Unabhängigkeit von der Macht im Staate bedacht. Dies erreichte sie mit beschränkten Aufnahmen von Mitgliedern in die Fakultäten und privat zu entrichtende Studiengebühren. Dass eine Ursachenforschung, welche politische Zusammenhänge aufklären könnte, als gefährlich und der Geschäftemacherei schadend betrachtet wird, ist unter den Umständen leicht nachzuvollziehen. „Medizin“ ist schließlich Wissenschaft und damit auf den Körper beschränkt.

      „Sowohl die zunehmende Macht der Universitäten als auch ihre fortdauernde Ohnmacht gegenüber der Krankheit lassen in der Folgezeit eine Beaufsichtigung als unumgänglich erscheinen.“ (Attali, 1981, S. 113) Eine Aussage, die sich auf die Mitte des 17. Jahrhunderts bezieht und die Reformen von 2007 gleich mit beschreibt. Formuliert und beansprucht wurde das alleinige Recht auf Heilung durch diese Medizin, aber es ging nicht um das Erforschen von Heilung, sondern um das reine Auflisten von Körpereigenschaften, deren Erforschung und entsprechenden Ableitungen von Behandlungen und Medikamenten.

      „Es handelt sich um eine Metapher, auf die niemand hereinfällt, weder der Arzt noch der Kranke, noch die Macht: der erste heilt nicht, der zweite wird nicht geheilt und die dritte garantiert das Wissen mitnichten. Und dennoch funktioniert das System, und die Metapher kann sich halten, weil die allgemeine Ordnung der Körper im individuellen Körper eingeschrieben werden muss; weil die Ärzte, Chirurgen und Bader am Körper eines einzelnen, die Polizisten aber am Körper des gemeinen Wesens ihre Kunst erproben.“ (Attali, 1981, S. 109)

      Andere Berufsgruppen wurden konsequenterweise ausgeschlossen. Besser und gegenwärtig genauso existenzsichernd für die Ärzteschaft ist es da, mittels Medikamenten oder Phrasen Pflaster auf Symptome zu kleben. Ebenso existenzsichernd wirken die Aktivitäten der ärztlichen Standesorganisationen in der staatlich verordneten Gesundheitswirtschaft: allerdings primär für sich selbst und sekundär und ausschließlich für Ärzte. Sie haben sich nicht einem umfassenden Verständnis von „Krankheit“ und „Gesundheit“ verschrieben. Sonst würde sie sich über den Körper und über Krankheit hinaus für die Umstände von kranken und gesunden Menschen in der Gesellschaft interessieren. Wenn dem nicht so wäre, wäre die Psychotherapie mit ihrem erweiterten Blick, der über die enge, Symptom orientierte Krankheitsdefinition des Köpers der Medizin hinausweist, zahlenmäßig so stark repräsentiert wie die übrige Ärzteschaft in der Gesellschaft. Das ist aber nicht der Fall. Zudem ist die klassische Medizin hinsichtlich anderer Heilberufe immer noch nicht als kollegial zu beschreiben – im Gegenteil. Beispiele wurden in Band 2 bereits aufgezählt, in dem auf die Zertifizierungsmachenschaften der Medizin hingewiesen wurde, deren Ziel darin besteht, noch nicht anerkannte Methoden, von Naturheilkundlern und generell Psychotherapiemethoden, für sich selbst als alleinig anerkannt mittels wissenschaftlicher Anerkennung und nachfolgender Abrechnungsfähigkeit, nutzbar zu machen. Der Prestigeverlust der Ärzteschaft innerhalb der letzten Jahre zwang zu Maßnahmen der Machteingrenzung der klassischen Medizin. Allerdings scheinen fragliche Vorgänge in der Ärzteschaft nicht differenziert genug analysiert und gesehen worden zu sein: Denn die Ärzte und nicht deren Standesorganisationen, denen es in den vergangenen Jahren um ihre eigene Existenz ging, wurden geopfert. Das „alte“ System Kassenärztliche Vereinigung und andere ärztliche Standesorganisationen wurden erhalten. Nur die Ärzteschaft selbst könnte dieses politische System abschaffen oder verändern. Doch dazu hat sie sich bislang nicht entschlossen. Der Preis dafür ist sehr hoch. Sie müssen sich in vielerlei Hinsicht bescheiden und werden systematisch in Abhängigkeiten geführt, die beruflich und finanziell nicht mehr überschaubar sind.

      Die gesamte deutsche Ärzteschaft ist mittels Niederfinanzierung zur Umsetzung der politisch verordneten Reformen abhängig verpflichtet worden. Die Ärzte haben, wie in vergangenen Jahrhunderten auch, nur eine Wahl: Ihre bisherige Tätigkeit niederzulegen oder, salopp gesagt, zu streiken. In dem Fall würden sie allerdings mittels des Hippokratischen Eids öffentlich aufgespießt, um ihrer Verpflichtung „hilfreich und gut“ und mit ganzer Kraft die Gesundheit von Menschen wiederherstellen zu wollen, nachzukommen. Doch nur in dieser einen Hinsicht wird der Hippokratische Eid gesellschaftspolitisch noch als moralisch-ethisches (Druck-)Mittel gebraucht und damit seiner ursprünglichen Intention entfremdet: Er wird als Schwert gegen diejenigen gewendet, die ihn als Basis und Auftrag in ihrer Zunft verstehen.

      Denn das Thema „Heilung“ und „Heilen“ wurde nicht als Ziel der Wissenschaft formuliert. Der Hippokratische Eid war und ist lediglich eine moralisch-ethische Instanz zur Anpassung seiner Mitglieder unter politische Ziele und gleichzeitig Instrument der Kritik von außen. Damit wird die Ärzteschaft politisch gelähmt und auf ihrem eigenen Boden, den sie jahrelang wissenschaftlich verachtete, gestellt. Genau in diesem Punkt eskaliert nun die jahrelange Politik der klassischen Medizin, die sich vom Heilungsprinzip öffentlich und wissenschaftlich abwandte, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Das Versäumnis, für den Hippokratischen Eid und die Heilung der Patienten politisch einzutreten, wendet sich nun gegen sie. Dieser Konflikt lässt sich oberflächlich und im Kern betrachtet nur dadurch lösen, dass sich Ärzte generell für Heilung, das Heilungsprinzip und den Hippokratischen Eid als Basis ihrer Tätigkeit gegen jegliche ärztliche Standespolitik behaupten - sonst bleiben sie in der „Befehlsempfängernatur“ des ärztlichen Systems stecken.

      Die Ärzte müssen sich gegen die Verdünnung von Heilmethoden und Produktmacherei verwahren. Sie müssen Abstinenz von dieser Art von Macht üben und eine tatsächliche Autorität mit ihren Methoden werden: Allerdings nicht mittels Abwertung anderer Heilberufe und die Aneignung fremder Methoden. Dieser Konflikt macht deutlich, dass die ärztlichen Standesorganisationen mit ihrem Strukturierungswillen und der Macht motivierten „Alles-meins-Politik“ allen KV-zugelassenen Ärzten, ihr berufspolitisches Fundament und Herz wegökonomisierten. Behandlungen wurden für völlig andere Zwecke als die der Heilung eingesetzt. Medizin wurde zu einer Politik und Ökonomie der Körper.

      Die Ärztefunktionäre haben ihre Mitglieder im Stich gelassen und sie veranlasst, sich den Zielen der Macht unterzuordnen. Ein eingeschränktes Berufsrecht und


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