Ich seh den Wald vor Bäumen nicht. Wolf Stein
Читать онлайн книгу.7c76dcc-bf83-5111-8a94-66d64c9bc01e">
Wolf Stein
Ich seh den Wald vor Bäumen nicht
Als Tree Planter in Kanada
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Tree Planter • Planteur d‘arbres • Baumpflanzer!
Jedes Jahr, gegen Ende April, beginnt in Kanada die Baumpflanzsaison. Eine Saison, die es in sich hat. Kleine Pflanztrupps ziehen Tag für Tag in die Unendlichkeit der kanadischen Wälder und bringen Tausende und Abertausende Bäume in den Boden. Per Hand! Bei jedem Wetter! Allen Widrigkeiten zum Trotz!
Ein knochenharter Job, welcher Körper und Geist einiges abverlangt. Man kann ihn lieben oder hassen, darin aufgehen oder ihn verfluchen.
Am Ende zählt nur eins: Durchhalten!
Wer es schafft, weiß, womit er sein Geld verdient hat. Er kann es fühlen in jeder Faser seiner Muskeln. Er kann zurückblicken auf eine einzigartige Zeit.
Und er kann davon erzählen. In einem Buch.
Einem Buch wie diesem.
Clearwater
Die kleine Stadt Clearwater und der angrenzende Wells Gray Provincial Park - ein wahres Urlaubsparadies im kanadischen Bundesstaat British Columbia. Türkisfarbene Seen mit schmackhaften Regenbogenforellen laden zum Baden, zum Angeln und zu ausgedehnten Kanutouren ein. Schneebedeckte Berge, wilde Flüsse mit fantastisch anmutenden Wasserfällen und dichtgewachsene Wälder verlocken zum Wandern. Sie betten das Tal in eine Kulisse, wie geschaffen für die Leinwände der Landschaftsmaler. Doch der Genuss dieser atemberaubenden Natur sollte nicht meine Bestimmung sein.
An einem sonnig warmen Tag, Ende April, hielt mein Überlandbus aus Vancouver an einer kleinen Bushaltestelle mit der Aufschrift: Clearwater Bus Station. Als Einziger stieg ich aus. Ich nahm mein Gepäck und wartete, bis der Bus weiterfuhr. Dann sah ich mich um. Weit und breit war kein Mensch in Sicht. Ich ging in das kleine Empfangshäuschen. Hinter dem improvisierten Tresen stand eine ältere Frau. Sie fing gerade damit an, die Postsendungen zu sortieren, die der Busfahrer eben erst bei ihr abgeliefert hatte. Nach einer freundlichen Begrüßung fragte ich sie, wo sich der örtliche Campingplatz befände. Man hatte mir gesagt, das Camp sei direkt neben der Bushaltestelle. Doch ich konnte hier nirgendwo Zelte oder Campingwagen sehen, geschweige denn einen großen Platz.
»Das liegt daran, dass hier kein Campingplatz ist. Den findest du 5 Kilometer die Straße rauf«, antwortete die Frau.
»Dann hat man mir wohl Blödsinn erzählt?«
»Nein, nein, eigentlich nicht. Die Busstation befindet sich direkt neben dem Camp. Doch sie wird momentan von Grund auf neu gebaut. Deshalb halten alle Busse hier. Das ist nur vorrübergehend. Ich kann dir aber ein Taxi rufen. Das bringt dich hin.«
»Kein Problem«, antwortete ich, »das Stück gehe ich zu Fuß.«
Ich wünschte einen schönen Tag, schwang meinen vollgestopften Rucksack auf den Rücken und wanderte los. Die paar Kilometer sollten keine Schwierigkeit darstellen. Schließlich war ich nicht zur Erholung hier, sondern um Bäume zu pflanzen - Tausende Bäume. Dazu musste man fit sein. So nahm ich den Fußweg als Training gern in Kauf. Ich wusste nicht genau, was mich in den nächsten Wochen erwartete, nur, dass es nicht leicht werden würde. Der anstrengende Job als Baumpflanzer ist in Kanada nichts Ungewöhnliches, fast eine Art Lebenseinstellung. Viele haben ihn irgendwann schon mal gemacht oder kennen jemanden, der ihn gemacht hat.
Nach wenigen hundert Metern Asphaltebene führte die Straße zum Camp stetig bergauf.
»Das fängt ja gut an«, dachte ich.
Schwitzend erreichte ich den Campingplatz. Dort herrschte gähnende Leere. Kein einziges Wohnmobil parkte in den Buchten. Kein Hering spannte die Schnur irgendeines Zeltes.
War ich hier falsch?
Ein Kleintransporter fuhr an mir vorbei. Er hielt an einem langgezogenen, weißen Flachbau. Im Inneren schien eine Spur von Leben erkennbar. Ich marschierte hin. Durch eine Schwingtür gelangte ich in das Gebäude, das sich als Rezeption herausstellte - als vermüllte Rezeption. Überall lag Krimskrams. Kisten standen herum. Im Nebenraum, dem Speisesaal, reihten sich Tische und Stühle akkurat gestapelt aneinander. Es klapperte. Ich vernahm Stimmen. Scheinbar waren die Platzbetreiber gerade am Einräumen. Mit meiner linken Hand schlug ich auf die Tresenklingel. Das Klappern und die Stimmen verstummten. Eine blonde Frau kam aus der Küche.
»Ah! Auch ein Pflanzer?« fragte sie mich.
»So sieht’s aus! Wolf mein Name.«
»Hallo Wolf, ich bin Linda. Mir und meiner Familie gehört der Platz hier.«
»Viel ist aber nicht los«, meinte ich.
»Noch nicht! Die Saison startet erst in ein paar Tagen. Deshalb sind wir