Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt


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hatten sie entdeckt, dass die Gelder dazu von einem schwedischen »Verein zur Förderung des Sozialismus in Mitteleuropa«, Sitz Göteborg, stammten. Jeder, der den Verein kannte, wusste, woher er den überwiegenden Teil seiner Mittel bezog: aus Moskau und Ost-Berlin.

      Der Geldtransfer war ein so durchsichtiges Manöver, dass man ihn fast als Beweis für Koflers Unschuld werten konnte. Es gab nur einen halbwegs überzeugenden Versuch, die Angelegenheit zu tarnen – man hatte die Spende über den Zwischenverkauf eines Bürogebäudes in Frankfurt abgewickelt, das den Schweden gehörte. Ein Mittelsmann erwarb das Haus zu einem Spottpreis, verkaufte es für den echten Gegenwert und ließ den Erlös der Vereinigung zukommen.

      Auch hier kein Versuch, einen unverdächtigen Zwischenhändler einzuschalten, denn bei dem Mann handelte es sich um einen Druckereibesitzer, der überwiegend radikale marxistische Schriften und kleinere Pamphlete vertrieb. Zwar besaß Kofler keine Verfügungsgewalt über die Konten, doch mit der offiziellen Übernahme der Geschäfte würde sich das vermutlich ändern.

      Ein weiterer Punkt betraf Koflers letzte Stunden vor der Abschiebung aus Ost-Berlin. F.s Experten hatten seinen Weg rekonstruieren können:

      Aus einem Gefängnis am Stadtrand war er in die Prenzlauer Allee gefahren worden, und dort war nicht etwa der Sitz jener Behörden, die gewöhnlichen Ausgebürgerten ins Gewissen redeten, sie bedrohte und ermahnte, im Westen Wohlverhalten und Neutralität zu üben, sondern bei ihren Spezialisten handelte es sich genau um jenen Stab von Mitarbeitern, der solche Infiltrationsversuche plante.

      Uns war kein Fall bekannt, bei dem ein Mann, der auf den Westen angesetzt wurde, sich derart verräterisch benommen hatte. Wir wussten, dass Achenbach seit seiner Rückkehr nach Ost-Berlin das Ressort »Einschleusung« bearbeitete, nachdem es ihm gelungen war, zwei Konkurrenten auszuschalten. Dieser Mann galt, was die Hinterhältigkeit und den Ideenreichtum seiner Planungen anging, als einer der besten Köpfe, den das MfS je besessen hatte. Ein so grober Schnitzer – eine derartige Sorglosigkeit – war ihm kaum zuzutrauen – es sei denn, er legte es darauf an, uns Kofler als Verdächtigen zu präsentieren.

      F. hatte diese Ungereimtheiten damit abgetan, dass man drüben weder etwas von unseren Abfangmethoden noch von den Hinweisen ahnte, die uns der Leipziger Ring über den Agenten in der Roßstraße zukommen ließ. Nachdem Zwischenfall mit dem Messwagen an der Mauer, dem angeblichen »Stromausfall« – ich war nach wie vor davon überzeugt, dass es sich um eine Messung handelte, obwohl F. behauptete, es gebe keinerlei Hinweise dafür – war ich da nicht mehr so sicher. Mir fiel der Mann mit dem Fernglas ein, den ich einmal in dem verfallenen Gebäude jenseits des Todesstreifens beobachtet hatte. Wenn aber Koflers vermeintliche Rolle bloß ein Ablenkungsmanöver war, wer außer Amrouche kam dann in Frage?

      Ich blickte auf meine Armbanduhr: Es war kurz nach fünf. Barbara hätte ihre Arbeit in der Zentrale längst beendet haben müssen. Als ich das Café verließ, sah ich sie aus einem Hauseingang am anderen Ende der Straße kommen. Sie trug einen blauen Mantel und eine Umhängetasche und beeilte sich, in einen japanischen Kleinwagen zu steigen.

      »Nanu?«, meinte sie, als sie mich entdeckte. »Haben Sie etwa hier auf mich gewartet?«

      »Ich wusste nicht, dass sich in diesem Haus Dienststellen der Abteilung befinden«, sagte ich und blickte an der Fassade hinauf.

      »Ja, wir stecken überall«, lachte sie. »Seit einiger Zeit werden die Räume öfter gewechselt – auf Ihre Veranlassung hin, nehme ich an?«

      »Es sieht aus, als wenn Sie‘s eilig haben?«

      »Nicht besonders …«

      »Gut, dann schlage ich vor, Sie kommen mit in meine Wohnung in der Hitzigallee, das ist nur ein paar Straßen weiter, und wir setzen unsere Unterhaltung fort, wo wir sie letztens unterbrochen haben.«

      »Sie meinen, wir gehen miteinander ins Bett?«

      »Wir könnten auch Tee trinken oder Schach spielen.«

      »Nicht in Ihrer Wohnung. Lassen Sie uns irgendwo hingehen. Vielleicht gibt es noch Karten für den Flokus.«

      »Flokus

      »Ein Kabarett.«

      »Na, meinetwegen.« Ich stieg ein. Sie warf ihre Lederumhängetasche achtlos auf den Rücksitz (ein gutes Zeichen, wie mir schien). »Haben Sie Ihrem Vater von unserem Stelldichein erzählt?«, fragte ich, während sie vorgebeugt den ersten Gang einlegte.

      »Gott bewahre. In der Beziehung ist er ziemlich humorlos.«

      »Wegen des Kerls mit dem Heiligenschein hatten Sie übrigens recht.«

      »Wegen – ?«

      »Die Dachsilhouette …«

      »Ah, richtig.«

      Wir parkten in einer Nebenstraße des Ku‘damms.

      »Ich muss Ihnen ein Geständnis machen«, sagte ich beim Aussteigen. »Sie halten mich für den Chef, aber ich bin nicht mal Abteilungsleiter in dem Verein.«

      Barbara starrte mich schweigend an, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie hatte sich etwas herausgeputzt. Es war ein Vergnügen, sie anzusehen. Mal abgesehen von der Spannung in der Atmosphäre, den knisternden Funken, die förmlich zu hören waren nach meinem unerwarteten Geständnis.

      »Nein, wi-i-rklich – ?« Sie zog das »i« lang, als nehme sie vor einem Spinnennest Reißaus.

      »Sie müssen mir einfach glauben!«, sagte ich. (Etwas Dümmlicheres fiel mir momentan nicht ein.)

      »Na wenn das so ist, weiß ich gar nicht, warum ich mich noch mit Ihnen abgebe. Ich meine, wenn Sie nur eine Null in dem Laden sind. – Und die Mädchen? Warum schanzt man Ihnen so viele hübsche unschuldige Mädchen zu?«

      »Unschuldige waren noch keine darunter. Ich bin in einer etwas kuriosen Lage – offenbar ist jemand in der Organisation daran interessiert, dass man mich für den Chef hält.«

      »Warum sollte man?«

      »Ich würde Sie gerne ins Vertrauen ziehen.«

      »Na schön«, seufzte sie. »Kein Flokus. Gehen wir essen? Anscheinend bin ich eine Art Vertrauensperson, ein wandelnder Beichtstuhl. Erst heult Charlotte mir die Ohren voll, und jetzt kommen Sie mit Ihrem …«

      »Charlotte?«

      »Sie war schwanger. Ich denke doch, dass Sie von der Abtreibung erfahren haben?« Sie musterte mich missbilligend. »Ihre verhinderten Vaterfreuden.«

      Ich nickte.

      »Sie muss geglaubt haben, ‘der Chef’ werde sie heiraten«, sagte ich. »Ihr Freund stellt mir deswegen nach. Hören Sie, die Geschichte, von der ich Ihnen berichten will, ist wesentlich heikler. Meine Aufgabe in der Organisation … oder anders gesagt, die tatsächliche und die angebliche Rolle, die ich dort spiele – « Ich schwieg. Plötzlich kamen mir Zweifel, ob es richtig war, sie ins Vertrauen zu ziehen. »Der Mann mit dem Heiligenschein – ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen das …?«

      »Erzählen Sie‘s mir morgen oder übermorgen«, unterbrach sie mich. »Oder wann immer Sie glauben, mir vertrauen zu können.«

      Dass sie nicht neugierig war, erleichterte mich ein wenig. Wir gingen in ein kleines Lokal, dessen Küche, wie sich dann herausstellte, schon geschlossen hatte, und tranken zwei Karaffen Rotwein. Sie begann mir von ihrem Vater zu erzählen, seinem Misstrauen und allerlei Umständlichkeiten und Verschrobenheiten, zum Beispiel, wie er Briefe öffnete.

      Er befürchtete ständig Opfer eines Briefbombenanschlags zu werden, darum ließ er auch seine Privatbriefe im Büro öffnen. Und die Haustür konnte mit einem giftigen Kontaktmittel bestrichen sein. Also legte er ein großes altmodisches Taschentuch darüber. In einer Menschenmenge angestoßen, argwöhnte er oft, man habe ihn mit einer präparierten Regenschirmspitze getroffen, die Wundstarrkrampf, Hirnhautentzündung oder irgendein anderes Leiden verursachen würde.

      Doch seine bemerkenswerteste Eigenschaft sei sein Hang, für alle Eventualitäten vorzusorgen


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