Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt


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weil es möglicherweise auch im Text auftritt.«

      »Cordes …«‚ sagte ich und ging in mein Zimmer hinüber. Ich spürte förmlich, dass Kruschinskys Blick dabei an meinem Rücken hing. Kofler hatte seine Jacke ausgezogen. Darunter trug er einen verwaschenen blauen Pullover, der etwas zu lang war.

      »Die Morgenzeitung schreibt, ich würde über Ungarn oder Rumänien einreisen«, erklärte er, als ich hereinkam.

      »Vielleicht nur ein Täuschungsmanöver, um die Kollegen von den anderen Blättern abzulenken.«

      »Halten Sie das für möglich?«

      »Journalisten sind keinen Deut besser als Geheimdienste.«

      Ich entkorkte die Flasche und goss ihm und mir ein randvolles Glas ein. Er roch daran, spülte fachkundig einen kleinen Schluck im Mund und nickte anerkennend.

      »Guter Tropfen. In Polen muss man lange anstehen dafür. Falls er überhaupt aufzutreiben ist. – Wie sind Sie an den Job gekommen?«, fragte er nach einer Weile.

      »Das ist eine lange Geschichte.«

      »Würde mich interessieren …«

      Ich goss mein Glas nach und musterte ihn, seine strahlend blauen Augen sahen mich vertrauensselig an.

      Es war die sympathische Offenheit darin, die mich wie von selbst in sein Lager überwechseln ließ. Nicht viel mehr als ein wenig offene Bläue …

      »Bevor ich diesen Job übernahm, war ich Staatsanwalt. Wegen eines groben Fehlers – Voreingenommenheit aus Eifersucht, durch die jemand Selbstmord beging – wurde ich vom Dienst suspendiert. Ich geriet sogar in den Verdacht, Beweismaterial manipuliert zu haben. Es ging mir ziemlich erbärmlich danach – bis man mir diese Arbeit anbot.«

      Kofler ließ sich Einzelheiten über Pysiks Selbstmord, die Hintergründe der Ermittlungen und seinen Prozess erzählen. Er stellte Fragen, die verrieten, dass er sein Handwerk als Kriminologe noch nicht verlernt hatte. Ich dachte, es sei nützlich, ein persönlicheres Verhältnis zu ihm zu gewinnen. Der Eindruck, den er auf mich machte, war noch zu unbestimmt. Meine Geschichte war ohnehin bekannt. Sie hatte damals in allen Zeitungen gestanden.

      »Und der wirkliche Täter ist nie gefasst worden?«, fragte er nachdenklich. »Jemand muss Pysik belastet haben.«

      »Es wurde eine Nummern-Druckmaschine für Schecks bei ihm gefunden. Aber die gefälschten Schecks waren auf einer anderen Maschine gedruckt worden.«

      »Sie haben sehr leichtfertig gehandelt.«

      »Ich war von Pysiks Schuld überzeugt.«

      »Ihre Überzeugung hat ein Menschenleben gekostet.«

      »Ja, und ich bin noch nicht darüber hinweg.«

      »Es ist immer das Gleiche«, meinte er grüblerisch. »Mit ein wenig gutem Willen, an seine Unschuld zu glauben, wäre das alles nicht passiert.«

      »Eigentlich verfolgen mich solche Irrtümer, solange ich zurückdenken kann – es scheint so, als wenn ich eine Art Option darauf hätte.«

      Ich berichtete ihm von dem Bilderdiebstahl und einer anderen – ähnlichen – Geschichte aus meiner Schulzeit. Damals hatte ich überein Jahr lang einen Schüler gemieden, der mein Freund gewesen war. Ich wusste, dass er darunter litt und mich nicht verstand, aber ich glaubte, er habe mich beim Lehrer wegen eines geschwänzten Vormittags verpetzt (tatsächlich hatte die Frau des Lehrers mich am Fluss beobachtet – doch das erfuhr ich erst viel später). Ewald, so hieß der Schüler, schien plötzlich in ungewöhnlich gutem Einvernehmen mit dem Lehrer zu stehen (dabei war er ungeschickt und faul und in Mathematik und Orthographie der Klassenletzte); und er war der einzige, der von meinem Angelvormittag und dem Plan mit der gefälschten Unterschrift auf dem Entschuldigungszettel gewusst hatte …

      Ihr gutes Einvernehmen entpuppte sich später als gemeinsames Hobby. Sie züchteten dieselbe Art seltener Zierfische. Ich glaube, es waren Neon-Salmler – oder etwas ähnlich Verrücktes.

      Dabei machte ich mir nichts vor. Dass ich Kofler von den alten Geschichten erzählte, geschah nicht aus Berechnung. Ich hatte ein Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden.

      Er hörte geduldig zu, ohne Anzeichen von Ermüdung. Wir leerten die Flasche, und ich ging hinüber und holte noch eine Flasche Riesling. Oft, wenn er sprach, schweiften meine Gedanken ab, und ich grübelte darüber nach, wie wenig Anlass es gab, an seine Unschuld zu glauben – und ob es sich bei dem Vertrauen, das ich ihm jetzt entgegenbrachte, nicht nur um jenes ins Gegenteil verkehrte Misstrauen handelte, dem ich so oft aufgesessen war.

      Sicherlich blieb er nach wie vor verdächtig. Die Geschichte mit dem Gipsarm mochte zutreffen – aber das französische Fernsehinterview, die auf ungeklärte Weise verratene Mitgliederliste russischer Dissidenten, seine angeblich nur in der Jugendzeit orthodox marxistische Haltung, das unautorisiert und verfälscht ins Englische übersetzte Buch, vor allem aber sein verdächtiger Aufenthalt in Ost-Berlin sprachen gegen ihn.

      Trotzdem vertraute ich ihm. Ich riskierte es einfach. Jedenfalls verstummte das Gesumme der Hummel oder Wespe in meinem Schädel, wenn ich seine Beteuerungen ernst nahm. Kofler mochte – was die Verwirklichung seiner Überzeugungen anbelangte – ein Narr sein, ein hoffnungsloser Idealist.

      Doch wenn es überhaupt ein Gefühl oder eine Intuition dafür gab, ob jemand die Wahrheit sprach, dann war ich jetzt bereit, ihm diese Ehrlichkeit zuzubilligen.

      Entscheidend blieb aber, dass es sich um einen jener Fälle handelte, die sich nicht vor Gericht verhandeln ließen – dazu waren die Beweise zu mager. Deshalb würde F. weiterhin auf einen Schuldspruch drängen.

      Anscheinend war sich Kofler der Aussichtslosigkeit seiner Pläne sogar bewusst! Er erzählte mir von seinen beiden Töchtern – und dass sie ihn nicht verstanden.

      »Nicht einmal sie – «‚ bemerkte er mit trübsinniger Miene. In ihren Briefen aus dem Gefängnis hatten sie ihn gebeten, »den Sturz des Regimes mit unnachgiebiger Härte« zu betreiben. »Sie wollen in mir den Helden sehen!« klagte er. »Natürlich war man amüsiert, als man ihre Post öffnete. Selbst die Behörden sehen in mir keinen Umstürzler – allenfalls einen Kollaborateur mit dem Klassenfeind. Vermutlich aber nur einen harmlosen Intellektuellen, der mehr Anhänger im Westen als im Osten besitzt.

      Dass ich mich in der Bundesrepublik von allen Organisationen fernhalten werde, die in meinem Namen Veränderung – oft gewaltsame Veränderung – predigen, halten sie schlichtweg für ein Täuschungsmanöver.«

      »Sie wollen auf die Möglichkeit verzichten, über solche Kreise Einfluss zu nehmen?«

      »Ja. Ich werde mich zurückziehen, um an meinem Buch zu arbeiten – das Heil liegt nicht in politischen Parteien, vor allem nicht in einer Bewegung aus Wirrköpfen.«

      Ich war schon ein wenig unsicher auf den Beinen, als ich mich erhob, um eine neue Flasche zu besorgen. Umständlich zog ich den Stuhl zurück.

      »Sie müssen mir glauben …«‚ bat er plötzlich und umfasste mit beiden Händen meine Rechte. Seine Fingerspitzen zitterten leicht. Während ich nickte und einen unsicheren Schritt in den Raum setzte, entglitt ihm die Hand.

      Schon an der Tür, wandte ich mich um und betrachtete seine vorgebeugte, zusammengekauerte Gestalt, die an den Riesen in der Dachsilhouette erinnerte.

      »Es ist gerade das Vertrauen, das uns fehlt«, sagte er mit gesenktem Kopf.

      Der Satz lief mir im Raum nach, und als ich die Klinke drückte, überholte er mich von hinten wie eine düstere Wolke aus Gewissheit und Überzeugung, von der ich ohnehin schon eingenebelt war – düster, weil die Konsequenzen düster waren. Seit ich das Ampheton nahm, vertrug ich nicht mehr allzu viel; doch um zuerkennen, dass man mich in diesem Job nicht für Vertrauen bezahlte, reichte das bisschen alkoholisierter Verstand allemal.

      Ich eckte am Tisch an und ging ohne mich umzublicken zur Tür des anderen Zimmers, bis mir einfiel, dass die Flasche Riesling die letzte gewesen war und


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