Jane Eyre. Charlotte Bronte

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Jane Eyre - Charlotte Bronte


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Aber sobald Bessie ihre jungen Damen angekleidet hatte, pflegte sie sich in die lebhafteren Regionen der Küche und des Zimmers der Haushälterin hinunter zu begeben und gewöhnlich auch noch die Lampe mit fortzunehmen. Dann saß ich da mit meiner Puppe im Arm, bis das Feuer herabgebrannt war, und blickte zuweilen ängstlich umher, um mich zu vergewissern, daß sich nichts schlimmeres als ich selbst in dem düsteren Zimmer befand; wenn sich dann nur noch ein Häufchen glühend roter Asche auf dem Roste befand, entkleidete ich mich hastig, riß und zerrte aus allen Kräften an den Bändern und Knöpfen meiner Röcke und suchte in meinem Bettchen Schutz vor der Kälte und der Dunkelheit. In dieses Bettchen nahm ich auch stets meine Puppe mit; jedes menschliche Wesen muß etwas lieben, und da mir jeder andere Gegenstand für meine Liebe fehlte, fand ich meine Glückseligkeit darin, ein farbloses, verblaßtes Gebilde zu lieben, das noch häßlicher als eine Miniatur-Vogelscheuche war. In der Erinnerung scheint es mir jetzt unbegreiflich, daß ich mit so alberner Zärtlichkeit an diesem kleinen Spielzeug hängen konnte; oft bildete ich mir ein, daß es lebendig sei und mit mir empfinden könnte. Ich konnte nicht schlafen, wenn ich es nicht in die Falten meines Nachthemdchens gehüllt hatte, und wenn es dort sicher und warm lag, fühlte ich mich verhältnismäßig glücklich, weil ich glaubte, daß es ebenfalls glücklich sein müsse.

      Wie lang schienen mir die Stunden, wenn ich auf das Fortgehen der Gesellschaft wartete und auf den Wiederhall von Bessies Tritten auf der Treppe horchte. – Zuweilen kam sie auch in der Zwischenzeit herauf, um ihren Fingerhut und ihre Schere zu suchen oder mir irgend etwas zum Abendbrot, vielleicht einen Käsekuchen oder ein Milchbrot herauf zu bringen; dann pflegte sie auf der Bettkante zu sitzen, während ich aß, und wenn ich fertig war, wickelte sie mich fest in die Decken und küßte mich zweimal und sagte: »Gute Nacht, Miß Jane.« Wenn Bessie so sanft war, erschien sie mir wie das beste, hübscheste, freundlichste Geschöpf auf der Welt; und dann wünschte ich so innig, daß sie stets so fröhlich und liebenswert sein und mich niemals wieder umherstoßen oder schelten oder mich ungerecht beschuldigen möchte, wie es doch meistens ihre Gewohnheit war. Ich glaube, daß Bessie Lee ein Mädchen mit guten natürlichen Anlagen gewesen sein muß, denn in allem, was sie tat, war sie flink und geschickt, außerdem hatte sie ein wundersames Erzählungstalent oder wenigstens schien mir es so nach dem Eindruck, welchen ihre Kinderstubengeschichten auf mich machten. Auch war sie hübsch, wenn weiter die Erinnerung an ihre Gestalt und ihr Gesicht mich nicht täuscht. Sie steht vor mir wie ein schlankes, junges Weib mit schwarzem Haar, dunklen Augen, sehr hübschen Zügen und einer klaren, gesunden Gesichtsfarbe; aber sie war von heftigem und launenhaftem Temperament und sehr unausgeglichenen Begriffen von Gerechtigkeit und Grundsätzen – und doch, wie und was sie auch sein mochte, sie war mir lieber, als irgend ein anderes lebendes Wesen in Gateshead-Hall.

      Es war am 15. Januar, ungefähr gegen neun Uhr morgens. Bessie war zum Frühstück hinuntergegangen; meine Cousinen waren noch nicht zu ihrer Mama gerufen worden; Eliza zog gerade ihren warmen Gartenmantel an und setzte ihren Hut auf, um hinunterzugehen und ihr Geflügel zu füttern – eine Beschäftigung, welche sie sehr liebte – und ebensoviel Vergnügen machte es ihr, der Haushälterin ihre Eier zu verkaufen und das Geld, welches sie auf solche Weise erlangte, zusammen zu sparen. Sie hatte viel Sinn für den Handel und einen ausgesprochenen Hang zur Sparsamkeit; dies zeigte sich nicht allein im Verkaufen von Hühnern und Eiern, sondern auch in scharfem Handeln mit dem Gärtner um Blumenpflanzen, Samen und junge Schößlinge; dieser Funktionär hatte von Mrs. Reed den strengen Befehl erhalten, der jungen Herrin alle Produkte ihres kleinen Gartens, welche sie etwa zu verkaufen wünschte, abzukaufen – und Eliza würde jedes einzelne Haar von ihrem Kopfe verkauft haben, wenn sie einen namhaften Profit dabei erzielt hätte! Anfänglich hatte sie ihr Geld in allen möglichen Winkeln und Ecken, in altes Lockenpapier oder in Lumpen gewickelt, versteckt; aber als einige dieser aufgespeicherten Schätze von dem Stubenmädchen entdeckt worden, willigte Eliza, welche fürchtete, eines Tages ihr ganzes Hab und Gut zu verlieren, darein, es ihrer Mutter gegen unerhörte Wucherzinsen – fünfzig oder sechzig Prozent – anzuvertrauen. Diese Zinsen trieb sie regelmäßig jedes Vierteljahr ein und führte mit ängstlicher Sorgfalt in einem kleinen Notizbuche hierüber Rechnung.

      Georgiana saß auf einem hochbeinigen Stuhl und ordnete ihr Haar vor dem Spiegel; in ihre Locken flocht sie künstliche Blumen und verblichene Federn, von denen sie einen ganzen Vorrat in einer Kiste auf der Bodenkammer gefunden hatte. Ich brachte mein Bett in Ordnung, denn Bessie hatte mir den strikten Befehl erteilt, damit fertig zu sein, bevor sie zurückkommen würde; sie benutzte mich jetzt häufig wie eine Art von zweitem Stubenmädchen, um das Zimmer aufzuräumen, den Staub von den Möbeln zu wischen u. s. w. – Nachdem ich die Bettdecke ausgebreitet und mein Nachtkleid zusammengefaltet hatte, ging ich an das Fensterbrett, um einige Bilderbücher und Möbel aus der Puppenstube, welche dort umherlagen, fortzuräumen; aber ein lauter Befehl Georgianas, ihre Spielsachen nicht anzurühren (denn die Lilliput-Stühle und Spiegel, die Feen-Teller und Tassen waren ihr Eigentum) gebot meinem Tun Einhalt. In Ermangelung jeder anderen Beschäftigung fing ich jetzt an, auf die Eisblumen, welche die Kälte auf die Fensterscheiben gezaubert hatte, zu hauchen, und mir so eine kleine Öffnung auf dem Glase zu verschaffen durch welche ich in den Garten blicken konnte, wo der harte Frost alles getötet und versteinert hatte.

      Durch dieses Fenster war die Loge des Portiers und die Fahrstraße sichtbar und gerade als ich so viel von dem silberweißen Laubgewinde, das die Scheiben verschleierte, fortgehaucht hatte, um hinausblicken zu können, sah ich, daß die Pforten geöffnet wurden und ein Wagen durch das Thor rollte. Mit größter Gleichgültigkeit verfolgte ich ihn, wie er vor das Haus rollte: es kamen ja so oft Wagen nach Gateshead, aber niemals brachten sie Besucher, für die ich auch nur das geringste Interesse hegte. Er hielt vor dem Hause, die Glocke wurde heftig gezogen; der Besucher erhielt Einlaß. Da dieser ganze Vorgang mich nicht kümmerte, fand meine jetzt unbeschäftigte Aufmerksamkeit bald lebhaftere Anziehungskraft in dem Anblick eines kleinen, hungrigen Rotkehlchens, das sich piepend auf die entlaubten Zweige eines Spalierkirschenbaumes nahe am Fenster setzte. Die Überreste meines Frühstücks von Brot und Milch standen auf dem Tische und nachdem ich eine Semmel in Krümel zerrieben hatte, zog ich an dem Klappfenster, um die Brosamen auf das Fenstersims streuen zu können, als Bessie atemlos in die Kinderstube stürzte.

      »Miß Jane, nehmen Sie Ihre Schürze ab; was machen Sie da? Haben Sie heute morgen Gesicht und Hände schon gewaschen?« – Bevor ich antwortete, zog ich noch einmal an der Fensterklinke, denn ich wollte dem Vogel gern sein kleines Mahl sichern; die Klinke gab nach, ich streute die Brosamen aus, einige auf das steinerne Gesimse, andere auf die Zweige des Kirschbaumes; dann erst schloß ich das Fenster und entgegnete:

      »Nein, Bessie, ich bin erst jetzt mit dem Aufräumen fertig geworden.«

      »Unartiges, unordentliches Mädchen! Und was machen Sie da jetzt? Sie sehen so rot aus, als hätten Sie irgend ein Unheil angerichtet. Weshalb haben Sie das Fenster aufgerissen?«

      Die Antwort blieb mir erspart, denn Bessie schien zu große Eile zu haben, um meinen Erklärungen Gehör schenken zu können; sie zerrte mich an den Waschtisch, unterwarf meine Hände und mein Gesicht einer erbarmungslosen aber glücklicherweise kurzen Waschung mit Seife, Wasser und einem groben Handtuch; ordnete meinen Kopf mit einer scharfen Bürste, entkleidete mich meiner Schürze und riß mich dann schnell an die Treppe, wo sie mir gebot, eilig hinunter zu gehen, da man mich im Frühstückszimmer erwarte.

      Ich hätte gern gewußt, wer mich erwartete; gern hätte ich gefragt, ob Mrs. Reed dort sei; aber Bessie war schon wieder davon gelaufen und hatte die Kinderstubentür hinter sich geschlossen. Langsam stieg ich die Treppe hinunter. Seit fast drei Monaten hatte Mrs. Reed mich nicht mehr rufen lassen; seit dieser Zeit war ich auf die Kinderstube angewiesen gewesen, und das Frühstückszimmer, der Speisesaal und der Salon waren für mich Regionen geworden, die ich nur mit Schrecken und Angst betreten konnte.

      Ich stand jetzt in der leeren Halle; vor mir war die Tür des Frühstückszimmers, zitternd und furchtsam hielt ich inne. Welch einen elenden kleinen Feigling hatte die Furcht vor ungerechter Bestrafung in jenen Tagen aus mir gemacht! Ich fürchtete mich, in die Kinderstube zurückzugehen; ich fürchtete mich, in das Wohnzimmer einzutreten! Zehn Minuten stand ich ängstlich zögernd da; das heftige Klingeln der Glocke im Frühstückszimmer entschied: ich mußte eintreten.

      »Wer konnte


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