Das Gesetz der Vier. Edgar Wallace

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Das Gesetz der Vier - Edgar Wallace


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Mann mit dem blitzenden Messinghelm stapfte die Treppe geräuschvoll nach oben.

      »Tut mir selbst leid«, meinte er, »aber ich muß die Schlauchleitung –«

      »Warten Sie einen Augenblick, mein Freund«, entgegnete Mr. Stedland lächelnd. »Ich glaube, wir werden uns gleich verständigt haben. Es gibt doch so viele Häuser in dieser Straße, und mit einer Zehnpfundnote kann man doch eine ganze Weile auskommen, nicht wahr? Treten Sie nur ruhig ein.«

      Mr. Stedland ging in sein Zimmer zurück. Der Feuerwehrmann folgte ihm und beobachtete, wie er seinen Geldschrank aufschloß.

      »Ich dachte nicht, daß es so leicht sein würde«, sagte er.

      Stedland drehte sich erregt um.

      »Hände hoch! Und machen Sie keine Schwierigkeiten, sonst ist es aus mit Ihnen, Noah! Ich bin durchaus bereit, Sie umzubringen!«

      Noah Stedland sah, daß das Gesicht des Fremden unter dem großen Feuerwehrhelm von einer schwarzen Maske bedeckt war.

      »Wer – wer sind Sie denn?« fragte er heiser.

      »Ich bin einer der Vier Gerechten – die man so viel schmäht und die man vor der Zeit totgesagt hat. Und der Tod ist eins meiner Allheilmittel gegen alle Missetaten ...«

      Am nächsten Morgen um neun Uhr saß Mr. Noah Stedland noch in seinem Arbeitszimmer. Das Frühstück stand unberührt vor ihm auf dem Tisch.

      Plötzlich kam Jope nach oben und brachte ihm eine böse Nachricht. Gleich hinter ihm trat Polizeiinspektor Holloway mit verschiedenen Polizeibeamten in den Raum.

      »Wollen Sie nicht so gut sein und mich auf einen kleinen Spaziergang begleiten?« fragte der Beamte von Scotland Yard liebenswürdig.

      Stedland erhob sich schwerfällig.

      »Welche Klage erheben Sie gegen mich?« fragte er düster.

      »Erpressung. Wir haben genug Beweismaterial, um sie an den Galgen zu bringen – wir haben es von einem besonderen Boten erhalten. Sie haben auch Storr ins Unglück gebracht das war besonders niederträchtig von Ihnen!«

      »Wissen Sie eigentlich, wer Sie verpfiffen hat?« fragte der Oberinspektor, als Stedland seinen Mantel anzog.

      Aber er erhielt keine Antwort. Manfreds letzte Worte, bevor er wieder auf der nebligen Straße verschwunden war, hatten tiefen Eindruck auf Stedland gemacht:

      »Wenn wir Sie hätten umbringen wollen, dann hätte Sie der Mann, der sich Curtis nannte, am vorigen Nachmittag leicht töten können. Das wäre ebenso leicht gewesen, wie das Gebäude anzustecken. Und wenn Sie der Polizei irgend etwas von den Vier Gerechten verraten, dann werden wir sie umbringen, selbst wenn Sie hinter den dicksten Gefängnismauern von Petonville sitzen und ein Regiment Soldaten das Gebäude beschützt.«

      Und irgendwie wußte Mr. Stedland genau, daß sein Feind die Wahrheit sprach. Deshalb schwieg er und sagte nichts. Er sprach auch nicht, als er auf der Anklagebank in Old Bailey saß und zu einer langen Zuchthausstrafe verurteilt wurde.

      Der Mann mit den grossen Eckzähnen

      Mord ist eigentlich das zufälligste Verbrechen, mein lieber George«, sagte Leon Gonsalez zu Manfred. Dabei nahm er seine große Hornbrille ab und schaute ihn sinnend an. Manfred, der Anführer der Vier Gerechten, liebte diesen Gesichtsausdruck seines Freundes und betrachtete ihn sehr vergnügt.

      »Poiccart pflegte zu sagen, daß Mord eine sichtbare Äußerung von Hysterie sei«, erwiderte er lächelnd. »Aber warum sprichst du beim Frühstück über so gräßliche Dinge?«

      Gonsalez setzte seine Brille wieder auf und wandte sich scheinbar aufs neue dem Studium seiner Zeitung zu. Er überhörte seinen Freund nicht absichtlich, sondern sein Geist war, wie George Manfred wohl wußte, so vollständig von seinen Gedanken beschäftigt, daß er die Frage überhaupt nicht vernommen hatte. Er blickte auch in die Zeitung, ohne zu lesen. Plötzlich begann er wieder zu sprechen.

      »Achtzig Prozent aller Menschen, die unter Mordanklage stehen, kommen zum erstenmal mit dem Gericht in Berührung. Deshalb sage ich immer, daß Mörder eigentlich nicht zu den wirklichen Verbrechern gehören. Ich spreche natürlich von den Mördern der angelsächsischen Rasse. Es sind faszinierende Leute, George, wirklich faszinierend!«

      Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung.

      »Ich habe mich noch nicht zu dieser Anschauung durchringen können«, entgegnete Manfred. »Mir sind sie einfach schrecklich – für mich ist Mord immer noch die Verkörperung des größten Unrechts.«

      »Vielleicht hast du recht«, antwortete Gonsalez zerstreut.

      »Wie kamst du eigentlich auf diese merkwürdigen Gedanken«, fragte Manfred, als er seine Serviette zusammenrollte.

      »Gestern Abend habe ich einen Mann mit einer richtigen Mörderphysiognomie getroffen. Er bat mich um ein Streichholz und lachte, als ich es ihm gab. Ich konnte seine wunderbaren Zähnen sehen, sie waren vollkommen – nur ...«

      »Nun, was denn?«

      »Nur die Eckzähne waren ungewöhnlich stark und lang. Außerdem hatte er tiefliegende Augen, erstaunlich gerade Brauen und unregelmäßige Gesichtszüge: Die letzte Eigenschaft deutet allerdings nicht unbedingt auf einen Verbrecher.«

      »Das klingt ja, als wäre er ein richtiges Scheusal gewesen.«

      »Im Gegenteil.« Gonsalez beeilte sich, den falschen Eindruck, den seine Worte hervorgerufen hatten, zu verbessern. »Er sah sehr gut aus. Nur jemand, der sich eingehend mit Physiognomien beschäftigt, konnte die Unregelmäßigkeit in seinen Gesichtszügen wahrnehmen. O nein, er konnte sich wirklich sehen lassen.«

      Gonsalez erklärte noch näher, unter welchen Umständen er den Fremden getroffen und kennengelernt hatte. Er hatte am vorhergehenden Abend ein Konzert besucht, um die Wirkung der Musik auf bestimmte Typen von Menschen zu studieren. Sein ganzes Programm war mit Notizen vollgekritzelt, und er hatte nachher fast die halbe Nacht damit zugebracht, seine Beobachtungen auszuarbeiten.

      »Er ist der Sohn von Professor Tableman. Mit seinem Vater steht er allerdings nicht sehr gut, weil dieser die Wahl seiner Verlobten nicht billigt. Außerdem haßt er seinen Vetter.«

      Manfred lachte laut.

      »Du bist wirklich großartig! Hat er dir das alles freiwillig erzählt, oder hast du ihn hypnotisiert und alle diese Nachrichten aus ihm herausgelockt? Übrigens hast du mich noch gar nicht gefragt, was ich gestern Abend getan habe.«

      Gonsalez steckte sich umständlich eine Zigarette an.

      »Der junge Tableman ist fast zwei Meter groß, kräftig gebaut und hat solche Schultern!« Er hielt die Zigarette in der einen Hand, das brennende Streichholz in der anderen, um damit die ungewöhnliche Breite des jungen Mannes anzudeuten. »Er hat große, starke Hände, außerdem ist er ein bekannter Fußballspieler. Wo bist du nun gestern Abend gewesen, George? Entschuldige, daß ich dich nicht eher danach gefragt habe.«

      »In Scotland Yard«, entgegnete Manfred. Aber wenn er erwartet hatte, durch diese Mitteilung eine Sensation hervorzurufen, so mußte er enttäuscht sein. Aber offenbar kannte er Leon genügend, um daran überhaupt nicht zu denken.

      »Scotland Yard ist ein ganz interessantes Gebäude«, meinte Gonsalez. »Der Architekt hätte nur die Westfassade nach Süden verlegen sollen – obwohl die versteckten Eingänge ganz mit dem Charakter des Baues übereinstimmen. Es fiel dir nicht schwer, dort Bekanntschaften anzuknüpfen?«

      »Nicht im mindesten. Man kennt dort meine Arbeiten in Verbindung mit dem spanischen Strafgesetzbuch und mein Werk über Fingerabdrücke, und ich habe sofort Zutritt zum Polizeipräsidenten bekommen.«

      Manfred war in London als der hervorragende Schriftsteller über Kriminologie, »Señor Fuentes«, bekannt. Er und sein Freund Leon Gonsalez hatten als spanische Wissenschaftler die besten Empfehlungsschreiben des spanischen Justizministers bei sich,


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