Mord und Totschlag in Chicago. Edgar Wallace

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Mord und Totschlag in Chicago - Edgar Wallace


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Umgebung zu sterben, die viele Jahre lang sein Zuhause gewesen war. Die schwatzhafte Frau eines Mechanikers aus dem ersten Stock erzählte Minn Lee, daß der alte Peter einen mächtigen Freund habe, ein As unter den Alkoholschmugglern.

      »Können Sie sich vorstellen, Mrs. Waite«, sagte sie, »daß er Mr. Melachini eine Villa am Meer angeboten hat, die er ihm schenken will! Aber der Alte hat es nicht angenommen. Er entgegnete, daß er hier in der Stadt sterben wolle, wo er geboren sei. Der ist nicht ganz richtig im Kopf! Stellen Sie sich doch vor – eine Villa am Meer, und alles geschenkt.«

      Der Gangster, in seinen Kreisen ein gefürchteter Pistolenschütze, besuchte Peter Melachini ab und zu. Er war ein schlanker, geschmeidiger Mann mit einer ungewöhnlich dunklen Gesichtsfarbe; seine Anzüge saßen stets wie angegossen. Wenn er aus seinem Wagen stieg, liefen die Leute ans Fenster und drückten sich die Nasen an den schmutzigen Scheiben platt. Die ganze Gegend geriet in Aufregung. Ein wirklicher Gangster, das war eine Sensation!

      Gewöhnlich war es so, daß ein dunkler Wagen in schneller Fahrt in die Straße einbog und vor der Haustür hielt. Drei Männer sprangen heraus; der erste ging voran, dann kam die Hauptperson selber, und der dritte folgte als Nachhut.

      Tony Perelli, so hieß der zweifelhafte Held, ging meist direkt in Melachinis Wohnung, unterhielt sich ein wenig mit ihm und verließ ihn unter Zurücklassung einiger kleiner Geschenke.

      Die beiden hatten früher in der gleichen Kapelle bei Cosmolino gespielt, und seither war Tony Perelli mit Peter befreundet. Außerdem stammten sie beide aus Sizilien und waren im gleichen Dorf in der Nähe Palermos geboren.

      Auch Minn Lee traf den Gangster manchmal auf der Treppe. Er war nicht sehr groß, aber sein vornehmes Auftreten und eine gewisse Zurückhaltung und Würde imponierten ihr. Sein Gesicht war ziemlich voll, und seine dunklen Augen glänzten eigentlich ganz lustig.

      Minn Lee sah er freundlich an, als er ihr zum erstenmal begegnete, und sie erwiderte sein Lächeln zögernd. Als er vorbeigegangen war, drehte sie sich nach ihm um, und auch er wandte den Kopf, als ob er noch einen Blick von ihr erhaschen wolle.

      Als sie ihn später einmal an derselben Stelle traf, sprach er sie an. Er war von einer unaufdringlichen Höflichkeit, und sie mußte über seine fröhlichen Worte sogar ein wenig lächeln. Es gefiel ihr, daß er ihr keine plumpen Komplimente machte und auch sonst in keiner Weise versuchte, zudringlich zu werden.

      Am nächsten Tag wurden Blumen und Früchte für Mrs. Waite abgegeben; auf der Begleitkarte stand in flüssigen Zügen der Name Tony Perellis.

      »Er ist außerordentlich einflußreich«, sagte die Frau des Mechanikers, die völlig atemlos vor Aufregung und Neugier war. »Er hat eine der teuersten und kostbarsten Wohnungen in ganz Chicago, ein Landhaus und ich weiß nicht wieviel Autos. Das ist einer von den wirklich großen Alkoholschmugglern – und was der alles auf dem Kerbholz hat, geht auf keine Kuhhaut.«

      Auch jetzt war Minn Lee durchaus nicht empört und bestürzt; es gab viele Leute, die seltsame Dinge taten, und schließlich schien ihr in ihrer einfachen Vorstellungsweise Alkoholschmuggel noch viel anständiger als manches, was sie in ihrer Umgebung hatte sehen müssen.

      Als sie Tony Perelli zum dritten Mal traf, war es bei einem Besuch, den er bei ihr machte. Ihr Mann schlief gerade, und sie fühlte sich etwas unbehaglich, als sie Perelli in das kleine Wohnzimmer führte.

      »Er schläft? Das ist gut. Ich war eben bei Ihrem Arzt; er sagte, daß Ihr Mann ans Meer gehen müsse. Die salzhaltige Luft würde ihm guttun. Das sollte ja auch mein alter Freund Peter machen – aber der ist zu eigensinnig und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um nur hier im Haus bleiben zu können. Mrs. Waite, ich möchte nicht aufdringlich sein – aber wenn es nur eine Geldfrage ist ...«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Nein, Mr. Perelli, wir können das Geld von Ihnen nicht annehmen. Auf ehrliche Weise könnten wir es doch nicht zurückzahlen.«

      Eine Woche später starb John Waite. Sein Ende war ruhig und friedlich. Minn Lee ließ ihn beerdigen und erklärte auf der Polizeiwache, auf der sie den Todesfall meldete, warum ihr Name nicht auch Waite lautete. Sie tat alles, was geschehen mußte, verhältnismäßig gefaßt, zahlte die dringendsten Schulden und teilte seiner Mutter mit, daß er gestorben sei. Dann machte sie sich daran, Arbeit zu suchen. Eigentlich hätte das für ein junges Mädchen, das sein Examen auf der Columbia Universität bestanden und früher schon dreißig Dollar in der Woche durch Modezeichnungen verdient hatte, nicht weiter schwer sein dürfen. Aber sie wählte vorerst einen anderen Weg und schrieb an den Inhaber eines Chinesenrestaurants, in dem Kellnerinnen gesucht wurden. Aber noch bevor sie Antwort erhielt, kam Mike Leeson und machte ihr einen Vorschlag.

      Inzwischen war auch der alte Italiener gestorben, und Tony Perelli hatte ein glänzendes Begräbnis für ihn arrangiert. Als er nach der Beerdigung am Abend in die Wohnung des Musikers kam, um sich aus dem Eigentum seines alten Freundes einige Erinnerungen mitzunehmen, erschien zur gleichen Zeit Mike in der Wohnung Minn Lees. Niemand hatte Perelli gesehen, als er das Haus betrat, denn er war zu Fuß gekommen, selbstverständlich eskortiert von seiner Leibwache. Als er an Minn Lees Tür vorüberging, blieb er einen Augenblick stehen und lauschte.

      An diesem Abend gab es wieder einmal ziemlich viel Lärm im Haus. Im zweiten Stock übte der Pole Laski auf seinem Schlagzeug; ab und zu packte ihn der Ehrgeiz, die Weltmeisterschaft im Trommeln zu gewinnen.

      In Minn Lees Wohnung wehrte sich die kleine Chinesin verzweifelt gegen Mike Leeson, der sie an sich zog ...

      Leeson besaß den Instinkt eines Wilden; seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man Frauen am besten durch blindes Drauflosgehen besiegen konnte.

      »Schatz, verlaß dich auf das, was ich dir sage! Du wirst es bestimmt nicht schlecht bei mir haben ...!«

      Sie leistete ihm energisch Widerstand und versuchte verzweifelt, sich loszureißen. Tony Perelli hörte ihre erstickten Schreie und drückte auf die Türklinke. Die Tür war nicht verschlossen, und er trat ein.

      »Was haben Sie hier zu schaffen, Sie Strolch?«

      Mike schäumte vor Wut über die Störung und sah Perelli mit einem haßerfüllten Blick an.

      »Scheren Sie sich 'raus!« Tony Perellis Stimme klang hart und kühl.

      »Ich gehe erst, wenn es mir paßt – vor einem sizilianischen Affen reiße ich nicht aus!«

      Leeson holte zu einem wuchtigen Schlag aus, traf Perelli aber nicht. Dann hörten die Hausbewohner ein Geräusch, als ob der musikbegeisterte Pole noch lauter auf seine Trommel schlage. Das war alles – Tony, der die rauchende Pistole schußbereit hielt, brauchte nicht zum dritten Mal zu feuern. Leeson hatte genug. Eine Sekunde lang klammerte er sich noch an das Bett, dann sank er lautlos zu Boden.

      Minn Lee sah von dem Toten zu Tony.

      »Nehmen Sie Ihren Mantel und kommen Sie mit.«

      Wenn Perelli etwas befahl, klang es niemals wie eine Bitte. Sie gehorchte ohne Zögern und ging mit ihm. Wegen Mike Leeson machte er sich keine Sorgen; seine Leute würden diese Sache erledigen, wie es üblich war. Es würde keinen Spektakel geben – wahrscheinlich fand später irgendein Chauffeur den Toten draußen im Schnee, und die Zeitungen brachten eine lakonische Meldung, daß wieder ein Gangster von seinesgleichen erschossen worden war. Damit war die Sache erledigt.

      Es dauerte nicht lange, dann war Minn Lee in Tonys Wohnung heimisch geworden, und man hatte sich daran gewöhnt, sie Mrs. Perelli zu nennen.

      2

      Von dem Dachgarten mit der venezianischen Balustrade konnte Tony Perelli die ganze Stadt überblicken, in der er der ungekrönte König der Alkoholschmuggler war. Und er liebte sein Königreich Chicago. Endlose Reihen von Autos brachten seine Untertanen täglich zur Arbeit; denn jeder, der an irgendeinem versteckten Plätzchen seiner Wohnung Alkohol lagerte, gehörte zu seinen Untertanen.

      Es verstieß gegen das Prohibitionsgesetz1, Alkohol herzustellen oder zu


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