Das Steckenpferd des alten Derrick. Edgar Wallace

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Das Steckenpferd des alten Derrick - Edgar Wallace


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»lasse ich Ihnen hier. Er gehört zur Haustür; für den Fall, daß Sie spazierengehen wollen.«

      Der Mann verabschiedete sich, und Dick befand sich allein in dem großen Haus. Er kleidete sich aus und legte einen bequemen Schlafanzug an. Halb unbewußt schob er den ihm zurückgelassenen Hausschlüssel in die Jackentasche und trat auf den Balkon hinaus. Lange blickte er auf die Straße hinunter, bis er endlich durch leise fallende Tropfen aus seinem Nachsinnen herausgerissen wurde. Erstaunt blickte er zum Himmel empor, der sich mit tiefhängenden Wolken dicht überzogen hatte. Im selben Augenblick erscholl auch schon ein heftiger Donnerschlag, und das freundlich scheinende Licht aus seinem Schlafzimmer war wie ausgewischt. Durch die Erschütterung hatte sich der Keil, der nur behelfsmäßig den Rolladen offenhielt, aus der Laufrinne gelöst, und der Laden war zugefallen. Damit war dem Ausgeschlossenen der einzige Rückweg in das Zimmer versperrt. Alle Bemühungen Dicks, den Laden wieder zu öffnen, blieben vergeblich. Der Regen war inzwischen immer heftiger geworden, und Dick war nach wenigen Minuten bis auf die Haut durchnäßt. Tief unter ihm lag öde und leer der Platz; nirgends eine Menschenseele, die er hätte zur Hilfe herbeirufen können! Nur das einsame Schlusslicht eines Autos leuchtete von unten herauf. Da Staines keine Lust hatte, die ganze Nacht im Regen zu verbringen, blickte er sich nach einem Ausweg um. Am Nebenhaus, das, wie er wußte, Mr. Derrick gehörte, zog sich ein gleicher Balkon hin wie der, auf dem er sich befand. Etwa zwei Meter unüberbrückter Zwischenraum trennte die beiden Balustraden voneinander; keine zu große Entfernung, doch unüberwindlich genug, da darunter das harte Asphaltpflaster des Lowndes Square lag. Aber was half es? Er mußte versuchen, aus diesem Dilemma herauszukommen. Obwohl Staines, sportgestählt, wie er war, Schwindelanfälle nur dem Namen nach kannte, wollte ihm doch das Herz stocken, als er am Haussims entlang die kurze, aber gefährliche Kletterpartie zum Balkon des Derrickschen Hauses begann. Als er endlich schweratmend auf dem Nebenbalkon stand, schien es ihm, als hätte er eine meilenweite Kletterpartie hinter sich.

      Auch von diesem Balkon aus führten verschiedene Fenstertüren in das Hausinnere, und zu Dicks Freude stand eine offen. Er trat in den dahinterliegenden Raum, der wohl Bürozwecken diente, denn auf einem Schreibpult stand eine Schreibmaschine. Ein an der Wand hängender Abreißkalender wies verschiedene Notizen auf, die von der Sekretärin Derricks stammen mochten. Auch die Tür nach dem Treppenhaus war unverschlossen. Es lag jedoch in tiefstem Dunkel, und erst nach langem Suchen entdeckte der Eindringling den Lichtschalter. Kurz darauf verbreitete die Deckenbeleuchtung genügend Helligkeit, um Dick seinen Weg nach unten finden zu lassen. Er hatte die Absicht, durch die vielleicht nur verriegelte Haustür des Derrickschen Hauses auf die Straße und von da durch die Tür zu Wealds Haus, dessen Schlüssel er rein zufällig zu sich gesteckt hatte, wieder in sein eigenes Zimmer zu gelangen. Zu seinem Schrecken war jedoch die Haustür nicht nur verriegelt, sondern auch verschlossen, so daß er sich jetzt in der unangenehmen Lage befand, Gefangener in einem fremden Haus zu sein. Nach einem andern Ausweg suchend, begab er sich ins Kellergeschoss, in der leisen Hoffnung, wenigstens den Lieferanten- und Dienereingang offen zu finden. Zu seinem Erstaunen brannte im Kellergeschoss über einer Tür eine Lampe, und als er nun die Tür öffnete, befand er sich in Derricks Garage, in der ein einziger Wagen stand. Mit raschem Blick vergewisserte sich Dick, daß dessen Tanks wohlgefüllt und der Wagen fahrbereit war. Dick trat wieder auf die kleine Diele hinaus und öffnete eine zweite Tür, auf deren Schwelle er wie vom Blitz getroffen stehenblieb.

      Der Anblick, der sich ihm bot, genügte, um auch einen noch unerschrockeneren Menschen zu verblüffen: Auf dem Fußboden lag ein gefesselter und geknebelter Mann, über den sich eine elegant gekleidete Dame beugte und seine Taschen durchsuchte. Etwas abseits auf einem Stuhl lag, achtlos hingeworfen, ein kostbarer Pelzmantel, augenscheinlich das Eigentum der Dame. Auf der Tischplatte aber lag eine kleine blinkende Schusswaffe. Erst als Dick, von dem Anblick überrascht, einen Schritt näher trat, hörte ihn die Frau und blickte erschrocken auf.

      »Mein Gott!« entfuhr es Staines.

      Die schöne Frau, die eben damit beschäftigt gewesen war, einen gefesselten und geknebelten Mann zu durchsuchen, war – Mary Dane.

      3

      Nicht die geringste Bewegung verriet, daß sie Dick wiedererkannt hatte. Nur Furcht und Haß spiegelten sich in ihren Augen wider.

      »Mary Dane?« fragte Dick, und seine Stimme klang wie geborstenes Glas.

      Das Mädchen stand wie aus Stein gemeißelt; nur die Hand schlich sich langsam der auf dem Tisch liegenden Pistole näher. Ehe sie aber die Waffe erreichen konnte, verlosch plötzlich das Licht. Dick wollte sich auf das Mädchen stürzen, um es festzuhalten, als er selbst sich von hinten erfaßt und zu Boden geworfen fühlte. Während er sich bemühte, schnell wieder auf die Füße zu kommen, hörte er hinter sich die Küchentür und gleich darauf die Haustür zuschlagen. Endlich hatte er sich wieder soweit gefaßt, um den Flüchtenden nachzueilen. Aber sie waren wie vom Erdboden verschwunden, und nur das fortwährende Auf- und Zuschlagen der Haustür, die sich in der Zugluft bewegte, verriet ihm den Weg, den sie eingeschlagen hatten. Auch auf der Straße war von ihnen weit und breit keine Spur mehr zu sehen. Langsam begab sich der Inspektor wieder zu dem Gefesselten zurück und befreite ihn rasch von den Fesseln.

      Der Befreite erholte sich zusehends.

      »Ich bin Larkin, Sir«, stellte er sich vor. »Mr. Derrick hat mich als Wächter seines leerstehenden Hauses engagiert.« Er schien sich des Aufzuges seines Befreiers erst jetzt bewußt zu werden, denn er starrte Dick verwundert an: »Ja, ich bin den ganzen Tag hier und gehe nur abends kurz vor dem Essen ein wenig an die Luft, niemals aber so weit, daß ich nicht die Haustür im Auge behalten könnte. Es kann niemand, ohne von mir gesehen zu werden, ins Haus.«

      Auf dem Tisch standen die Überreste eines einfachen Abendessens und eine halbgefüllte Bierflasche. Auch ein Glas mit einem Rest des Getränkes war vorhanden. Dick blickte nachdenklich auf die Gefäße.

      »Hatten Sie das Glas schon vor Ihrem üblichen Abendspaziergang gefüllt oder erst nach Ihrer Rückkehr?« fragte er den Mann.

      Larkin schüttelte jedoch zweifelnd den Kopf.

      »Das kann ich Ihnen wirklich nicht genau sagen, Sir. Ich glaube, ich habe das Bier erst nach meiner Rückkehr eingeschenkt.« Er griff nach dem Gefäß, um einen Schluck zu nehmen. Aber Staines fiel ihm in den Arm.

      »Lassen Sie das Glas stehen, Larkin,« warnte er ihn. »Man hat Ihnen offenbar ein Schlafmittel ins Bier geschüttet. Kannten Sie das Mädchen? Hat man Ihnen etwas gestohlen?«

      Der andere griff suchend in die Tasche, der er eine lederne Brieftasche und einen Schlüsselbund entnahm. Aufmerksam prüfte er den Inhalt der Tasche nach. Dann sagte er: »Nein, mir fehlt nichts; es ist alles noch, wie es war. Und die Dame – nein, ich kenne sie nicht; sie fesselte mich ja auch nicht, sondern ihr Begleiter.«

      »Ein Begleiter?!« rief Dick verwundert aus. »War denn auch der Mann mit hier?«

      »Gewiß. Als man mich fesselte, bin ich einen Augenblick aus meiner Betäubung erwacht und sah die beiden zusammen, während sie sich über etwas unterhielten.« Er beschrieb den Einbrecher als von hagerer Gestalt und hellblonder Haarfarbe. Dick mußte unwillkürlich lächeln, als er die verwunderten Blicke bemerkte, die der nun wieder mißtrauisch gewordene Wächter auf seinen triefenden Schlafanzug warf.

      »Ich wohne nebenan bei Lord Weald«, klärte er ihn endlich auf. Dann berichtete er, wie er in diesem Aufzug in ein fremdes Haus gelangt war. Als er die Neugierde Larkins befriedigt hatte, setzte er die unterbrochene Untersuchung des Raumes fort, ohne jedoch bemerkenswerte Feststellungen machen zu können.

      »Sie haben doch Telefon im Haus, nicht wahr?« wandte er sich an den Wächter. »Gut, benachrichtigen Sie also die Polizei und rühren Sie hier nichts an.«

      Er selbst trat durch die noch immer offenstehende Haustür auf die von Nässe spiegelnde Straße hinaus und befand sich wenige Augenblicke später wieder in Lord Wealds Haus. Nach einem heißen Bad kleidete er sich völlig an und ging wieder ins Freie. Vor dem Tor des Nebenhauses sah er jetzt ein Motorrad stehen. Die Polizei war eingetroffen.

      Was sollte er nun


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