SCHNELL, ERBARMUNGSLOS, RELATIV: DIE ZEIT. Dominic D. Kaltenbach

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SCHNELL, ERBARMUNGSLOS, RELATIV: DIE ZEIT - Dominic D. Kaltenbach


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dass die Sonne stehen bleibt oder gar für immer verschwindet. Für Platon (ca. 427 v. Chr. bis ca. 347 v. Chr.) ist das Veränderliche, sinnlich Wahrnehmbare ohnehin nur das Abbild des ewig gleich bleibenden „Seienden“. Letzteres lässt sich in den meisten Fällen zwar nur durch Vernunft erkennen, es gibt jedoch auch den Glücksfall, dass sich Abbild und wahrhafte Wirklichkeit sehr dicht aneinander annähern. Wiederholt sich etwas offensichtlich immer wieder, so darf dies als unverstellter Blick auf die „Welt des Seins“ verstanden werden. Der sich in harmonischen Zahlenverhältnissen darstellende Bahnenlauf der Himmelskörper, zum Beispiel, deutet nicht weniger als die Perfektion der Schöpfung an. Auch die Zeit ist mit dieser sichtbaren kosmischen Zahlenstruktur untrennbar verbunden. Sie lässt sich an den Umläufen der Sonne, der Planeten und dem Erdtrabanten als Tage, Nächte, Monate und Jahre ablesen, aber nicht ihrem Wesen nach erkennen. Das Messbare besteht lediglich in den berechenbaren Umläufen auf die sich die Zeit bezieht. Sie selbst bezeichnet jedoch das unendlich Ganze, bestehend daraus, was war, was ist und was sein wird. Das „Weltenjahr“ endet, wenn alle Himmelskörper wieder an der identischen Stelle angelangt sind. Dann verbrennt alles zu Schutt und Asche und kann wieder von vorne beginnen. Vor diesem Hintergrund bedarf es der beruhigenden Ergänzung, dass das Werdende natürlich nicht mehr als eine Vermutung darstellt. Selbst das Wahrscheinliche bleibt mit der Wahrheit nur verwandt.

      Eher wutentbrannt führt Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) bereits die Auffassung ad absurdum, dass die Zeit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestehe. Wenn dies so wäre, bestünde sie aus nicht existierenden Teilen. Das Vergangene dauerte zwar einmal, es ist jedoch bereits vorbei. Das Zukünftige, das versteht sich von selbst, kann noch nicht sein. Weil nun aber die dreigliedrige Zeiteinteilung bereits vollständig ist, bleibt nur die Gegenwart. Diese existiert tatsächlich - sie dauert aber nicht. In dem Moment, in dem das, was noch nicht ist, wird, ist es auch schon wieder vorbei. Hätte die Gegenwart eine Dauer, so die von Aristoteles ausgemachte Problematik, wie wollte man dann den Übergang von einer Gegenwart in die andere abgrenzen? Ohne eine solche Wechselstelle würde wiederum alles immer gleichzeitig geschehen. Widerlegend lassen sich jedoch mit Leichtigkeit Unterschiede anführen, die vorher so und nachher anders waren. Allenthalben ist ein Fortgang zu beobachten, der offensichtlich abgrenzbare Positionen aufweist. Irgendetwas bewegt sich immer. Dinge entstehen, vermehren oder verringern sich, werden besser oder schlechter oder verändern einfach nur ihren Aufenthaltsort. Entsprechend spielt die Bewegung in der Aristotelischen Welt eine entscheidende Rolle. Steht beispielsweise auf dem Weg zur Erreichung des Möglichen die Frage nach dem aktuellen Entwicklungsstand im Raum, ist die Antwort einfach: Es bewegt sich. Angetrieben wird das Ganze durch die Seele. Wie jeder weiß, besteht der Mensch aus dem ausführenden Körper und dem veranlassenden seelischen „Lebensprinzip“. Die oberste „Seele“, d.h. der unbewegte Motor von Himmel und Natur, ist identisch mit dem ewigen, vollkommenen „Gott“. Ohne Bewegung gibt es keine Zeit. Ohne Zeit könnte allerdings auch nichts bewegt werden. Jede gegenwärtige Veränderung muss schließlich in der Zeit stattfinden. Anderenfalls ergäbe sich kein Abstand zwischen „Früher“ und „Später“. Dieser vermeintliche Widerspruch löst sich umgehend auf, wenn berücksichtigt wird, dass die Zeit das ist, was die Seele an der Bewegung zählt.

      Bekanntermaßen gingen die Griechen davon aus, dass ihre Götter alles können. Eines trauten sie ihnen jedoch offensichtlich nicht zu - das Zählen. Arithmetische Fähigkeiten erlangt die Seele nämlich nur dann, wenn sie sich in einem konkreten Subjekt befindet. Damit jedoch nicht jeder Freigeist jede Bewegung nach seinem eigenen Gusto zählt, gibt es die Verbindung mit dem Umlauf der Gestirne. Die Einheitlichkeit der Zeit ist nach dieser himmlischen Vollkommenheit geeicht. Die zutiefst beleidigten Götter taten, was unbewegliche Unruhestifter mit Vorliebe tun: Sie drohten mit einem Generalstreik. Allerdings hatten sie ihre Stellung im Aristotelischen Gefüge überschätzt. Die Zeit benötigt keine konkrete Veränderung. Es reicht völlig aus, wenn die Möglichkeit einer Bewegung besteht. Sie braucht nicht einmal die konkret zählende menschliche Seele. Auch hier reicht die reine Anlage. Sobald eine Entwicklung potentiell in Phasen nach früher und später geordnet werden kann, liegt bereits eine minimalistische Zeit vor. Wie soll also etwas zum Gegenstand eines Arbeitskampfes werden, das isoliert kein eigenes Dasein fristet und sich zugleich mit schlichten Potentialitäten zufrieden gibt? Zeit ist, das hätten die Streikenden vorab bei Aristoteles nachlesen können, nicht mehr als ein echt erscheinendes Bezugssystem für alles Bewegliche in der ewig währenden Welt.

      Mit einem Ausstand der Götter braucht seit der Niederkunft in Betlehem im Jahre 0 nicht mehr gerechnet zu werden. Eine solche Zeitverschwendung wäre dem Dreieinigen sicherlich zuwider. Die ihm bzw. seinem Bodenpersonal geschuldete Rechenschaft über die Zeitnutzung motiviert den Gläubigen zu einem ausdauernd demütigen, gottgefälligen Leben. Zur Erleuchtung gelangt der Christ nur durch den Herrn. Aristoteles war dagegen, in völliger Selbstüberschätzung und Verleugnung seines Lehrers Platon, davon überzeugt, dass der grundsätzlich Vernunftbegabte durch eine fokussierte Betrachtung ganz gut alleine erkennen kann, was die Wirklichkeit so hergibt. Trotz prädestinierter Abstammung, bei seiner Mutter handelt es sich immerhin um die heilige Monnica (ca. 332 bis 387), scheint Augustinus anfänglich voll und ganz im antiken Teufelskreis gefangen gewesen zu sein. So setzt auch er bei dem Problem an, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eigentlich nicht existieren und dennoch eine Ordnungsfunktion erfüllen. Er selbst berichtet zwar von einem mystischen Erlebnis, sehr wahrscheinlich war es jedoch seine strenge Mutter, die ihn auf „Linie“ brachte. Jedenfalls richtet Augustinus seine Suche schließlich und endlich an der göttlichen Ewigkeit aus. Gott, der Schöpfer der Welt und Vorsitzender am Jüngsten Gericht, ruht allgegenwärtig gänzlich außerhalb der Zeit. Alleine der aus dem Paradies vertriebene, sündige Mensch ist ihrer bedrängenden Wirkung ausgeliefert. Basierend auf diesem Ansatz erfindet Augustinus nicht nur die „Erbsünde“, er kommt auch auf die Idee, dass die Zeit in der Psyche der Menschen zu suchen sein müsste. Nirgendwo außerhalb des Bewusstseins kann Vergangenes als Erinnerung und Zukünftiges als Erwartung in gegenwärtige Erfahrung zusammengeführt werden. Entsprechend bezieht sich Länge auch nicht auf die Zeit selbst. Was subjektiv länger oder kürzer dauert ist das Gedächtnis an etwas Geschehenes bzw. die Sehnsucht nach etwas Gewünschtem. Auch der Eindruck einer fließenden Zeit entsteht ausschließlich im menschlichen Geist. Mit der Ablehnung einer Veranschaulichung an der Bewegung der Gestirne bleibt die irdische Suche ergebnisoffen.

      Während Augustinus also demütig unwissend auf das göttliche Geschenk der Erleuchtung wartet, sind die einfachen Gläubigen erst einmal bei ihrem heidnisch zyklischen Zeitverständnis abzuholen. Stellt sich selbigen doch die ebenso ignorante wie dümmliche Frage, womit sich der heilige Geist eigentlich vor der Erschaffung der Welt beschäftigt hat. Entsprechend blasphemisch ist auch deren Umgang mit der von Gott geschenkten Zeit. Die verbreitete Vorstellung eines von Sonnenaufgang bis zur abendlichen Dämmerung durchgängig hart arbeitenden Bauern scheint jedenfalls nicht dem Bußverständnis dieser einfachen Leute entsprochen zu haben. Natürlich blieb für die zu erledigende Arbeit nur der helllichte Tag, einem erholsamen Schläfchen zwischendurch war man deshalb jedoch nicht unbedingt abgeneigt. Es ist zwar nicht anzunehmen, dass das Tagwerk unter diesem Arbeitsverständnis nennenswert gelitten hätte, ein gottesfürchtiges Schuften bis an die körperlichen Grenzen dürfte jedoch eher theoretischen Ansichten entsprungen sein. Diesen Tagträumern war auch nicht beizubringen, dass die Natur weder von grausigen Gestalten noch von dunklen Mächten bevölkert wird. Deren allgegenwärtige Gefährlichkeit hatte in der Volksfrömmigkeit einen weit prominenteren Platz als der christliche Gott. Wenn die Zukunft im Alltag schon kaum über die sich wiederholenden Jahreszeiten hinaus reicht, hält sich nachvollziehbarerweise auch die praktische Sorge um das ewige Seelenheil in Grenzen. Selbst bei den einfacheren Männern der Kirche soll die heilige Messe nicht unbedingt zur gottgefälligen Zeitverwendung erster Wahl gehört haben. Trotz unbeirrter Berichte über ein damals vorfindbares tiefgläubiges Leben in der Hoffnung auf Erlösung, stand die Kirche vor einem entscheidenden Problem. Die händeringend nach Orientierung Suchenden taten buchstäblich einen Teufel, sich nach den Vorstellungen der Kurie zu richten. Bereits in den behäbigen Zeiten der Geduld und des Abwartens entstand somit die Wunderwaffe der Öffentlichkeitsarbeit: Penetrante Präsenz. Ihr legt euch tagsüber schlafen? So ein Zufall, wie der heilige Benedikt von Nursia (ca. 480 bis 547) feststellt. In den langen Sommertagen entspricht eine mittägliche Ruhepause durchaus der rücksichtsvollen göttlichen Vorsehung. Ihr huldigt


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