Berliner Miniaturen. Attila Schauschitz

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Berliner Miniaturen - Attila Schauschitz


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Künste im ehemaligen Westberlin – abgesehen von der bei Toten ungewöhnlichen Körperhaltung – ziemlich genau gerecht.

      Moores Akt verbirgt, wenn auch keine erotische, so doch eine gewisse intellektuelle Spannung gegenüber den oft gesehenen, für manche vielleicht schon zu langweiligen und harmonischen Darstellungen der Frauenkörper. Die Frage drängt sich auf: Warum sieht sie so aus?

      Stellten wir der Skulptur selbst die Frage, würde sie womöglich antworten: Ich bin ein modernes Kunstwerk und will weder schön noch selbstverständlich sein. Genauso wenig möchte ich vollendet und abgeschlossen daliegen, also etwas darstellen, was nicht oder nur äußerst selten existiert. Man könnte annehmen, ich würde einfach nur so unter der Sonne dahin schmelzen, doch die Sache ist komplizierter. Ich spreche davon, dass das Leben unvollendet, hässlich und verstümmelt ist, und was meine Gliedmaßen angeht, kann ich dem ungarischer Schriftsteller nur beipflichten, der schrieb: Alles beginnt bei den Beinen, das Böse greift zuerst dort an. Und der Beobachtung dieses Prozesses an uns selbst kann nur der Tod ein zweifellos wohltätiges Ende bereiten.

      Ich verstehe ja, dass Sie bei all den Problemen, die Sie haben mögen, nicht auch noch solche Dinge ungebeten ins Gesicht gesagt bekommen wollen. Deshalb habe ich ein gewisses Verständnis für die Körperverletzungen, die man uns zufügt, denn – wie Dario Gamboni so treffend schrieb – »vor allem im öffentlichen Raum übten die Skulpturen eine symbolische Gewalt aus, der die physische Gewalt der Ikonoklasten antwortete«.

      Ich kann sogar nicht ausschließen, dass die Zerstörung das Werk geradezu vervollkommnet, denn sie führt in diesem Fall die vom Künstler beabsichtigte Unvollständigkeit zu Ende. Deshalb gefiel mir der Hammer, den der Künstler bei einer Parkausstellung in Biel 1980 neben seine Arbeit legte. Er forderte die Zuschauer auf, ihren Instinkten freien Lauf zu lassen und das Werk sozusagen zu beenden. Die traurige Pointe der Geschichte war, dass man den Hammer geklaut und ihn bei Skulpturen eingesetzt hatte, für die er nicht vorgesehen war.

      J. W. Wutschetitsch, J. S. Belopolski

       Sowjetisches Ehrenmal, 1949

       Treptower Park

      Der Soldat in Treptow

      Wenn unsere Gedankenwelt damals, im – nach eigener Auskunft – fortschrittlichsten Gesellschaftssystem der Welt, nicht durch die eventuell reaktionäre Einstellung unserer Eltern geprägt war, mussten doch unsere Herzen der erste Hund im Weltraum, Laika, der erste Mensch ebenda, Genosse Gagarin, sowie die heldenhaften Befreier der Roten Armee erwärmen.

      Näherte man sich vom Westen her Budapest, stand ein paarhundert Metern vor der Stadt lange Zeit die Statue des im Zweiten Weltkrieg den Märtyrertod gestorbenen russischen Soldaten Ostapenko. Einen so großen, elf Meter hohen Helden, wie er im Treptower Park steht, sah jedoch kein Ungar in Ungarn. Und nach der großen Säuberung von den kommunistisch deklarierten Denkmälern sieht er nicht einmal mehr den Ostapenko.

      In Treptow ist nicht nur der Soldat überwältigend, sondern auch der riesige Grabhügel ihm zu Füßen für Tausende von Gefallenen mit einer Reihe von Sarkophagen auf beiden Seiten mit Darstellungen des Kampfes gegen den Faschismus und Stalin-Zitaten. Zwei ebenfalls monumentale Fahnen aus rotem Granit mit dem Motiv Sichel und Hammer runden die Gedenkstätte ab. Das gigantische Mahnmal steht immer noch und wurde zuletzt kostenaufwendig restauriert, weil am Ende Gorbatschow nur noch eine einzige Bedingung für seine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung stellte: die Aufbewahrung und Pflege der sowjetischen Denkmäler.

      Otto Grotewohl erwies sich also bei der Einweihung des Denkmals im Jahre 1949 als Hellseher, indem er sagte: »Auch wenn einmal der letzte sowjetische Soldat den deutschen Boden verlassen hat, werden wir diese Gedenkstätte als ein Mahnmal des Friedens in unseren Schutz nehmen.«

      Und während wir darüber nachsinnen, wie die Befreier die Freiheit mit Füßen traten, müssen wir nicht unbedingt klären, warum uns die Aufschrift im Mausoleum unter der Statue – »... rettete die europäische Zivilisation vor den faschistischen Pogromhelden ...« – so berührt. Ist die Bedeutung dieser historischen Tatsache so erschütternd? Trauern wir um die Toten? Oder stimmt es uns so melancholisch, nie mehr mit den Helden des Weltalls, der Hündin Laika und dem Genossen Gagarin mitfiebern zu können?

      Gunter Demnig

       Stolpersteine

       Barbarossastraße

      Stolpern in Berlin

      Dass die authentische Jahreszeit Berlins der Herbst ist, steht hier als Axiom. Der Weg vom grünen Gewand des Laubes zu der Nacktheit des Winters. Die Zeit, da es unablässig regnet. Wenn in den Nebenstraßen das seltsame Licht und die besondere Farbe der Stadt aufleuchten. Das Geheimnis Berlins ist der Katzenkopfstein. Nicht die schwarz glänzende, sondern die verschwommene, in Braunschattierungen flimmernde Straße. Straßenlaternen zeichnen Lichthöfe in die dunklen Töne hinein, die Schaufenster bilden Pfade. Und der Gehsteig schlägt Wellen.

      Ansonsten liegen auf der Straße ungewöhnlich viele Menschen auf den Knien. Die Stadt pocht von Hammerschlägen. Der Berliner Straßenarbeiter wird nicht in den Dampf von Teer gehüllt, sondern passt winzige Katzenkopfsteine in hoffnungslosem Eifer einander an.

      Es gilt auch noch jener Gehweg als genehm, in dessen Mitte sich ein Streifen von großen und breiten oder kleineren und quadratischen Steinplatten befindet. Wichtiges Kriterium ist, dass der Belag holprig und uneben ist, sodass das Stolpern wahrscheinlich wird. Schuhe mit spitzem Absatz sind hier fehl am Platz. Straßen mit betoniertem Gehsteig sind sofort zu verlassen, sie haben in dieser Landschaft keine Daseinsberechtigung.

      Auf dem Gehweg können auch das persönliche Gewissen und das nationale Selbstbewusstsein stolpern, wenn sie durch die Zeit zu sauber gefegt wurden. Vor den Hauseingängen liegen zehnmal zehn Zentimeter große Kupferplatten. Auf ihnen Namen und Jahreszahlen: geboren, gewohnt, verschleppt, ermordet. Viele kleine Grabmale für die Opfer des Nationalsozialismus vor ihrem letzten Wohnsitz.

      Der Initiator des Projektes, Gunter Demnig, erhielt im Jahr 2000 in Köln die erste offizielle Genehmigung, auf öffentlichem Boden Stolpersteine verlegen zu dürfen. Diese Steine in deutschen Städten, besonders in Berlin, wo es inzwischen etwa viertausend gibt, sind nur denjenigen nicht bekannt, die niemals vor ihre Füße blicken. Ein Sonderfall ist München, wo dank dem Widerstand des Stadtrates und der jüdischen Gemeinde solche Erinnerungssteine nur auf privaten Grundstücken liegen dürfen. Die Entscheidung geht wohl auf das nicht sehr tiefsinnige Argument Charlotte Knoblochs, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zurück, die es »unerträglich« fand, dass auf den Namen ermordeter Juden mit Füßen »herumgetreten« werde.

      Die Stolpersteine fanden inzwischen in ganz Europa Verbreitung, von Norwegen bis Ukraine, und ihre Zahl hat sich auf siebenunddreißigtausend erhöht. Damit wurden sie zum größten dezentralen Denkmal für die Verfolgten des Nationalsozialismus. In dieser Hinsicht gibt es auch etwas Erfreuliches aus Ungarn zu berichten – wenngleich es auch länger zurückdatiert. Die erste Ausstellung über das Projekt wurde in Budapest 2007 unter der damaligen sozialliberalen Regierung eröffnet. Ungarn, das sonst abgeneigt ist, sich seiner Vergangenheit in der Zeit der Judenverfolgung zu stellen, gehörte mit Österreich zu den ersten Ländern nach Deutschland, in denen Stolpersteine verlegt wurden.

      Adam und Sigisbert Michel

       Karl Christoph Graf von Schwerin, 1769

       Zietenplatz

      Johann David d.J. und Lorenz Wilhelm Röntz

      


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