Berliner Miniaturen. Attila Schauschitz

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Berliner Miniaturen - Attila Schauschitz


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und richten sich auf. Sie sind getrennt und bleiben doch zusammen. Kommen irgendwoher und bemühen sich irgendwohin. Ihre Existenz ist nicht zu leugnen.

      Sind das die gleichen Rohre, die anderswo in der Stadt rosarot gestrichen herumstehen als graziöse Flamingos? Wäre das hier ihr wirkliches Ich, ihr unter der Erde verborgenes, unverhülltes, graues Gesicht? Dunkle Sehnsucht, gegenstandsloser Wille, ungeklärter Affekt? Plötzlich aufbrechendes Würgen?

      Ein Rohr drängt, drückt und umfasst das andere, und ist doch keines von ihnen vorbestimmt. Die einzige Illusion, den einzigen Schein, die einsame Funktion im allgemeinen Fehlen der Funktionalität bietet jenes Rohr, welches einen müden Wasserstrahl in einem Bogen herausbringt, der auch für einen Mann über fünfzig ausgesprochen beachtenswert wäre. Dieser Charakterzug der Pumpe ohne Eigenschaften hebt noch mehr die nirgendwohin führenden, gestutzten Enden, die grundlos geschweißten Bögen, die nicht funktionierenden Räder, die vergeblich ineinander greifenden Fügungen hervor.

      Letzten Endes besteht das Ganze aus Krämpfen, Zerrungen und Verrenkungen. Das Leben ist also wie ein Fußballspiel? Vielleicht ist das die Botschaft, die uns Paolozzi sendet.

      Gloria Priotti

       Endspiel, 1980

       Auguste-Viktoria-Klinikum

       Rubensstraße 125

      Fußmonolog

      Vielen Dank, es geht uns bestens, besonders weil wir noch Beine haben, von denen nicht etwa deshalb so wenig übrig geblieben sind, weil sie uns unterhalb des Knies abgesägt worden waren. Von da aufwärts existierten wir nur in der Fantasie, wir vertrauen darauf, dass man uns sich vorstellt. Das war eine gute Idee, so geworden zu sein, wie wir nun sind; es würde sich kaum lohnen, uns weiter zu verstümmeln, wie so viele unserer Gefährten in den Straßen und Plätzen der Stadt.

      Wir haben ohnehin keine Erwartungen mehr. Wie viel wurde dagegen von uns, modernen Kunstwerken, erwartet! In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als der öffentliche Raum mit fröhlichen Gestalten der Welt der Familie und der Arbeit – Menschen mit Menschen, Menschen mit Tieren und auch noch das Perverseste, Tiere mit Tieren – bevölkert war, erhoffte man sich von uns, »Harmonie, Glück und Würde« ins Leben der Menschen zu bringen. Nun, gerade das war es, wofür wir, die weder die Wirklichkeit kopieren noch nützlich oder moralisch,sondern nur frei und ohne äußere Einflüsse sein wollten, ganz sicher nicht geeignet waren.

      Unser stürmischer Ausbruch aus den Museen erfolgte zu Beginn der siebziger Jahre, als die Zeit reif genug schien, die Städte mit ihrer öden Architektur und ihren vom Wirtschaftswunder betäubten Bewohnern durch zeitgenössische Kunst zu beleben und wachzurütteln. Ich möchte festhalten, dass das Ganze nicht unsere, sondern deren Idee war, die sich unser angenommen hatten: Kunsthistoriker, Kunstmanager, Kunstliebhaber, Politiker.

      Martin Neuffer, Hannovers Oberstadtdirektor ließ 1970 die Forderung laut werden, die Menschen massenhaft mit moderner Kunst zu konfrontieren und eine Stadt zu schaffen, »die mit Kunstwerken aufgefüllt ist wie mit Bäumen«. Mit dieser Maßnahme hatte er sich »beträchtliche Auswirkungen auf das emotionale Verhalten der Bevölkerung« versprochen, und er sollte auch nicht enttäuscht werden: Nach dem Aufstellen der Plastiken von Niki de St. Phalle wurden die Zeitungsredaktionen mit Leserbriefen überschüttet, achtzehntausend Aufgebrachte unterstützten mit ihren Unterschriften den Protest, und die Beschädigung der Skulpturen war an der Tagesordnung.

      Es gab auch Konzeptionen, die raffinierter waren und nach denen zeitgenössische Kunstwerke, einmal in den öffentlichen Raum gestellt, als Gärmittel für die Geburt eines neuen Menschentypus herhalten sollten. Kunst sei dazu prädestiniert, »die Sicherheit einer konventionellen Erfahrungswelt immer wieder zu irritieren« und »zur Standortbestimmung und Modifizierung des eigenen Bewusstseins und der eigenen Verhaltensweisen beizutragen«. Das Kunstwerk sollte nicht weniger als – Verzeihung, aber ich zitiere ja bloß – »zum Initiator von praktischer Selbsttätigkeit und kritisch-emanzipatorischer Bewusstwerdung des Individuums werden«, und seine »humane Funktion bestünde gerade in der Sichtbarmachung des Spannungsfeldes zwischen der gegenwärtig existierenden und der Visualisierung einer möglichen zukünftigen Wirklichkeit«, um »auf diese Weise Kritik zu stimulieren und fraglose Anpassung zu verhindern«.

      So klang der Optimismus der 70er Jahre. Nach der unfreundlichen Aufnahme der Kunstwerke im öffentlichen Raum ließ sich die Frage in den 80ern nicht mehr umgehen: Haben zeitgenössische Werke draußen überhaupt etwas zu suchen, beziehungsweise kann es eine moderne Kunst geben, die mit den Bewohnern einer Stadt friedlich auskommt?

      Katharina Szelinski-Singer

       Trümmerfrau, 1955

       Park Hasenheide

      Fritz Cremer

       Aufbauhelferin, 1953

       Alexanderplatz (Rotes Rathaus)

      Aus Trümmern entstanden

      Die Arbeit ist die gleiche, die Einstellung ist grundsätzlich anders. Das Ostberliner Mädchen weiß, dass es eine neue, glückliche Zukunft aufbaut, die Frau aus Westberlin spürt, dass sie nur ihre weitere Ausbeutung vorbereitet. Das eigentliche Problem war allerdings ein anderes: das Kopftuch. Wo, nämlich, befindet sich der Knoten. Oben oder hinten. Modisch oder ländlich. Anders als in der künstlerischen Darstellung zog dies in Wirklichkeit eine Trennlinie zwischen den Berliner Frauen, die die Trümmer des Weltkrieges wegräumten, diese früh morgens beim Anziehen für die Arbeit sich gestellte Frage: Wo soll ich den Knoten binden?

      Die zum Begriff gewordenen Trümmerfrauen hätten bessere Denkmäler verdient als die Arbeit von Katharina Szelinski-Singer an der Hasenheide oder das Werk von Fritz Cremer vor dem Roten Rathaus, nahe dem Alexanderplatz. Mangels Männer schleppten sie, fünfzig- bis sechzigtausend Mädchen und Frauen, die Eimer, klopften die Ziegelsteine ab, schoben die Karren, aßen um Mittag Brot mit Margarine und Kunsthonig und beendeten ihren Tag nicht selten endgültig unter den einstürzenden Wänden. Ihre Prämie war 450 Gramm Fett monatlich anstelle von 210 Gramm für die nicht arbeitenden Frauen. Während die Skulptur Katharina Szelinski-Singers zumindest diese Anstrengungen zum Ausdruck bringt, gehört die Darstellung Fritz Cremers, einer der begabtesten Künstler unter den offiziell anerkannten Bildhauern in der DDR, zu seinen eindeutig propagandistischen Arbeiten.

      Die Frauen befreiten Berlin von fünf Millionen Tonnen Trümmern und bereicherten mit mehreren Hügelchen die Stadt. Von diesen wurden mehrere zu Bergen erklärt, so ist das hier: Es gibt – allen geografischen Gegebenheiten zum Trotz – überraschend viele Berge.

      Den Sieg im Wettbewerb zwischen künstlichen und natürlichen Erhebungen trug zuletzt, nach einem jahrzehntelangen Kopf an Kopf Rennen, ein Trümmerhaufen davon, der Teufelsberg gegenüber dem 115 Meter hohen Großen Müggelberg, nachdem er 1998 bei Bauarbeiten noch einmal aufgeschüttet wurde und sich damit auf 120 Meter erhöhte.

      Und der Berliner passt sich seiner Umgebung an: Er läuft schnaufend auf kaum spürbaren Steigungen und vertraut keinem Fahrrad mit weniger als zehn Gängen.

      Ingeborg Hunzinger

       Frauenprotest 1943 (1995)

       Rosenstraße

      Straße der Rosen

      Geht man in der Karl-Liebknecht-Straße spazieren, kann man die kleine Nebenstraße leicht übersehen und auch sonst keinen Grund haben,


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