Was zu beweisen wäre. Jürgen Heller

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Was zu beweisen wäre - Jürgen Heller


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      Gute Nacht ist gut, es ist gerade mal 17:00 Uhr und noch hell. Er zieht sich Schuhe an, die warme Steppjacke über, Schal, Mütze, Portmonee und schließt hinter sich ab. Irgendetwas schönes muss er heute noch erleben und wenn es ein gutes Essen und ein edler Tropfen ist. Als er nach unten kommt, sieht er durch den Türspalt zur Küche Licht. Er klopft vorsichtig an und das erste Schöne des Tages erscheint in Person der Wirtin Anna.

      "Grüß dich, Bruno, da bist du ja. Ich freue mich sehr, dich zu sehen."

      "Grüß dich Anna, die Freude ist auf meiner Seite."

      Er hat den Eindruck, sie ist noch hübscher als beim letzten Mal. Sie strahlt ihn an und freut sich wirklich. So kann man sich nicht verstellen. Sie umarmen sich und er genießt diese vertraute Berührung.

      "Magst du etwas trinken? Komm setz dich und erzähl, wie es dir ergangen ist."

      Er nimmt am Küchentisch Platz. Der ist voll mit Zeitschriften, einem Notizblock, nebst Kugelschreiber, einer leeren Kaffeetasse und ein paar Krümeln. Er liebt es, ist wie zu Hause.

      "Jetzt bist du wieder allein da, deine Carla werde ich wohl nie kennen lernen."

       Wer mir so alles gehört? Erst ist es meine Anna, jetzt meine Carla... in Wahrheit stehe ich mit leeren Händen da.

      Er erzählt die ganze Geschichte mit den verschollenen Eltern von Carla und ihrer Angst und ihrem Wunsch, ohne ihn, Bruno, sein zu wollen.

      "Das sind ihre Eltern, nach denen die suchen? Das wusste ich nicht. Es gibt seit gestern kein anderes Thema im Ort. Heute war den ganzen Tag der Hubschrauber aus Innsbruck unterwegs, aber so weit ich weiß, ohne Ergebnis. Mein Gott, das ist ja schrecklich. Ich würde an ihrer Stelle genauso reagieren. Du darfst ihr das nicht übel nehmen. Stell dir nur ihre Situation vor, es sind ihre Eltern."

      Anna hat Kaffee für sich und Bruno bereitet und nimmt ebenfalls am Küchentisch Platz.

      "Klar ist das schrecklich, keine Frage, aber ich kann auch nicht dafür. Und außerdem wissen wir ja gar nicht, was passiert ist. Solange man sie nicht findet, muss man die Hoffnung bewahren."

      "Ja, ja, das stimmt schon. Andererseits haben wir nachts noch empfindlichen Frost und wenn sie irgendwo verunglückt sind... Sie sind ja auch nicht mehr so jung, wenn ich das richtig weiß."

      Bruno fühlt sich ohnmächtig. Er würde ja gerne helfen aber wie? Was soll er denn tun? Er könnte Carla höchstens Trost spenden aber auf dem Gebiet ist er auch nicht gerade ein Meister und außerdem, so wie sich Carla ihm gegenüber verhält, auch nicht besonders motiviert.

      Anna greift zum Handy.

      "Ich rufe Robert an. Der darf zwar beim Einsatz noch nicht mitmachen, aber vielleicht weiß er trotzdem etwas."

      Robert, Annas jüngster, ist seit zwei Jahren bei der Jugendfeuerwehr Neustift. Die sitzen im selben Haus wie die Bergwacht und zum Teil sind es auch die gleichen Leute. Der weiß eventuell mehr.

      Es dauert eine ganze Weile, bis Anna ihn am Telefon hat. Jetzt redet sie wieder Tiroler Kauderwelsch. Bruno hat zwar in den vielen Jahren gelernt, den Dialekt ganz gut zu verstehen, aber wenn sie dann unter sich sind und keine Rücksicht nehmen müssen, begreift er nicht ein Wort. Nach fünf Minuten ist das Gespräch beendet.

      "Also, pass auf. Die Besatzung vom Hubschrauber aus Innsbruck ist sich sehr sicher, dass oben im Gletschergebiet niemand verunfallt ist. Es gibt keine Spuren, die irgendwo im Nichts enden und es hat seit einer Woche nicht geschneit. Man hat zusammen mit der Bergwacht alle infrage kommenden Stellen sehr genau untersucht. Man hat Wärmebildkameras eingesetzt und hatte auch Hunde dabei. Auch die nochmalige Befragung des Personals oben und an der Talstation hat nichts ergeben, trotz Gegenüberstellung mit mehreren Fotos der Beiden, die man offenbar von den Hotelbesitzern, der Familie Hofer, bekommen hat. Und jetzt pass auf. Es gibt einen Busfahrer, der behauptet, dass ein älteres Paar in seinen Bus Richtung Fulpmes gestiegen sind. Ihm sind die beiden deshalb aufgefallen, weil die Busse vormittags in Richtung Tal normalerweise leer sind. Da sind die Skifahrer ja alle noch im Kommen. Er war sich nicht hundertprozentig sicher, glaubt aber, dass noch ein Dritter im Spiel war. Die Beiden sind nämlich in Neustift an der Tankstelle ausgestiegen und von einem älteren Mann begrüßt worden. Die Drei müssen sich nach Meinung des Busfahrers gekannt haben. Die Spur wird zurzeit von der Polizei aber nicht weiter verfolgt, weil der Busfahrer die beiden auf dem Foto nicht wiedererkannt hat. Der Einsatzleiter der Bergwacht ist der Gleyer Hermann, der kann uns womöglich den Namen des Busfahrers nennen, Robert wusste ihn nicht. Übrigens schöne Grüße von ihm."

      "Vielen Dank Anna, du hast mir richtig geholfen. Ich werde jetzt in den Ort fahren, wollte sowieso eine Kleinigkeit essen und dann noch mal mein Glück mit Carla versuchen. Vielleicht finden wir ja den Busfahrer. Danke für den Kaffee und bis später."

      * * *

       Sonntag, 17. April 1955

       War gestern und heute mit zwei Freunden am Obernberger See. Sehr idyllisch in einem kleinen Seitental vom Wipptal. Paul hat ein Auto und so waren wir sehr schnell da. Mussten vom Ort noch ein ganzes Ende laufen, es war aber sehr schön. Unterwegs haben wir drei Mädchen getroffen, die auch dorthin unterwegs waren. Haben uns angefreundet, meine ist erst 17, heißt Claudia und ist die hübscheste. Sie ist auch Italienerin, aus Kaltern. Die Eltern haben ein Weingut und sind so etwas wie Grafen aber verarmt, sagt sie. Ich muss sie wiedersehen! Aber Kaltern ist weit ohne Auto. Am Mittwoch bin ich mit

       Dr. Rohrmann fest verabredet. Könnte meine Glückswoche werden, erst Claudia und dann der Studienplatz.

      * * *

      9

      Bruno sitzt mit Carla im Dorfwirt. Er hätte gar nicht damit gerechnet, dass sie wirklich mit ihm zum Essen geht, nachdem er ihr schon "Gute Nacht" gewünscht hatte. Ihr Beruhigungsmittel hat wohl nicht gewirkt.

      "Was hat dir denn dein Dr. Kurz-Mahler gegeben?"

      "Der heißt Dr. Curtius-Moser und ist ein hervorragender Arzt, du Schandmaul. Was hast du mir denn nun Spannendes zu berichten?"

      Während sie noch lustlos in ihrem Essen herumstochert, ist er längst fertig und berichtet von seinen Neuigkeiten mit dem Busfahrer. Sie hört aufmerksam zu, aber sie findet keinen Trost oder auch nur neue Hoffnung in dieser Variante.

      "Wo sollen sie denn sonst hingegangen sein? Leni schwört, dass sie zum Gletscher hoch sind. Sie hat sie in den Bus steigen sehen. Und wer soll denn der geheimnisvolle dritte Mann sein? Die von der Bergwacht wollen nur von ihrer Unzulänglichkeit ablenken. Die geben sich doch gar keine Mühe, meine Eltern zu finden. Vielleicht sind beide schon längst tot. Vielleicht haben sie sie auch schon gefunden und wollen es mir nicht sagen. Die haben doch Angst, dass ihre Unfähigkeit von mir an die große Glocke gehängt wird. Aber die werden sich noch wundern, ich habe schon unseren Familienanwalt benachrichtigt!"

      Mit diesen letzten Worten, die sie wie zu sich selbst spricht, sammelt sich das Wasser in ihren Augen. Carla ist echt am Ende, sie tut ihm unendlich leid und er würde sie gerne in den Arm nehmen, doch schon bei der Begrüßung hat er ihre Verkrampfung gespürt. Sie lässt keinen an sich ran, auch nicht ihn.

      "Pass auf Carla, morgen früh gehe ich zur Bergwacht, um mit dem Einsatzleiter Hermann Gleyer zu reden. Der schläft jetzt, beginnt aber morgen früh um 8:00 Uhr seinen Dienst. Von dem erfahre ich, wie und wo ich den Busfahrer finde. Dann werde ich dich benachrichtigen und wir können gemeinsam mit ihm reden. Ist das nicht das Beste?"

      "Morgen, morgen, immer mehr Zeit verstreicht und wir haben keine Ahnung, nicht mal eine Spur. Weißt du, wie lange man da draußen in der Kälte überleben kann? Ich rede jetzt noch einmal mit der Polizei. Der Chef von denen wohnt auch im Hotel. Eigentlich kommt er aus Hall, will aber nicht immer hin und her fahren. Du kannst ja bis morgen warten, sind ja nicht deine Eltern."

      Sie


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