Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle

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Politische Rhetorik der Gewalt - Dr. Detlef Grieswelle


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Weltverschwörung“, während sich der Kommunismus an der Weltanschauung der Klassengegensätze orientierte und eine Bekämpfung des „Klassenfeindes“ forderte. Eine innerweltliche Religion mit ihrer Verachtung einer angeblich total verdorbenen Gegenwart, ihren Absolutheitsansprüchen, ihrem unerschütterlichen Glauben an die eigene Perfektion, ihren apodiktischen Zukunfts- und Erlösungsvorstellungen, impliziert Hass und fanatische Feindbilder.

      Feindbilder kennzeichneten in der Folge der deutschen Geschichte die nationalsozialistische Herrschaft und den „realen Sozialismus“ in der ehemaligen DDR. Hier wurde von Staats wegen der Hass geschürt und der Kampf mit Feindbildern zu einer wichtigen Aufgabe. Aber auch in Westdeutschland gab es seit den 50er Jahren extremistische Gruppierungen, deren Denken und Handeln von Feindbildern bestimmt waren. Zu denken ist hier an frühe rechtsradikale Bewegungen, an Ende der 60er Jahre im akademischen Bereich aufkommende Neo-Marxismen mit ihren neuen Klassenkampfforderungen, an den Versuch rechtsextremer Gruppen, mit nationalistischen und antidemokratischen Feindbildern wieder Fuß zu fassen, an extreme Gewalt im Terrorismus der 70er und 80er Jahre, aber auch an extremistische Angehörige in sog. autonomen Protestbewegungen wie denen der Hausbesetzer und in fundamentalistischen Gruppen wie beispielsweise ausländischen Widerstandsbewegungen, wo nicht selten Formen demokratischer Willensbildung und des demokratischen Pluralismus verhöhnt, einfache Welterklärungen gegeben und politische Lösungen in diktatorischen Führungen gesehen wurden.

      Feindschaft gegenüber dem politischen Gegner ist aber nun nicht nur ein Konfliktverhalten extremistischer Personen und Gruppen, sondern auch häufig Wirklichkeit im Streit zwischen Demokraten. Eine vielfach angewandte Strategie ist es, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die bürgerlichen Freiheitsrechte exklusiv für sich in Anspruch zu nehmen und den politischen Gegner aus dem demokratischen Grundkonsens auszugrenzen. Nicht selten kommt es vor, den politischen Antipoden in Nähe totalitärer Ideologien und Systeme bzw. des Rechts- und Linksextremismus zu rücken, und das vielfach in einer subtilen Manier, die auf negative Assoziationen der Begriffe abstellt. Die Kampagne „Freiheit oder Sozialismus“ der CDU, Geißlers Attacken, der SPD mit Bezug auf Pazifismustendenzen gegenüber dem Nationalsozialismus mangelhaftes Eintreten für die Verteidigung der Demokratie vorzuwerfen, CDU-Angriffe, SPD und NSDAP hätten als Gemeinsamkeiten sozialistisches Denken, aber auch Behauptungen der SPD, CDU/CSU stünden radikalem Nationalismus und Rechtsextremismus nahe und würden sich nicht hinreichend davon distanzieren, sind hierfür Beispiele. Es ist zwar zulässig, dem politischen Gegner Interessenbindungen, falsche Wertorientierungen, Fehler und Fehleinschätzungen vorzuwerfen, aber nicht Verfassungsfeindlichkeit, so hierfür keine tatsächlichen Gründe vorliegen: „Legt man es darauf an, den Andersdenkenden aus dem Grundkonsens herauszudrängen, ihn über den Rand der Verfassung hinabzustoßen, wird aus der konkurrenzdemokratischen, legitimen und notwendigen Konfliktsituation allemal ein Notstand, ein Ausnahmezustand, in dem die Hemmschwellen politischer Kultur nicht mehr zählen. Der Andersdenkende wird zum Feind, er wird zum Feind gemacht, nichts ist dann gefährlicher als die Destabilisierung des Feindbildes: Die demokratische Auseinandersetzung pervertiert zum Überlebens- und Vernichtungskampf, zum geistigen Bürgerkrieg, in dem der Zweck jedes Mittel heiligt61.“

      Feindbilder zur Herabsetzung politischer Gegner sind auch keineswegs selten in den Massenmedien, man denke nur an Feinderklärungen an Adenauer, Brandt, Strauß und Kohl oder an Parteien bzw. ganze Regierungen, in „Bild“, „Stern“, „Spiegel“, wobei politische und wirtschaftliche Ziele sich vermischen. Insbesondere die Partei-, Gewerkschafts- und Verbandspresse zeigt häufig Merkmale, die den sieben Kategorien unseres Feindbildes in hohem Maße entsprechen, auch politische Magazine im Fernsehen, auf dem rechten und linken Spektrum, arbeiten mit Freund-Feind-Stereotypen und Schwarz-Weiß-Malerei von Gut und Böse. Immer mehr Rechts- und Sozialwissenschaftler äußern ihre Sorge über eine Vergiftung der Streitkultur durch zügelloswerdende Diffamierungskampagnen der Massenmedien und warnen, dass solche Tendenzen zu einer Negativauslese in der Politik führen könnten. Dabei wird häufig das Bundesverfassungsgericht mitverantwortlich für den Verfall der Streitkultur gemacht, weil „Karlsruhe“ die Meinungsfreiheit bis zur äußersten Grenze ausgeweitet und den Schutz der persönlichen Ehre auf einen minimalen Rest habe schrumpfen lassen62.

      Zeitweise grassierten solche Feindstiftungen auch bei den sog. Widerstands- und Protestbewegungen mit ihren bisweilen radikalen Weltanschauungen im Friedens- und Umweltbereich. Sie beanspruchten vielfach, unantastbares Wissen in einzelnen Handlungsfeldern oder in breiten Bereichen der Politik zu besitzen, und legten entsprechend Selbstgerechtigkeit und Selbstüberheblichkeit an den Tag; dem Bewusstsein des Auserwähltseins entsprach die Verdammung der anderen: Herr, ich danke Dir, dass wir nicht so sind wie die Parteipolitiker63. Der Staat und die Politik der großen Parteien wurden hier vielfach verteufelt, geradezu kriminalisiert, weil sie gegen fundamentale Werte des Lebens- und Naturschutzes, der Bewahrung des Friedens, der Verantwortung für sozial Schwache etc. verstießen. Behutsamkeit, Toleranz, Kompromissfähigkeit, Affektregulierung, Realismus, Fehlbarkeit, all dies sind dann keine Orientierungen mehr für die politische Auseinandersetzung. Der politische Gegner wird als schuldiger Feind ausgemacht, gegen den sich kollektive politische Aggression zu richten hat und der fanatisch zu bekämpfen ist. Im Wörterbuch „Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland“ werden von Conze und Reinhart64 wesentliche Strukturen eines Feindbildes unter der Fragestellung des Fanatismus herausgearbeitet: Fanatismus meint die Beanspruchung der Ausschließlichkeit der eigenen Auffassung und Feindseligkeit gegen alles, was nicht der eigenen Position entspricht; die Anmaßung absoluter Wahrheitsgewissheit; die Blindheit gegenüber anderen Weltsichten; den Eifer für oder gegen eine Sache; überspitzten Enthusiasmus, Schwärmerei, ja Besessenheit. Bereits 1855 hieß es in einem Lexikon65: „Fanatismus ist blind, einseitig und ausschließend. Charakterisierend ist demnach für den Fanatiker 1), dass er sich der Klarheit des Verstandes verschließt, sich dem Spiele der Fantasie … hinzugeben liebt, wobei 2) gerne eine Idee die fixe in ihm wird. … Es fehlt ihm gleichmäßig an der Ausweitung des Kopfes durch die Bildung wie an der Aufgeschlossenheit des Herzens durch die Liebe, so dass es ihm rein unmöglich ist, sich auf einen anderen Standpunkt zu versetzen. … Darum behandelt er alles nach einer, nämlich nach seiner Schablone und ist 3) ausschließend, feindselig, verfolgungssüchtig gegen alles, was er nicht selbst ist“. Auch wenn der Fanatismus sich häufig nur auf politische Teilbereiche erstreckt, birgt er doch die Gefahr, in antidemokratischen Extremismus und nackte Gewalt umzuschlagen, dafür gibt es auch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hinreichend Beispiele. Für einzelne Personen und Gruppen der Protestbewegungen blieb es nicht bei Forderungen eines sog. kleinen Widerstandsrechts und eines Anspruchs auf Gewalt ausschließlich gegen Sachen.

      Wenn heute zunehmend über eine unzulängliche politische Streitkultur unter Demokraten geklagt wird, dann stellt sich nicht ohne Grund die Frage, ob hier zuvörderst die Methoden und Techniken politischer Auseinandersetzung gemeint sind oder nicht vielmehr die politischen Konflikte selbst, die in hohem Maße für falsch und überflüssig gehalten werden. Wie zahlreiche empirische Untersuchungen, speziell aus der Politologie, zeigen, ist die politische Kultur der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland durch beachtliche Vorbehalte gegenüber streitiger Auseinandersetzung geprägt, und Polemik wird entsprechend dieser konsensuellen Einstellungen eher als Gefahr denn als produktive Notwendigkeit gesehen. Und dies gilt umso mehr, wenn heftig gestritten wird, was dann zumeist als Sittenverfall, zumindest als Stillosigkeit registriert und als Verletzung gewünschter Harmonie abgestraft wird66.

      In der Diskussion über Streitkultur ist also zunächst einmal Partei zu ergreifen für die Legitimität und Notwendigkeit des politischen Streits67. „Er ist der Normalfall in einer offenen und pluralistischen Demokratie, in der Parteien nicht 'das Ganze', sondern Profile und Kontraste vertreten und Parlamente geradezu das Gemeinwesen in seinen Auseinandersetzungen.“ Pluralistische Ordnung impliziert, dass der Weg zum Kompromiss und zum Konsens sowie zur Mehrheitsentscheidung über streitige Alternativen führt: „Die freiheitlich-demokratische Grundordnung beruht auf dieser Voraussetzung. Ihr Institutionengefüge und ihre Verfahrensweisen politischer Willensbildung dienen der Leitidee, diese Voraussetzung praktisch umzusetzen und politischem Handeln und Reden einen möglichst weiten streitigen Sektor zu öffnen“68.

      Die


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