Nachtschatten. Lea Wintterlin

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Nachtschatten - Lea Wintterlin


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      © 2016 Texte: bei den Autoren

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      Printed in Germany

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ü ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Inhalt

      1 Vorwort 6

      2 Alex Breugl ░ Lennox 8

      3 Lea Wintterlin ░ Turtle 25

      4 Liena Berin ░ Schatten im Ballhaus 40

      5 Ulrich W. M ö bius ░ Saudade 60

      6 Marion Wünderich ░ Nachtschattengewächse 71

      7 Vera Lynn Fox ░ H appy Birthday, Engelchen 93

      8 Die Autoren 110

      Vorwort

      Eine der schönsten Metaphern der künstlerischen Eingebung ist für mich Franz Kafkas Miniatur Der plötzliche Spaziergang. Darin wird eine wohlige Abendstimmung aufgebaut. Die ganze Familie ist darauf eingestellt, zu Bett zu gehen. Und doch zieht die Hauptfigur in plötzlichem Sinneswandel die Straßenkleider wieder an, um spät nachts noch hinauszuschlüpfen. Ohne eindeutiges Ziel.

      In ähnlicher Weise haben sich die Autoren aus dem Haus des Schreibens aufgemacht, um sich auf das Unbekannte und oft auch Unvorhersehbare einzulassen.

      Sie schöpften Figuren und verstießen sie wieder. Sie steigerten die Dramatik und nahmen sie wieder zurück. Die Autoren wurden nicht müde, sich immer wieder auf die Suche zu begeben nach dem, was im Dunkeln verborgen liegt.

      Was sie dabei gefunden haben – und was sonst noch unterwegs passierte – ist in dieser Anthologie versammelt.

      Eins sei versprochen: Die Nacht senkt sich in jeder Geschichte – doch die Schatten, die durch die Nacht schlendern, tanzen und irren, haben ganz unterschiedliche Konturen und Abgründe.

      Julia Powalla

      Leiterin vom Haus des Schreibens

      Alex Breugl

      Lennox

      Manchmal ufert es eben aus.

      Manchmal – ich kann nicht behaupten oft – wird aus einer einfachen Begegnung eine ausufernde Geschichte.

      Bei Lennox und mir hat diese Begegnung vor mehr als zehn Jahren stattgefunden. Ich war damals zum ersten Mal im Ausland, genaugenommen in Genua, f ü r ein Jahr zum Studieren. Ich wohnte in einer WG mit einem dicklichen Amerikaner, einem hageren Franzosen mit Ü berbiss und einer Portugiesin und hatte anfangs noch einen Freund in Deutschland. Nach acht Monaten merkte ich, dass er mir nicht fehlen w ü rde und wir beendeten die Sache am Telefon.

      Ich hing ein-zwei Tage in meinem Zimmer rum und h ä kelte gerade an einem Bikini, als meine beiden m ä nnlichen Mitbewohner vorschlugen, ein-zwei Gl ä ser Wein trinken zu gehen. Vielleicht dachte ich, mit M ä nnern Wein trinken zu gehen w ä re notwendig, um meinen Ex-Freund zu vergessen. Es h ä tte mir auch komisch vorkommen k ö nnen, dass sie mich in eine Bar schleppten, in der man den Wein nicht gl ä ser- sondern flaschenweise bekam. Nachdem die zweite Flasche leer war, bestellte der Dickliche ohne zu fragen noch eine.

      » Uihlalaa – deine gro ß Liebe – wird also nisch mehr zu Besuch kommen? « , sagte der Hagere und sein Akzent war noch st ä rker als sonst.

      » Nein « , ich leerte mein Glas, » aus und vorbei. «

      Der Dickliche schenkte nach.

      » Povera Pia, now she is all alone. «

      » Das Letzte, was ich jetzt brauche, « sagte ich und lie ß meinen Blick durch die Bar schweifen, » ist ein Mann. «

      Der Dickliche legte seinen Arm um meine Schultern und prostete mir zu, w ä hrend der Hagere mich ununterbrochen angrinste.

      » Wirklich « , wiederholte ich, » ich will nichts von M ä nnern wissen. «

      In eben jenem Moment nahm ich einen Lockenkopf wahr, der alle anderen in der Bar ü berragte. Sein Gesicht drehte sich zu mir und ich schaute nicht schnell genug weg.

      Der Dickliche: » Keine M ä nner? «

      Ich sch ü ttelte den Kopf und fixierte die Locken.

      » Gelegentlisch Austausch von K ö rperfl ü ssig- keiten « , der Hagere schob seinen Ü berbiss an mein Ohr, » ist erwiesenerma ß en zutr ä glich f ü r das Wohlbefinden. «

      » Sex ist nur gut, wenn beide es wollen « , sagte ich.

      » Oh – aber Sex ist so ein h ä sslisches Wort – amore! – , wir sollten besser amore machen. «

      » Wenn da aber keine amore ist « , ich schaute zu dem Lockenkopf.

      » Auf Englisch es ist always making love « , der Ami.

      » Ja, wenn da aber keine love is for making « , ich hielt mein Glas fester, » einfach keine Lust, ich meine, wenn einer wirklich keine Lust hat – «

      » Ouihhlaa, die Lust ist wie der Appetit – kommt mit dem Essen. «

      Wir tranken.

      Ich, entschieden: » Dann ist es Liebe aus Mitleid. «

      » Pity sex! « , der Dickliche schenkte nach.

      » Also ich h ä tte lieber keinen Sex als pity sex « , sagte ich.

      » Abeeer: pity sex kling so h ä sslisch « , der Ü berbiss wieder, » es ist doch keine pity, wenn man sisch ein bisschen lieblisch macht. «

      Ich musste st ä ndig zu dem Lockenkopf schauen, er hatte sich mit anderen ins Gespr ä ch vertieft, ich bestand daher umso heftiger darauf, dass hier kein sex und schon gar keine pity stattzufinden haben sollte.

      » Ich bestell uns noch was « , bestimmte der Ami.

      Da blickte der Lockenkopf mich an und dieses Mal waren wir beide zu langsam im Wegschauen. Mein Handy klingelte, ich fuchtelte damit in der Luft herum, gegen den Ger ä uschpegel in der Bar – und grub mich dann durch die Menge nach drau ß en. Meine Mutter wollte wissen, ob es mir gut gehe.

      » Hallo Mama, jaja, alles gut. «

      Ob mir die Trennung zu schaffen mache.

      » Neinnein, alles gut. «

      W ä hrend meine Mutter betonte, dass bestimmt bald alles gut w ü rde, z ü ckte ich eine Zigarette.

      Nach dem Gespr ä ch lie ß ich das Handy in meine Tasche fallen und wollte gerade nach Feuer suchen. Da stand eine gro ß e Gestalt mit wuschelig wilden Locken vor mir, wie eine Schutzmauer gegen alles, was ich nicht brauchte. Vor meiner Nase brannte ein Feuerzeug. Es funkelte, ich zog. Ich schwebte, er strahlte. Warm war sein Blick, seine Stimme wie Honig, ich perlte, nagte Zigarette, dampfte, schaute mir auf die H ä nde – und ihm, schwankte von einem Bein aufs andere, sein Antlitz Augenweide, ich saugte – seinen Anblick auf, stie ß den Rauch aus, hatte s üß en Saft im Hirn, alles schmeckte – irgendwie unfassbar, ich dachte » Rotwein « und » hinter Milchglas « und wir redeten – ü ber was? Ich


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