Von Stalingrad bis Kursk. Henning Stühring

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Von Stalingrad bis Kursk - Henning Stühring


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Süd angesichts der kurz bevorstehenden großen Sommeroffensive!

      Der sowjetische Versuch, General der Panzertruppe Paulus 6. Armee einzukesseln, ist katastrophal gescheitert. Angesichts der schweren Schlappe bei Charkow fällt Stalin ein vernichtendes Urteil über den Oberbefehlshaber der Südwestfront, Marschall Timoschenko, und dessen Armeekommissar, dem späteren Sowjetführer Nikita Chruschtschow. Der Diktator zürnt:

      „Wenn ihr nicht gelernt habt, eure Truppen besser zu führen, wird die gesamte Ausrüstung, die im Land hergestellt wird, nicht für euch ausreichen. Merkt euch das, wenn ihr eines Tages den Feind schlagen wollt!“30

      Noch schärfer rügt Stalin den Generalstabschef der Südwestfront, Generalleutnant Iwan K. Bagramian. Er wird seines Postens enthoben. In einem bitter-bösen Brief vom 26. Mai an das Frontoberkommando zürnt der Diktator:

      „Während einer Dauer von nur drei Wochen ist es, dank der Kurzsichtigkeit der Südwestfront, gelungen, nicht nur die schon halb gewonnene Charkower Operation zu verlieren, sondern auch noch gelungen, 18 bis 20 Divisionen an den Feind zu übergeben.“

      *

      Trotz des Vernichtungssieges, laut Chruschtschow die größte deutsche Leistung im Ostfeldzug, herrscht indes auch bei den Siegern eine durchaus nachdenkliche Stimmung. General von Mackensen, der Kommandierende des III. Panzerkorps, lässt am 28. Mai 1942 in einem Fernschreiben an Generaloberst Kleist verlauten: „Die Rote Führung riskiert alles. Sie faßt im Großen klare Entschlüsse und setzt alles zu ihrer Verwirklichung ein. Truppenführung und Truppe folgen ihr in der Durchführung der Entschlüsse weit mehr als im vergangenen Jahr [...] Rote Panzerwaffe und Kavallerie zeichnen sich durch unerhörten Schneid und Kampfwillen zur Vernichtung aus [...]“31

      Mackensen weiß, dass der Erfolg „nur mit letzter Kraft“ errungen werden konnte. Der US-Historiker Glantz kommt zu dem Urteil, dass der deutsche Sieg bei Charkow durch überlegene taktische Führung sowie den konzentrierten Einsatz der Panzer- und Luftwaffe erreicht worden ist. Im Prinzip haben die Russen den gleichen Fehler gemacht, der ein gutes Jahr später den Deutschen vor Kursk selbst unterlaufen soll: an der stärksten Stelle der gegnerischen Verteidigung angesichts feindlicher Panzerreserven im Hinterland anzugreifen. Zwar kann man nur mutmaßen, wie die Schlacht bei Charkow wohl geendet hätte, wenn die Rote Armee, statt ins offene Messer zu rennen, in der Defensive geblieben wäre. Es spricht zwar vieles dafür, dass die angreifende Wehrmacht, wie auf der Krim eindrucksvoll demonstriert, Timoschenkos Verbände im einen wie im anderen Fall ausmanövriert haben würde. Aber vielleicht wäre der deutsche Sieg bei einer rein defensiven Ausrichtung des Gegners nicht so deutlich ausgefallen, hätte mehr Zeit und noch wesentlich größere Opfer gekostet. Denn die Rotarmisten gelten in festen Stellungen als harte Steher. Ein Trumpf, der in Bewegungsgefechten nicht stechen kann, zumal die Deutschen in dieser Hinsicht wiederum deutlich überlegen sind. Fakt ist: Während die Deutschen 1943 mit der „Operation Zitadelle“ tatsächlich eine gewisse präventive Wirkung durch Zerschlagung eines namhaften Teils der operativen Panzerreserven des Gegners erzielen, erreicht die Rote Armee vor Charkow keines der gesteckten Ziele. Ganz im Gegenteil, Paulus und Kleists schnelle Verbände sind intakt geblieben und nehmen die Ausgangsstellungen für die Sommeroffensive 1942 ein.

      Angesichts des Triumphes spottet Hitler am Abend des 2. Juni über die Tendenz, militärische Niederlagen mit dummen Theorien zu bemänteln. „Er erinnere nur an die von uns im I. Weltkrieg nach der Schlacht bei Verdun vertretene Abnutzungstheorie. Solche Redensarten seien immer ein Beweis dafür, daß man nicht den Mut aufgebracht habe, ein nicht mehr Erfolg versprechendes Vorhaben sofort abzubrechen.“32 Als sich Paulus 6. Armee dreieinhalb Monate später in operativ sinnlosen Häuserkämpfen um die Ruinen von Stalingrad festbeißt, ist diese kluge Einsicht freilich schon wieder verflogen. Während der Schlacht an der Wolga soll sich Hitler selbst in „dumme Theorien“ von „ganz kleinen Stoßtrupps“ flüchten ...

      *

      Nachdem Bocks Heeresgruppe Süd die Donezlinie zurückgewonnen hat, sollen gleich noch die nächsten Sprünge zur finalen Vorbereitung von „Fall Blau“ gemacht werden. Die Operation „Wilhelm“ richtet sich gegen die sogenannte „Pestbeule“ bei Woltschansk. Damit will die 6. Armee geeignete Absprungbasen am Donez und Burluk gewinnen. Der Angriff beginnt am 10. Juni. Binnen drei Tagen schließen das III. Panzer- und VIII. Armeekorps namhafte Verbände der 28. Sowjetarmee ein. Am 15. des Monats ist die Schlacht geschlagen. 21.000 Rotarmisten geraten in Gefangenschaft. Vor allem aber sind Brückenköpfe über den Donez gebildet, die es erlauben, ohne Zeitverzögerung in die Operation „Blau“ zu starten.

      Um auch weiter südlich günstige Ausgangsstellungen am Oskol zu erkämpfen, beginnt am 22. Juni die ebenfalls umfassend angelegte Operation „Fridericus II“. Die Gruppe Mackensen, gebildet aus dem III. Panzer- und LI. Armeekorps, tritt auf Kupjansk an. 24 Stunden später beginnt weiter südlich auch der Vorstoß der Gruppe Strecker (deutsches XI. und rumänisches VI. Korps) sowie des XXXXIV. Armeekorps gegen Isjum. Bereits am 24. treffen sich die beiden Zangenarme bei Gorochovatka. Zwei Tage später ist auch diese zweite vorbereitende Operation erfolgreich geschlagen. 24.000 Rotarmisten strecken die Waffen.

      Obwohl operativ erfolgreich, halten sich die Erfolgsmeldungen diesmal – gemessen an den katastrophalen Verlusten der Roten Armee auf der Krim und in der Vernichtungsschlacht bei Charkow sowie Hitlers überzogenen Erwartungen – allerdings in Grenzen. Sowohl der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, Feldmarschall von Bock, als auch OKH-Chef Generaloberst Halder sehen darin erste Anzeichen eines Strategiewechsels beim Gegners. Statt um jeden Preis zu halten, scheint die Rote Armee nach der Charkower Katastrophe zu taktischen Rückzügen bereit und fähig gewesen. Die Abteilung Fremde Heere Ost unter Oberst Gehlen, bislang eher durch grobe Unterschätzung des Feindpotentials aufgefallen, attestiert am 28. Juni, dass sich der Gegner von der „Taktik eines unwirtschaftlich rücksichtslosen Menschen- und Materialeinsatzes“ abgewandt habe und damit zu rechnen sei, dass er seine „in der Front eingesetzten Kräfte den überraschend geführten deutschen Stößen und Umfassungsversuchen weitgehend zu entziehen und die deutschen Vorstöße aus der Tiefe des Raumes durch Angriffe gegen ihre Flanken aufzufangen“ beabsichtige.33

      Und ebenjene Flanken, die nach Eröffnung der großen Sommeroffensive durch die Marschrichtung Stalingrad-Kaukasus zwangsläufig drohen, sollen gemäß Führerweisung Nr. 41 hauptsächlich die schwachen verbündeten Streitkräfte im Verlauf der sich nach Südosten gefährlich verlängernden Donlinie decken. Kein Zweifel: Die 1941 völlig versagende deutsche Feindaufklärung ist effektiver geworden. Aber die besten Prognosen nützen nichts, wenn sie ignoriert werden. Hitler malt sich lieber sein eigenes Feindbild, freilich gestützt auf die jüngsten Erfolge. Und wer will es ihm verdenken? Seit Mai hat die Heeresgruppe Süd immerhin über eine halbe Million Gefangene gemacht. Und die vermeintlich planvollen Rückzüge des Gegners können auch als erzwungene gedeutet werden. Die Rote Armee scheint tatsächlich zu wanken. Wie ein angezählter Boxer, der sich nur noch vor dem K.o. in die Ecken des Ringes flüchtet …

      Ein Jahr nach Beginn des Russlandfeldzuges ist allerdings auch Hitlers Ostheer schwer angeschlagen. Stellvertretend für viele andere Verbänden stehen die Gesamtverluste der 1. Gebirgsdivision.34 Vom 22. Juni 1941 bis zum 24. Juni 1942 meldet der Eliteverband 2.296 Gefallene, 6.737 Verwundete und 144 Vermisste. Die Substanz der Kampftruppe blutet nachhaltig aus, zumal der Ersatz unzureichend und weniger gut ausgebildet ist. In dieser Zeit haben die Regimenter von Generalleutnant Lanz 2.325 Kilometer, das entspricht einem Tagesschnitt von 40 Kilometern, zurückgelegt. Durch Galizien und die Ukraine, vom San bis an den Donez. Überdies verzeichnet die Statistik nicht weniger als 304 Kampftage. Aber keine Zahl erfasst das menschliche Leid, die Verbitterung der Truppe angesichts der langen Gräberreihen gefallener Kameraden auf dem Marsch in die schier unendlichen Weiten des Ostens. Wie lange soll, kann das noch so weitergehen?

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      BArch, Bild 168-278-010

      Sewastopol aus der Vogelperspektive. Nördlich der Sewernaja-Bucht verlaufen die Hauptbefestigungen der sowjetischen Verteidiger. Hier liegt auch der Angriffsschwerpunkt von Mansteins 11. Armee. Erreicht das LIV. Korps die Bucht, ist der Fall


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