Auf zum Nullarbor. Hermine Stampa-Rabe
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So setze ich mich erst in ein Café und esse Obstsalat. Die nette Dame hinter der Theke erzählt mir, dass ihr Vater aus Holland und ihre Mutter aus Wiesbaden, Deutschland, kamen. Ihr Vater war erst 15 Jahre, als er einfach von zu Hause ausriß und nach Australien ging. Das war kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Hier in diesem fremden Land passte er sich gut an, lernte die englische Sprache und packte bei jeder Arbeit an. Durch Zufall lernte er seine deutsche Frau hier kennen. Sie heirateten. Leider ist der Mann nun schon verstorben. Aber die Tochter ist sehr stolz auf ihn, weil er so fleißig war und sich im fremden Land durchgebissen hatte.
Auf meine Frage: „Wieso ist er denn als Junge von zu Hause ausgerissen?“ – antwortet sie:
„Seine Mutter war zu streng mit ihm. Auf diese Weise konnte er ihr aus dem Weg gehen. Er hielt es zu Hause nicht mehr aus.“
Und dann werde ich noch von einem Mann, der hier arbeitet, auf Deutsch angesprochen.
„Sind sie aus Deutschland?“
„Nein, ich stamme aus der Schweiz. Mein Vater besaß dort einen großen Fuhrpark. Damit wurden Geschäfte von der Schweiz bis weit nach Deutschland hinein abgewickelt. Deutschland ist sehr schön.“
Bevor ich mich auf dem Caravan Park in Elmore eintrage, möchte ich den Übernachtungspreis wissen. Ist der Preis hoch, fahre ich nach Heathcote weiter. Von der sympathischen Deutsch-Holländerin erhalte ich die Telefonnummer des hiesigen Caravan-Parks und rufe an. Da ich die Frau am anderen Ende so schlecht verstehen kann, überreiche ich den Hörer der Frau hinter dem Tresen. Sie fragt nach dem Übernachtungspreis und teilt ihr mit, dass ich nur mit dem Push-Bike und einem kleinen Zelt unterwegs sei. Deshalb brauche ich nur $10 pro Nacht zu bezahlen. Da lasse ich durchsagen, dass ich für drei Nächte buche und gleich komme.
Ich befinde mich gerade in den sanitären Anlagen, um auf meinem Computer zu schreiben. Unter dem Waschbecken liegt eine Kakerlake auf dem Rücken. Ich weiss nicht, ob sie noch lebt. Vorsichtshalber puste ich sie nicht an. Vielleicht fängt sie dann an, mit ihren vielen schwarzen Beinen zu zappeln. Nein, das kann ich nicht sehen. Hoffentlich ist sie heute Abend weg. Gleich stelle ich mein Zelt auf, weil die Sonne weiter gewandert ist und mein Platz nun im Schatten liegt.
Kaum bin ich damit fertig, da fängt es draußen an zu stürmen! Ich lege mich lang auf den Rücken und halte mit beiden Händen, Armen, Füßen und Knien die dem Sturm zugewandte Zelt-Wand stabil. Der Sturm hält fast zwei Stunden an. Der Himmel zieht zu. Was für ein Glück, dass ich schon hier auf dem Caravan Park bin und das Zelt steht.
Als ich abends mein Pumpernickel-Brot dick mit Butter, Knoblauchzwiebel und Salz essen möchte, läuft mir schon allein vom Gedanken daran die Spucke im Mund zusammen. Und als ich meine Schätze im Zelt ausbreite, stelle ich fest, dass ich vor zwei Tagen auf dem Campingplatz meine Butter im Kühlschrank liegen ließ. Was soll ich machen? Im Gefängnis lebten die Gefangenen von trockenem Brot mit Salz und Wasser. Warum soll ich davon nicht auch leben können? Die Gefängnisinsassen hätten sich über den Knoblauch bestimmt riesig gefreut, bekamen ihn aber nicht. Aber ich! So lebe ich mit trockenem Brot, Salz und Wasser und der „Delikatesse“ Knoblauch. Ich bin ein Knoblauchmonster geworden. Mir kommt sicher niemand zu nahe.
Während ich in den sanitären Räumen für die Ladies an einem Bord stehe und schreibe, sehen mich die Damen, die mal „müssen“. Dabei befindet sich eine ganz besonders nette, ältere, die sagt: „Sie sind großartig!“
Ich erkläre ihr: „Mich halten alle für verrückt.“
„Nein“, meint sie, „das sind sie nicht. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass ihnen auf ihrer großen Fahrradtour nichts passieren möge.“
Komisch, mir fällt gerade ein, dass ich ja unendlich schrecklich nach Knobi stank. Und sie hat nichts gesagt, und auch nicht die Unterhaltung von ihrer Seite aus kurzfristig abgebrochen. Alle Achtung!
Während ich mich dusche, hoffe ich, dass der Sturm, falls er wieder zuschlägt, mein Zelt nicht wegpustet. Ansonsten müsste ich hinterherlaufen und es wieder einfangen. Was für ein schrecklicher Gedanke!
Als ich die sanitären Anlagen verlasse, ist es dunkel. Mein Zelt steht noch treu und brav. Die darin stehenden Packtaschen wären auch zu schwer zum Wegpusten gewesen. Aber beim Aufziehen des Reißverschlusses werden meine Hände nass. Es hat in der Zwischenzeit geregnet. Was für ein Glück, dass es jetzt draußen wenigstens trocken ist.
Aber kalter Wind pfeift von rechts unten in mein Zelt. Das muss ich unbedingt abändern. So kann ich doch nicht schlafen! Was soll ich machen? Linkerhand stehen schön aneinander aufgereiht meine Packtaschen. Dort kann er nicht durchpfeifen. So entschliesse ich mich dazu, die beiden kleineren Packtaschen rechts neben meine Lenkertasche zu stellen. Außerdem besitze ich ja noch hier meine große Waschtüte und die große Tüte mit meiner Garderobe. Diese beiden Teile stelle ich hinter die zweite kleine Packtasche. Meine Frühstücksunterlage befindet sich quer und senkrecht hinter meiner Lenkertasche.
Mir ist klar, dass dies eine sehr kalte Nacht wird. Das muss ich abändern. Kurzentschlossen hole ich alle meine Fahrradgarderobe aus meinen Packtaschen und ziehe sie übereinander an. Ich besitze nur ein Paar Socken, das etwas wärmer als die dünnen aus Baumwolle ist. Aber die Füße stecken ja mit dem Schlafsackhinterende in der Cool-Tasche, damit der Wind da nicht zugreift. Auf den Kopf stülpe ich mir die gelbe Pudelmütze, die ich von Reni mit der gelben Fleece-Jacke geschenkt bekam. Diese ziehe ich als letzte Schicht über alles. Nur hat der Reißverschluss der Jacke seinen Geist aufgegeben. Kann sie vorn nicht zuziehen. Aber besser so als gar nicht.
So krabble ich vorsichtig in meinen Schlafsack, schiebe meine Füße mitsamt Schlafsackhinterende in die Tasche, decke noch über alles von unten bis oben mit dem Badetuch ab und ziehe mir den Schlafsack bis über beide Ohren. Der Wind ist ausgesperrt. Die Zeltpflöcke schlug ich vorher auch noch alle einzeln tiefer in die Erde. Die Sturmabspannung steht gut und fest. Also: Gute Nacht!
01.02.2013: Erster Ruhetag in Elmore: 0 km
Um 6.30 Uhr wache ich erst auf. Das ist ein sehr gutes Zeichen! Die Garderobenschichten haben ihre warme Wirkung nicht verfehlt. Kein Wind rüttelt mehr an meinem Zelt. Aber von draußen fällt auch kein Sonnenschein durch mein winziges Zeltfenster. Der Himmel ist noch nicht richtig hell. Kein Vögelein singt. Auf meinem Thermometer sehe ich 10°C, bleibe eingekuschelt liegen und freue mich meines Lebens, dass ich heute nicht so früh aufzustehen und loszufahren brauche.
Nach einer Stunde wird es mir hier zu langweilig. So setze ich mich hin, sehe durch mein kleines Fensterchen und damit auf einige schmale, von der Sonne beschienene Grasflächen. Aber hierher hat sich noch kein Sonnenstrahl verirrt.
Endlich reiß ich mich zusammen und gehe in die sanitären Anlagen! Während ich nun hier am Bord, auf dem Babys gewickelt werden können, mit meinem gerade ausgepackten kleinen Notebook stehe, tritt wieder die nette Dame von gestern ein. Sie unterhält sich mit mir sehr ausführlich über meine Streckenführung. Sie und ihr Mann sind mit dem Caravan auch schon um Australien gefahren. Sie kennt sich von dieser Warte aus aus und gibt mir gute Hinweise. Ich hätte sie am liebsten gedrückt! Sie heißt Sue. Ich darf sie duzen. Sie bittet um meine Email-Adresse und ist mit ihrem Mann sehr an meiner Weiterfahrt interessiert. Und falls ich mal Probleme habe, soll ich ihnen per Email schreiben. Sie werden mir helfen. Wieder ein Engel auf meiner langen Fahrradreise. Vielen Dank!
Heute mal wieder hübsch angezogen, wandere ich zur Hauptstraße von Elmore, wo die vielen Geschäfte nebeneinander unter einem langen, breiten Sonnendach Wand an Wand stehen. Das ist hier normal. Zuerst kaufe ich Esswaren ein. In einem anderen Geschäft finde ich einen neuen Stoff-Hut mit Krempe für 50 Cent und eine dicke, warme Trainingshose, wie wir sie ganz früher trugen. Die soll nun nachts meine Beine und meinen Körper schön warm halten. Beim Bäcker erstehe ich vier dicke Brötchen. Pumpernickel gibt es in diesem Ort nicht.
Mit meinen Schätzen bei meinem Zelt wieder eingetroffen, esse ich. In der Zwischenzeit ist wieder Starkwind aufgekommen. Dicke, weiße Kumulus-Wolken jagen am wunderbar blauen Himmel dahin, während ich auf dem Rücken in meinem Zelt liege und durch