Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler


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Er war weder Indio, Mestize, Mulatte oder Chinese, er schien ganz einfach der Eigentümer des Geschäfts zu sein, dessen Name mit Grünbaum über dem Ladeneingang stand. Cornelius ließ es darauf ankommen und sprach ihn gleich auf Deutsch an. Ein erfreutes Erkennen ging über Herrn Grünbaums Gesicht, der wirklich ein Landsmann war.

      »Womit kann ich dienen, Hochwürden? Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie unter meiner großen Auswahl etwas finden könnten, über den Preis lässt sich selbstverständlich später reden.«

      Hätte sein Gegenüber ihn nicht direkt angeschaut, wäre Cornelius versucht gewesen, sich umzusehen, ob er wohl beim Eintreten diesen Hochwürden im Laden übersehen haben könnte. Natürlich sprach nur ihn der Besitzer an, allerdings hatte er bis zu diesem Augenblick diese Betitelung nie auf sich bezogen gehört.

      »Herr Grünbaum, nehme ich an? Ich würde mir gerne einen Jipijapa ansehen, falls Sie die richtige Größe für mich haben und ich mir so etwas Schönes überhaupt leisten kann.«

      Er benutzte das spanische Wort Jipijapa und nicht Panamahut, wie dieses Accessoire für gewöhnlich von den Touristen bezeichnet wurde. Cornelius wollte demonstrieren, dass er ein Lokaler war. Herr Grünbaum schien das in diesem Moment nicht besonders zu interessieren, aber er nahm es stillschweigend zur Kenntnis.

      »Also Hochwürden, wie schon gesagt, über den Preis reden wir erst einmal nicht. Und sollten wir die richtige Größe oder Qualität heute für Sie nicht vorrätig haben, morgen reise ich aufs Land wo für uns die Hüte angefertigt werden. Dort besorge ich Nachschub. Ist wirklich ein viel gesuchter Artikel, dieser Hut. Die hiesigen Geschäftsleute tragen ihn gerne, wie Sie ja selbst sehen, aber auch für die vielen Durchreisenden vom Pazifik mit dem Zug nach Colón ist er ein beliebtes Andenken. ein richtiges Markenzeichen für unser Land, dieser Panamahut, besonders für die Amerikaner, die damit ihren Nachbarn zu Hause zeigen können, von welcher exotischen Reise sie gerade gekommen sind.«

      Cornelius hatte die Ohren gespitzt, als das Wort vom Landausflug fiel. Da könnte sich ihm doch unerwartet auf die Schnelle die Gelegenheit bieten, das Umland mit einem Ortskundigen näher kennenzulernen. Zuerst bemühte man sich aber, im Hutstapel ein geeignetes Exemplar im gewünschten Kopfumfang zu finden, der, wie Cornelius im Geheimen hoffte, nicht vorhanden war. Wieder versuchte Herr Grünbaum auf die bevorstehende neue Lieferung zu vertrösten. Cornelius nahm seinen ganzen Mut zusammen und schlug vor, Herrn Grünbaum morgen auf seiner Einkaufstour zu begleiten. Das Einverständnis kam prompt und überschwänglich.

      »Hochwürden, wo darf ich Sie mit meinem Zweispänner abholen? Ist ihnen morgen um acht Uhr angenehm oder zu früh?«

      Und ob Cornelius das angenehm war! Er war sowieso gewohnt mit den Vögeln aufzustehen, um der Frühmesse beizuwohnen.

      »Wäre es für Sie ein großer Umweg, bei mir im Priesterseminar vorbeizukommen, wo ich zur Zeit noch lebe? Das ist bei der Iglesia San José, in der Avenida A, an der Ecke zur Calle 8 im Casco Viego.«

      »Aber Hochwürden, das macht überhaupt keine Umstände. Natürlich kenne ich die Iglesia mit ihrem berühmten Goldenen Altar. Wer nicht in dieser Stadt?!«

      Am nächsten Morgen erschien Herr Grünbaum pünktlich am Seminar in seiner bequemen offenen Kutsche mit kleinem Vordach zur Schattenspende und zwei stattlichen Pferden vorgespannt. Er sprang vom Sitz des Zweispänners hinter dem Kutscher und kam mit ausgestreckter Hand auf Cornelius zu, der vor dem Tor des Seminars schon auf und ab lief, ungeduldig, in Erwartung der kommenden Erlebnisse dieses Tages. Die Fahrt versprach bequem und angenehm zu werden, obwohl die morgendliche Temperatur bei der hohen Luftfeuchte bereits schweißtreibend war. Aber wenigstens sah es an diesem Tag nicht nach Regen aus. Der Himmel zeigte sich azurblau und ohne Wolken. Grünbaums luftiger, heller Einreiher mit dem Jipijapa auf dem Kopf, in der Farbe seines Anzugs, war prächtig der Witterung angepasst, wogegen Cornelius, in seiner schwarzen, langen Robe sich schwer tat in die Kutsche einzusteigen. Er war eben an sein neues Outfit noch nicht so recht gewöhnt, hätte auch gar keine bequemere Kleidung für den Landausflug gehabt.

      »Hochwürden, das verspricht ein wundervoller Tag zu werden. Vielleicht sogar ohne Regen, ganz ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Aber wer sagt's denn, man muss nur in der richtigen Begleitung reisen. Wer könnte das besser, als ein Mann der Kirche! Vielleicht bringen Sie mir heute sogar Glück beim Einkauf. Häufig spuren die Einheimischen nicht so recht, sind manchmal unzuverlässig, was meine Bestellungen angeht. Nun, man wird sehen, es gibt immer wieder Überraschungen. Wir brauchen etwa drei Stunden bis zur Hazienda Rodriguez. Ist ein guter Freund von mir, der auf uns mit dem Mittagessen wartet. In seiner Zuckerrohrplantage liegt das kleine Dorf, in dem die Frauen leben, die für unsere Firma schon eine ganze Weile die Hüte flechten. Fahren wir los, wir haben genügend Zeit uns unterwegs zu unterhalten, und darauf freue ich mich, mein lieber Landsmann.«

      Sie brauchten nicht lange, um aus der Stadt heraus zu kommen. Die Landstraße hatte kaum Schlaglöcher und es gab wenig Staub, denn in der vergangenen Nacht hatte es geregnet. Die Kutsche war gut gefedert, die Pferde legten einen leichten Trab ein, wodurch eine erfrischende Brise in das mit Schweißperlen feuchte Gesicht wehte.

      »Herr Grünbaum, Sie bereiten mir wirklich eine übergroße Freude mit dem heutigen Ausflug. Sie müssen wissen, dass ich erst vor einem halben Jahr aus Europa in Panama eingetroffen bin und eigentlich diese ganzen Monate nicht wirklich eingesperrt, aber doch ziemlich eintönig innerhalb der Mauern des Priesterseminars mit meiner Ausbildung verbracht habe. Erst vor einer Woche weihte mich unser ehrwürdiger Herr Bischof zum Priester und nun warte ich auf meine erste Pfarrstelle. Ich habe mich danach gesehnt, dieses Land etwas kennenzulernen. Und nun diese unerwartete Ausfahrt. Wunderbar, ganz herzlichen Dank für diese Opportunität!«

      »Wissen Sie denn schon, wo Ihre erste Gemeinde sein wird, hoffentlich nicht mitten unter den Indios?«

      »Das könnte sehr gut möglich sein, denn Bischof Mendoza ist sehr bekümmert über den Unglauben fast überall auf dem Land. Das ist es ja gerade, was mich wirklich sehr bedrückt, ich weiß so wenig über die Einheimischen, wie sie leben, wo sie wohnen, habe sie bisher kaum von Angesicht zu Angesicht gesehen, geschweige denn mit einem von ihnen gesprochen. Bestimmt können Sie mir so einiges erzählen. Sie leben doch schon lange in Panama, sind vielleicht sogar schon hier geboren?«

      »Nun, wir werden heute keine hiesigen Indios, keine Darien treffen, mit denen kann man nicht einmal ins Geschäft kommen, die leben noch sehr primitiv, halbnackt - wenn ich so sagen darf - in roh gezimmerten Hütten auf Stelzen, gedeckt mit Zuckerrohrstroh. Sie haben nur offenes Feuer als Licht und kein fließendes Wasser. Die sind ohne Kultur und Verstand, aber sie gehören zu unserem Land, wie Sie und ich.«

      Cornelius war unbewusst zusammengezuckt, zog den Hals in seinen steifen Rohrkragen. Es schauderte ihn. Wollte Gott, dass ihm das erspart bliebe. Er hatte sich gerade erst mit Hängen und Würgen fürs Priesteramt entschieden, aber bei allen Heiligen, nicht zum Missionar unter Wilden.

      »Da, schauen Sie sich diese Frau auf ihrem Maultier an mit den beiden großen Flechtkörben links und rechts am Sattel! Freilich ideale Transportbehälter, aber ihr kleines Kind scheint ihr nicht viel mehr zu bedeuten, als ihr Gemüse, das sie zum Markt bringt, denn sie steckt es in den gleichen Korb. Einfach obendrauf gestopft. Das ist keine Darien, aber sie gehört zur typischen Landbevölkerung dieser Gegend. Die Frauen müssen arbeiten und bekommen den Nachwuchs. Die Männer hocken herum, trainieren, bemuttern und streicheln ihre Hähne wie kleine Kinder. Die dummen Viecher bringen sich dann sonntags in der Hahnenkampfarena gegenseitig um. Dabei verwetten die Mannsbilder das bisschen Geld, das sie irgendwo zuvor als Gelegenheitsarbeiter in den Haziendas verdienten. Die sind vollkommen unzuverlässig. Wie gesagt, sobald sie etwas Geld zwischen den Fingern haben, wird es verwettet, und der Rest in Rum angelegt. Dann sind sie besoffen und erscheinen einfach nicht zur Arbeit solange bis sie wieder Geld brauchen. Die Hängematte vor der Hütte ist der bevorzugte und angestammte Aufenthaltsort. Die kleinen Felder werden von den Frauen und Mädchen bewirtschaftet, ein wenig Mais, ein paar Bohnen und Bananen. Zum Glück haben wir meist genügend Regen, es ist warm und der Boden ziemlich fruchtbar. Da wächst alles von selbst, wenn nicht das Unkraut überhand nimmt, ein Käfer oder eine Raupe die Blätter vor der Ernte auffrisst oder ein Pilz die Pflanzen kaputt macht. Und wenn schon,


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