Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler

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Wie ein Dornenbusch - Wilfried Schnitzler


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auf den Gleisen niederließen. Die Türme der Kathedrale und die roten Ziegeldächer kamen in Sicht. Es war überstanden. Cornelius hatte aufregende Stunden, aber für ihn auch überwältigende, nie vorstellbare Naturwunder erlebt.

      Das war nun also seine neue Heimat. Er wollte so schnell wie möglich das Ordinariat aufsuchen, das bestimmt nahe der Kathedrale lag. Eigentlich hatte er nur der Hauptstraße vom Bahnhof zum großen, zentralen Platz mit der Kathedrale zu folgen. Die bischöfliche Residenz war nicht weit. Sein verschmutztes Äußeres machte ihm allerdings Sorgen, aber er sah im Augenblick keine Möglichkeit, auf die Schnelle sich selbst und seine Kleider, bevor er zur Audienz vor den Bischof treten wollte, zu reinigen.

       8 Priesterweihe

      Seit seiner Ankunft waren inzwischen Wochen vergangen. Eine weiße, aromatische Wolke legte sich auf Cornelius und umhüllte ihn. Er mochte Weihrauch nicht, ein Duft, der für andere Menschen die Vorstufe zum Himmel bedeutete. Aufmüpfig, dümmlich dachte Cornelius: „Lieber nicht im Paradies als so eingenebelt zu werden“. Mit heißer Stirn und weit von sich gestreckten Armen lag er bäuchlings auf dem Boden, seine Nase auf die Steinplatten gedrückt. Es roch leicht nach Moder. Wie immer begann das lästige Schnüffeln in seiner Nase, üblicherweise gefolgt von Niesen, wenn er zu schnell in eine kühlere Umgebung wechselte. Zum Glück kam es diesmal nicht ganz so weit. Seine Handflächen fühlten die Kühle der Steinfliesen und von draußen hörte er durch die weit geöffneten Kirchenportale das ständige Plätschern des Regens, so typisch für diese Jahreszeit. Die Feuchte legte sich auf Steine, Kirchenbänke, seine Kleidung, eben auf alles. Das tropische Klima war für ihn, aus dem kühlen Europa, noch immer gewöhnungsbedürftig. Er hatte ein wenig Herzklopfen, wohl wissend, dass sich in den nächsten Augenblicken sein Leben grundsätzlich verändern würde. Wie sehr wünschte er sich Demut. Aber er empfand keine, wartete nur ungeduldig auf den zügigen Ablauf der bevorstehenden Handlung.

      Die unbequeme Körperlage verdross ihn. Er fragte sich, ob die Umstehenden es wohl merken würden, wenn er sein Gesicht ein wenig auf die Seite drehen würde, um wenigsten mitzubekommen, was da um ihn herum los war. Murmelnde Stimmen schwebten irgendwo über ihm. Also versuchte er sich zu entspannen, sich auf das Kommende einzustellen.

      Es war nicht wirklich kalt, trotzdem fröstelte ihn leicht. „Es ist bestimmt die Aufregung“, dachte er. Als Cornelius die Kirche betrat, war sein ganzer Körper bereits schweißgebadet. Dafür hatte in der feuchten Hitze der kurze Weg mit raschem Schritt unter den Arkaden genügt, der das gegenüberliegende Seminarhaus mit der Kirche verband. Wenigstens hatte ihn der Durchgang vor dem Regenguss geschützt und er war nicht vollkommen durchnässt angekommen.

      Die Schwüle von draußen war im Kirchenschiff kaum zu spüren. Cornelius fragte sich, wie lange er wohl noch hier liegen müsse. Es war ihm nicht wirklich bewusst, wie viel Zeit schon verstrichen war, seit er sich vor die Altarstufen in seinem weißen, einfachen Leinenhemd niedergeworfen hatte.

      Manuel Mendoza, seine bischöfliche Eminenz von Panama, war nicht mehr ganz jung. Seine ungewöhnlich braune Hautfarbe passte nicht so recht zu seiner sonstigen äußeren Erscheinung, zeugte eher von einem rechten spanischen Noble: klein, mit feingliedrigem Körperbau, hageren Gesichtszügen und Hakennase; seine weißmelierte, lange, immer noch volle Haarmähne quoll unter der Mitra hervor.

      Seine Amtsbrüder in Frankreich hatten ihm den heutigen Tag geschenkt, seinen Ruf gehört und ihm Nachwuchs gesandt, der nun vor ihm ausgestreckt auf den Kirchenfliesen lag und auf die Weihe wartete. In diesem Augenblick empfand er nur tiefe Zufriedenheit. War es doch mehr als zwei Jahre her, seit er die letzte Priesterweihe zelebrieren durfte.

      Mendoza hatte eigenwillig seinen Erzbischof in Bógota übergangen, ohne ihn zu konsultieren. Das war eigentlich eine Amtsüberschreitung. Trotzdem hatte er, statt sein Oberhirte, die Briefe geschrieben, denn er wusste, für Bógota war Madrid immer noch die erste Anlaufstelle, wenn es um Kontakte ging, sofern man sich nicht gleich an den Heiligen Stuhl in Rom wenden wollte. Aber das tat man lieber nur in ganz besonders wichtigen Fällen, ließ die Kurie lieber nicht zu häufig in das eigene Geschäft gucken. Was hatte ihn zu seiner Eigenmächtigkeit bewogen? Seine Gnaden wollte in seiner Diözese keine spanischen Priester mehr haben. Als Mestize hegte er eine tiefe Abneigung gegen die alten Kolonialherren, wofür die Erziehung seiner indianischen Mutter gesorgt hatte. Madrid hätte wieder Männer aus ihren Reihen geschickt.

      Das Land litt immer noch unter abscheulicher Diskriminierung, geschürt von dekadentem, anachronistischem Rassismus. Dieses Schisma in der Bevölkerung machte ihn elend, aber auch wütend, denn er wusste zu genau, was am Ende dieser Konfrontation, irgendwann einmal, und wahrscheinlich in nicht allzu weiter Ferne, passieren würde. Gedanken, die den Seelsorger häufig bewegten. Die Arroganz, die ihm täglich aus dieser sogenannten besseren Gesellschaft entgegenschlug, ärgert ihn immerzu aufs Neue. Die Vormachtstellung der oligarchen Kolonialaristokratie war ungebrochen, diese Rabiblanco, wie sie von den Menschen hier im Land, die nicht dazugehörten, abwertend beschimpft wurde. Dabei war diese alteingesessene reiche Brut nicht zu fein, ihn ständig zu umschmeicheln.

      Sein Entschluss stand fest, diesem Ungleichgewicht und dieser Ungerechtigkeit mit besserer Seelsorge zu begegnen. Der geistliche Zuspruch des Priesters sollte in jedem Dorf den verunsicherten Glauben dieser unglücklichen Menschen stärken und ihnen den nötigen Halt und Trost geben. Die Klöster in den Städten hatten reichlich Zulauf, denn da wurden die Brüder gut versorgt. Dagegen war draußen auf dem Land jeder Priester auf sich gestellt, daher wollte keiner dort dienen.

      Mit Inbrunst sang er den Heilig-Geist-Hymnus, in festem Glauben auf spirituelle Führung. Diese Weihe war ihm, auch wenn er sie nicht so häufig, wie er gerne gewollt hätte, begehen konnte, keine Routine. Trotzdem erlaubte ihm die Feier seinen Gedanken nachzugehen.

      Großes Kopfzerbrechen bereitete ihm Pachamama, die 'Mutter der Erde', wie die Einheimischen liebevoll diese Pseudogottheit nannten, an die viele Indios mit großer Inbrunst glaubten. Dieses Götzensymbol musste aus den Köpfen der Leute vertrieben werden, sonst würden alle Bemühungen der Kirche verpuffen, trotz des bewährten Schemas, die Götterwelt der Heiden mit christlichen Heiligen auszuwechseln. Aber die Indios wussten, wie sie ihre personifizierte Erdgöttin mühelos mit Maria, der Mutter Gottes ersetzen konnten. Maria symbolisierte in der Vorstellungswelt der Indios auf jedem Altar, bei jeder Prozession unsichtbar die Pachamama. Es war grotesk, aber jede christliche Missionierung half unter der Hand diese omnipotente, gestaltlose Gottheit, diesen Kult, der ursprünglich aus den Anden kam, unter der Hand weiter zu verbreiten. Die geheime Verehrung der Pachamama wurde mehr und mehr, auch in seiner Diözese, zum offenen kommunikativen Instrument des sozialen Widerstandes unter den Kleinbauern und Tagelöhnern auf dem freien Land. Seine bischöflichen Brüder in den Nachbarländern klagten über ähnliche Probleme und baten um priesterliche Unterstützung. Seine Diözese erzog am Isthmus den einzigen Nachwuchs.

      Mendoza wollte seine Mitmenschen überzeugen, dass ihm gute Seelsorge am Herzen lag. Er wollte beweisen, dass die Kirche für ihre Belange eintrat, sie nicht alleine ließ. Aber dazu brauchte er enthusiastische, junge Priester, die bereit waren, gemeinsam mit ihren verirrten Schafen in den Dörfern ein einfaches Leben zu führen. Dazu brauchte es auch neue Gotteshäuser, allerdings keine pompösen Kirchen. Aber selbst Bescheidenes kostete Geld, zu viel, das er nicht hatte, auch nicht von der Mutterkirche bekam, und schon gar nicht vom herzlosen oligarchen Bürgertum. Die Bauern hatten ja sowieso nichts. Trotzdem sah er die einzige Lösung in engagierten Priestern, die mitten unter den Menschen leben wollten. Der Oberhirte hatte den unverrückbaren Glauben, dass für eine so gute und wichtige Sache Gottes Hilfe schon kommen würde. Das stärkte ihn.

      Die Weihe seiner zwei Zöglinge hatte Mendoza nicht, wie üblich, in seiner mächtigen Kathedrale, sondern in der kleinen Kirche des Priesterseminars der Augustiner-Mönche in San José feiern wollen. Er bemühte sich ehrlich um die Nähe des Volkes und erhoffte sich mit der heutigen Zeremonie eifrigen Zuspruch durch die örtliche Gemeinde. Aber auf den Bänken verteilten sich nur ein paar Frauen und Kinder, die aus Neugierde gekommen waren, da sie eine Priesterweihe bisher noch nicht gesehen hatten. 'Sensatio est omnia'!

      Der Regens und Leiter des Seminars stellte seine beiden Zöglinge allen Mitgliedern des Presbyteriums


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