Mein Name ist DRAKE. Francis Drake. Wulf Mämpel
Читать онлайн книгу.Mensch ist dem Menschen ein Wolf! Das wussten schon unsere Großväter. Es war übrigens noch nie eine englische Tugend, neidfrei auf Erfolg und Wohlstand und große Karrieren anderer zu blicken. Die Reichen und Erfolgreichen, also die Mächtigen, sind – egal was sie auch leisten mögen für ihr Land und damit für alle Bürger – eine stets angefeindete Minderheit. Das ist wohl so in allen Ländern unserer schönen Erde: Der Neid ist für viele eine Tugend geworden. Die Empörung der Gescheiterten, der Pfeifen und Pflaumen und Hinterbänkler folgt stante pede. Es ist ein Auf und Ab und es bleibt es auch zukünftig. Menschen zufrieden zu stellen, ist nicht möglich. Sie wollen immer mehr, sie sind nie zufrieden. Die Feinde vermehren sich weitaus schneller als die Freunde. Damit muss man leben können!“
„Ja, ich kenne diese große Gruppe Mensch“, antworte ich, „ich stamme ja selbst aus dieser Schicht, habe meine Herkunft aber nie verleugnet oder vergessen. Ich bekämpfe heute diese aufmüpfigen, militanten Plebejer, wo und wie ich es nur kann. Und doch können sie gerade in diesen wirren Tagen viel Unheil anrichten. Ihre Sprecher verführen ein Volk wider besseres Wissen, um an die Macht, um selbst an die fetten Fleischtöpfe zu gelangen. Ohne Arbeit und Streben. Sie handeln nach dem alten Neid-Rezept: Man nehme - am besten von den anderen, den erfolgreichen Reichen. So entsteht eine Ideologie der Miss-Günstlinge. Sie hat es zu allen Zeiten gegeben – heute sind sie aus vielerlei Gründen aktiv: Aus religiösen, machtpolitischen und - wie immer – aus persönlichen Gründen. Sie denken nicht an das Volk, das sie angeblich vertreten, sie behaupten Dinge, die nicht wahr sind und gehen dabei sehr geschickt ans Werk. Sie lullen die Menschen ein, indem sie Behauptungen als Wahrheiten hinstellen. Das Volk fällt immer wieder darauf herein, obwohl es gebildeter ist als noch im Mittelalter. Immer wieder erneut geht es den Rattenfängern auf den Leim, weil es nichts dazu lernt aus dem, was war und was ist. Die Scharlatane können Menschen in einen Krieg, in den Ruin, ja, sogar in den Selbstmord treiben.“
„Nur zu wahr, lieber Francis, denke an die grausamen Hexenprozesse, an die Verfolgung vieler unschuldiger Frauen, die vergewaltigt, gequält, deren Leiber geschunden werden mit heißem Stahl, denen Verhältnisse mit Satan nachgesagt werden. Wie sollen diese armen Frauen denn ihre Unschuld beweisen? Oft werden sie angeklagt, weil sie ihren Männern im Wege sind, weil sie aus nachbarschaftlicher Eifersucht und Missgunst der Hexerei angeklagt werden oder weil sie als Heilerinnen mehr wissen als die Ärzte und Mönche. Sie werden brutal aus dem Weg geschafft, es sollen inzwischen Tausende sein. Unter den Bürgern des Reiches herrschen große Angst und Schrecken, denn die fanatischen Hexenjäger hinterlassen eine Blutspur des Grauens. Das kann doch unsere Königin nicht gutheißen! Geheimdienstchef Walsingham und Lordkanzler Cecil treiben da, so vermute ich, ein grausames Spiel. Ich habe den Eindruck, sie führen inzwischen einen privaten Hexenkrieg, aus dem eine Art Sport geworden ist. Es ist schon schlimm: Der Mensch ist zu großen Leistungen fähig, aber auch zu großem Leid. Je älter ich werde, je mehr bin ich von der Gewalt entsetzt, die oft nur die Schwachen trifft. Kann das gut gehen für alle Zeiten? Werden die Menschen nicht eines Tages aufbegehren gegen die Tyrannen, gegen die Gewaltherrscher und Despoten? Die Menschen aus allen Schichten wollen doch nur Glück erfahren, wollen ihr Auskommen haben und glücklich sein. Glück und Liebe sind ja nicht nur die Privilegien der Reichen!“
Elisabeth und ich sitzen auf unserer großen Terrasse in bequemen Bambus-Sesseln, die ich aus der Karibik mitgebracht habe, und genießen die wärmende Sonne des Nachmittags. Die üblichen Frühjahrsstürme, die in diesem Jahr besonders heftig über unsere Insel fegten, weichen den freundlichen Maienlüften. Der Wonnemond, der Lenz ist da! Fernando Pareira, mein einarmiger Piratenfreund, der, wenn wir an Land sind, die Rolle eines treuen Butlers übernommen hat, bedient uns mit allem Respekt und liest uns jeden Wunsch von den Lippen ab, während der Pirat und Freund John McFinn erklärt hatte, er wolle sein Glück bei der Jagd auf Niederwild versuchen. Es hätte seit längerem kein Hasenragout mehr gegeben. . .
Elisabeth nickt. Sie blickt mich mit ihren schönen blauen Augen an, in denen ich einen Hauch von Ängstlichkeit erkenne: „Warum hast Du mir Deine Sorgen um unsere Königin so schonungslos erzählt? Ist sie in Gefahr? Schon wieder?“
„Eine Frau wie sie ist immer in Gefahr. Das ist unsere Zeit. Jeder kämpft gegen jeden, das geht bis in die untersten Schichten unseres Volkes. Neid macht gewalttätig. Sogar der Papst hat den Kirchenbann nach der Hinrichtung der Mary Stuart über sie verhängt: Sie sei, so der Pontifex, die angebliche Königin von England, sie sei eine Dienerin des Bösen , ja, des Teufels selbst. Ihre Thronansprüche seien unrechtmäßig und deshalb sei sie zu recht exkommuniziert. Das erfreut natürlich die Katholiken in Europa. Stell Dir vor, der Papst fordert sogar uns Engländer auf, unseren Treueeid gegenüber der Königin zu brechen, sie als Usurpatorin zu stürzen oder, man glaubt es kaum, zu töten. Was ist das nur für ein Christentum, was ist aus der Nächstenliebe geworden? Es geht noch weiter, Elisabeth: Wer sie schützt, also wie wir beide, verfällt selbst dem päpstlichen Bannfluch. Also sind auch wir irgendwie gefährdet. Man nennt das wohl vogelfrei.“
Elisabeth blickt mich entsetzt an: „Woher weißt Du das?“
„Ich weiß es . . . von ihr selbst.“
Ich nehme meine Frau kurz in den Arm, um sie zu beruhigen. Dann stoßen wir beide an und lachen wieder. Ich fahre dennoch nachdenklich fort: „Elisabeth und ihre nachzuweisenden Erfolge wecken Neidfantasien und Raubgelüste. Bei Herrschern ist das ja generell der Fall. Ihr Vater, aller teuflischen Sünden, besonders der der Fleischeslust, völlig verfallen, musste sich ständig neuen Attentaten erwehren. Der maßlose Weiberheld und Sadist, sein Hofmaler Hans Holbein reiste durch Europa und musste willige Kandidatinnen für des Königs Lotterbett porträtieren, um ihm dann die Bewerbungsbilder der Damen zu präsentieren. Was für ein raubtierhaftes Gehabe! Ebenso diensteifrig war sein brutaler Kettenhund Thomas Cromwell, der missratene Sohn eines dummen Schmiedes. Er ließ Menschen auf brutalste Art zu Tode rösten. Er war der Hexenmeister! Der Teufel war in ihm wiedergeboren, sagt man heute über ihn. Ich weiß nicht, wie viele Mordanschläge allein er überlebte, denn der Zorn – besonders der Adeligen im Reich – wurde immer größer. Er terrorisierte seine Umwelt so lange, bis der König ihn köpfen ließ. Gewalt und Gegengewalt bestimmen ja durchaus oft die Regierungszeit eines Königs – und einer Königin. Nur, wer einen König, in diesem Fall unsere Königin, ermorden will, der muss das Zeug dazu haben. Bisher sind alle Versuche gescheitert - und es sind nicht wenig! Die lange englische Historie ist voll von Morden in den königlichen Dynastien. Der Bruder tötet den Bruder – wie Kain den Abel. Seit diesem biblischen Ereignis ist das böse Spiel der Neider, Emporkömmlinge, enttäuschten Günstlinge, falschen Berater und Freunde, ja, sogar Familienmitglieder aus königlichem Haus, keine Ausnahme: Sie morden mit Dolch, Schwert, Pistole und Gift. Ich denke, es wird immer so sein. Nero hat in jeder Zeit einen Nachfolger! Heute aber weiß ich es genau: Die Königin ist in höchster Gefahr. Ich habe Kenntnis von einem geplanten Attentat, das die schottische Katholikin Mary Stuart noch vor ihrem Tode veranlasste: Einer ihrer Mordbrenner, sie sandte gleich mehrere aus, konnte durch unsere Spionageabwehr gefasst und sofort hingerichtet werden, nachdem er gestanden hatte, im Auftrage der Mary Stuart zu handeln. Die anderen haben wir noch nicht erwischt.“
„Mich würde mal interessieren, wie Elisabeth über ihren Vater denkt!“
„Nun, wie jede Tochter bewundert sie ihn sogar ein Stück weit, vielleicht kennt sie aber auch nicht sein wahres Gesicht oder verdrängt es. Fest steht, sie ist Zeit ihres Lebens von Feinden umgeben. Ihre königliche Habschwester, man stelle sich das vor, lässt sie in den Tower sperren, der Papst schließt sie aus der Kirche aus, ihr spanischer Schwager, König Philipp, droht ihr, eine gewaltige Flotte in den Kanal zu entsenden, um England zu erobern, doch sie übersteht alle diese Angriffe bisher unbeschadet.“
„Ja, es ist kaum zu fassen: Trotz dieser Unbill ist es ihr gelungen, den Grundstein für ein neues Weltreich zu legen. Ich sage es deutlich: Ich bewundere diese Frau, nicht nur, weil ich zu ihren wenigen echten Freundinnen zähle, die offen mit ihr reden können. Doch beim Thema Hexenverfolgung sind wir sehr kontrovers. Ich habe beschlossen, dieses Thema künftig auszuklammern. Es wird ihr peinlich, doch ich glaube, sie lässt diese Welle der Vernichtung zu, um ihrerseits freie Bahn für ihre großen Pläne zu haben. Dennoch ist das Handeln barbarisch! Sogar Priester werden im Rahmen dieser Katholikenhetze gevierteilt. Das ist doch barbarisch, mittelalterlich