Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani
Читать онлайн книгу.den Bus belegt. Doch da kam schon der nächste Bus. Er war herrlich leer, aber hinein kam ich trotzdem nicht, denn er war nur für Frauen reserviert. Die Hälfte der begehrten Sitzplätze war frei, auf der anderen Hälfte saßen junge und alte Damen und nickten mir aufmunternd zu, als wollten sie sagen: Warte nur, der nächste Bus voller Kerle ist nicht weit. So war es auch, der nächste Bus kam, und ich stieg ein. Doch nirgendwo konnte ich eine Fahrkarte kaufen, so dass ich an der nächsten Haltestelle wieder aussteigen musste, um ein Ticket an einem Automaten zu ziehen. Allerdings konnte man diese Tickets nur im Dutzend kaufen, auch wenn man nur zwei oder drei davon benötigte. Kein Wunder, dass sich in mir der Outlaw regte und ich allen Ernstes an Schwarzfahren dachte. Wer allerdings in Jakarta ohne einen gültigen Fahrschein erwischt wurde, hatte nichts zu lachen. Da die Scharia für solche Verfehlungen keinerlei Vorgaben machte, war schwer abzuschätzen, was mit einem westlichen Schwarzfahrer geschehen würde. Von der sofortigen Verhaftung bis zur schulterklopfenden Aushändigung eines kostenlosen Fahrscheins war bei der Breite des sundanesischen Wesens alles möglich. Deswegen ließ ich es und kaufte die Tickets im Dutzend.
„Merdeka“ bedeutet Freiheit. Was lag da näher, als nach der Ausrufung der indonesischen Unabhängigkeit einen Freiheitsplatz mitten in Jakarta zu errichten? So jedenfalls dachte Präsident Sukarno und befahl im Jahre 1961 die Anlage eines weiträumigen quadratischen Parks genau im Zentrum von Jakarta. Bei der Anlage dieses Merdekaplatzes wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, denn der Präsident wollte, dass sich das Volk an seiner neugewonnenen Freiheit auch hinreichend ergötze. Mitten im Park, im Fluchtpunkt von vier großen Zufahrtswegen, entstand deswegen das Monas, das indonesische Unabhängigkeitsdenkmal, ein riesiger Obelisk, der sich von seinem Sockel aus nicht weniger als 132 Meter hoch in den Himmel erhob. Der sich nach oben verjüngende Obelisk wurde nicht nur mit einer Aussichtsplattform auf 111 Metern Höhe, sondern auf seiner Spitze mit einer stilisierten vergoldeten Flamme versehen. So prachtvoll gebärdete sich die Freiheit nach ihrem Sieg.
In Wahrheit hatte sich die Begeisterung der Bevölkerung von Anfang an in Grenzen gehalten. Zu unindonesisch, zu bombastisch, zu erratisch erschien das Monument, das bald hinter vorgehaltener Hand als „Sukarnos letzte Erektion“ verspottet wurde. Um zu verhindern, dass Bettler und Herumtreiber die Gloriole von Park und Monument beeinträchtigten, hatte man schon bald das ganze Gelände mit einem Zaun gesichert und nur einen schmalen Zugang gelassen, der von der Armee kontrolliert wurde. Auch die Freiheit benötigte schließlich einen Sicherheitsabstand zum einfachen Volk.
Ich passierte den Eingang des Merdekaplatzes, und setzte mich in den Schatten einer Palme. In hinreichender Entfernung vom Nationalmonument erschloss sich mir das klassische Jakarta Foto: in der Mitte des Bildes das Nationalmonument vor einem leeren Himmel, dann am unteren Bildrand auf der Höhe seiner Basis viel kleiner und entfernter die Skyline der Hochhäuser, die den Merdekaplatz umgaben. Unmittelbar vor mir erhob sich auf einem meterhohen Sockel eine überlebensgroße Reiterskulptur in extrem dramatischer Pose. Fatahilla, der sagenhafte Gründer Jakartas, zügelte sein sich spektakulär aufbäumendes Ross. Wer aber war Fatahillah? Glaubte man der geschichtlichen Überlieferung, dann handelte es sich um einen moslemischen Prinzen, der im Jahre 1527 den Hafen Sunda Kelapa erobert und an seiner Stelle die Stadt „Jayakarta“, die „Stadt des großen Sieges“, gegründet hatte. Die Nachricht dieses Monumentes war klar: Jakarta besaß einen moslemischen Ursprung und sah seinem 500. Stadtgeburtstag entgegen.
Soweit das offizielle Geschichtsbild. In Wahrheit hatte die Geschichte Jakartas als einer nationalen Metropole erst mit der Ankunft der Holländer begonnen. Sie hatten sich am Anfang des 17. Jahrhunderts in Westjava festgesetzt und im Jahre 1619 die Kolonialstadt Batavia gegründet. Der Ort war schlecht gewählt, denn die zahlreichen Kanäle, die die Stadt durchflossen, verwandelten sich schnell in Brutstätten der Malaria. Unzählige holländische Amtsträger samt ihrer Familien fanden auf diese Weise den Tod in den Tropen. Doch Batavia gedieh trotzdem, wuchs über die Hafengegend hinaus bis hin zum heutigen Stadtzentrum, an dem sich der Merdekaplatz ausbreitete.
Was war von Batavia geblieben? In der Hauptsache nur der Name und ein einziger restaurierter Platz im Norden der Stadt, der auch noch den Namen „Fatahillah Square“ trug. Dieser Platz war ein Kuriosum, ein blankgeputztes Holland in den Tropen, denn er bestand aus nichts weiter als aus einem guten Dutzend weißer Kolonialhäuser mit einer großen Kanone in der Mitte, eben jener Kanone, die die Holländer nach der Eroberung Malakkas im Jahre 1641 als Siegestrophäe nach Batavia gebracht hatten. Das auffälligste Gebäude des Fatahilla Squares war der Palast des Gouverneurs, ein weißes Gebäude mit rotem Ziegeldach und Kuppelturm, das man sich problemlos auch in den Niederlanden hätte vorstellen können. Die touristische Finesse dieses Platzes bestand im Angebot von mietbaren Hollandrädern, auf denen Touristinnen aus Korea und Japan, drapiert mit Damenhüten im Stil der Kolonialzeit, jauchzend herumfuhren. Auch im Café Batavia an der Nordseite des Platzes, wurden die alten Zeiten beschworen. Die Wände waren mit eingerahmten Schwarzweißfotografien bedeckt, auf denen lauter Kolonialbeamte mit ihren Familien zu sehen waren, wie sie von ergeben dreinblickenden Eingeborenen bedient wurden. An den Decken drehten sich die Ventilatoren, an den Tischen saßen die jugendlichen Nachfahren der europäischen Kolonisatoren und tranken Batavia-Punsch zum Klang verhaltener Jazzmusik. Alles war in ein trübes, nostalgisches Dämmerlicht getaucht, farbliche Akzente setzten nur die zierlichen Kellnerinnen, die wie kleine Püppchen zwischen den Tischen der Orang Blanda hin- und herhuschten.
Das Viertel nördlich des Fatahilla Squares bestand aus verschmutzen Kanälen, die in den Reiseführern allen Ernstes mit den Grachten Amsterdams verglichen wurden. Sie waren überspannt von baufälligen Steinbrücken und eingezäunt von Baustellen und Gerüsten, die nach Urin stanken. Die Behausungen wirkten verfallen und waren ineinander verschachtelt wie die Hütten eines Flüchtlingscamps. Manche Häuser standen gleich neben den Eisenbahnschienen, die das Gebäudegewirr wie ein Messer durchtrennten. Andere waren am Ufer der stinkenden Kanäle auf Stelzen errichtet worden. Ihre Bewohner saßen auf Emporen, rauchten, schliefen oder und fischten im trüben Gewässer nach ihrem Abendessen. Von den prachtvollen Makassar Schonern, von denen es hieß, sie würden noch immer Holz und Gewürze über die Sunda-See transportieren, habe ich nichts gesehen. Entweder waren sie alle unterwegs oder längst abgeschafft.
Auf der Rückreise machte ich in dem Chinesenviertel Glodok Station. Hier waren das Gedränge auf den Bürgersteigen und die Staus auf den Durchgangsstraßen noch katastrophaler als in anderen Teilen der Stadt. Was war alt, was neu, in diesem Gewirr aus eingeschlagenen Fenstern, Garküchen, Reisebüros, Wettbuden, Malls und Märkten rechts und links der verstopften Straßen? Die Reklameflächen verdeckten ganze Häuserfassaden, die Bürgersteige waren durch Auslagen oder parkende Fahrzeuge verstopft. Obwohl eine ganze Kohorte Straßenfeger damit beschäftigt war, den Müll einzusammeln, wurde der Abfall nicht weniger. So schnell konnten sich die Müllmänner gar nicht bücken, wie Papier, Essensreste oder Plastik auf die Straße geworfen wurden.
Obwohl der größte Teil der Chinesen von Glodok keineswegs der reichen chinesischen Oberschicht angehörte, hatten die Plünderungen und Ausschreitungen des Jahres 1998 hier in ganz besonderer Weise gewütet. Über zwölfhundert Menschen sollen bei den Pogromen am 13. und 14. Mai 1998 ums Leben gekommen sein. Die Zahl der Vergewaltigungen war unbekannt. Obwohl ein Teil dieser Ausschreitungen von politischen Akteuren organsiert worden waren, hatte eine strafrechtliche Aufarbeitung bis heute nicht stattgefunden. Zigtausende Chinesen hatten nach den Pogromen das Land verlassen, der Rest, der geblieben war, schwieg. Undenkbar, dass sich die chinesische Minderheit in Indonesien vergleichbar deutlich zu Wort melden würde wie die moslemischen Minderheiten in den europäischen Gesellschaften. Schikanen und Repressalien wären die Folge gewesen. Die traurige Wahrheit aber war: die weit überwiegende Mehrheit der Chinesen war einfach zu tüchtig, um bei der Mehrheit der indonesischen Bevölkerung beliebt zu sein. Dass viele Chinesen zudem als Christen in den Augen der moslemischen Mehrheitsbevölkerung „Ungläubige“ waren, machte die Ressentiments noch giftiger.
Ich setzte mich in eine Garküche und aß einige Geflügelspieße mit Reis und Erdnussbutter. Obwohl mich ein unbeschreibliches Chaos umgab, waren die Stühle und Tische sauber, der Verschluss der Wasserflasche war intakt und das Essen vorzüglich. Der Inhaber war natürlich ein Chinese, und wie die meisten Chinesen war er schnell, kompetent und nicht besonders freundlich. Als ich ihn über seinem